Filme sind wie Pralinenschachteln: man weiß letztlich nie was man bekommt. Wurde ich erst letzten Mittwoch mit „Der gute Hirte“ nach hoher Erwartung und Vorfreude sehr enttäuscht, so hat „Rocky Balboa“ das Gegenteil geschafft.
Als ich den ersten Teaser zu „Rocky Balboa“ gesehen habe, dachte ich „Das meinen die doch wohl jetzt nicht wirklich ernst, oder? Die werden doch wohl keinen 60jährigen mehr in den Ring zerren?“ Auch in den Medien wurde dieser Film, der einen Abschluss für die Rocky-Filme darstellen sollte, eher milde belächelt. Aber ich muss sagen: der Stallone hat’s uns allen gezeigt!
Box-Champion Rocky ist in die Jahre gekommen. Nach dem Tod seiner großen Liebe Adrian lebt er fast vollkommen in der Vergangenheit. Er erinnert sich an all die schönen Dinge, die sie gemeinsam erlebt haben und schwelgt in seinem kleinen aber feinen Restaurant – namens „Adrian’s“ – in Erinnerungen an seine glorreiche Boxer-Zeit. Er geht von Tisch zu Tisch und erzählt seinen Gästen Anekdoten aus seinem ereignisreichen Leben im Ring. Sein Sohn hat das Weite gesucht und versucht sich nun mehr schlecht als recht als Bankkaufmann. Außer den schönen Erinnerungen an vergangene, bessere Zeiten ist Rocky nur eines geblieben: Adrians Bruder Paulie, der auch schon in den ersten Teilen mitwirkte. Ein wahrer wenn auch manchmal komplizierter Freund.
Eines Tages berichtet das Fernsehen über einen virtuellen Kampf: ein Computer hat errechnet welche Chancen ein BOxer alter Schule wie Rocky Balboa gegen den derzeitigen unbeliebten Champion aller Klassen Mason Dixon hätte. Dixons Manager riechen fortan in einem aufsehenerregenden Schaukampf “Balboa vs. Dixon” das große Geld. Außerdem soll Dixon beim Publikum dadurch Sympathiepunkte gewinnen, dass er den haushoch unterlegenen Balboa verschont. Doch er hat die Rechnung ohne Rocky gemacht. Für ihn ist dieser Kampf mehr als ein Kampf um Titel und Ehre: für Rocky ist es der Kampf gegen die Dämonen in seinem Kopf. Ein Beweis für sich selbst, dass er mehr ist als eine leblose Hülle, die nur noch durch Erinnerungen existiert. Doch er trifft auf viele Schwierigkeiten: der Boxverband verweigert ihm die Lizenz zum Profiboxer, sein Sohn möchte nicht, dass Rocka noch einmal in den Ring steigt, damit seine Kollegen nicht über seinen “bekloppten Vater” lästern.
Dieser Rocky-Film war komplett anders als erwartet. Vor allem die Tatsache, dass „Rocky Balboa“ nur zu allerletzt ein Box-Film ist, rettet Stallone vor der Demontage seines eigenen Denkmals. Der Film ist sehr ruhig, der Boxkampf nimmt gerade mal zehn Minuten der Filmzeit in Beschlag. Vielmehr erleben wir ein bekanntes Gesicht, das uns seit 30 Jahren begleitet, beim Älterwerden. Wir erleben Rocky bei der Bewältigung seines Schicksals, das ihn mit Adrians Tod mehr getroffen hat als es ein Box-Gegner je könnte. Man spürt förmlich, das seine Verlust-Schmerzen unvergleichlich sind.
Getragen wird die ganze Szenerie von einem nostalgisch-ruhigen Soundtrack. Die berühmte Rocky-Fanfare erklingt nun gefühlvoll langsam auf dem Piano gespielt, unterlegt von Streichern. Als wir dann die erste Einstellung sehen, in der Rocky wieder für einen großen Kampf trainiert, erklingen die Fanfaren, die seit 30 Jahren ein echtes Markenzeichen sind. Und dieser Moment ist für mich wie ein Schlag in den Bauch gewesen: ja, da isser wieder! Der Rocky, der Kämpfer. Zwar in einer anderen Hinsicht als früher, aber umso intensiver. Weniger Sport - mehr Leben. Selten ging mir ein Soundtrack mehr zu Herzen.
Jene 14jährigen Kids, die mit uns gemeinsam im Kino saßen, werden diesen Film kaum genossen haben. Dafür ist der Film „viel zu erwachsen“, viel zu ernst und zu wenig „Hau drauf!“. Dafür nehmen die Kampfszenen viel zu wenig Platz ein. Dafür wird diesen Kampfszenen viel zu wenig Dramatik geschenkt. Weit weniger als in den anderen Teilen.
Für mich allerdings, der nun inzwischen auch ein Stück weit erwachsen geworden ist, war es ein wundervolles Erlebnis endlich einmal „Rocky“ im Kino zu erleben. Und ich gebe es zu: die „Rocky-Fanfare“ hinterließ bei mir ein wesentlich stärkeres Kribbeln als die ersten Sekunden von jeglichem „Star Wars“-Streifen. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass ich mit „Rocky“ Kindheits-Erinnerungen verknüpfe, ohne dass diese Filme damals für mich wirklich wichtig oder besonders prägend gewesen wären. Vermutlich liegt ein Großteil des Reizes am neuen Film einfach daran, dass man ja irgendwie doch mit ihm zusammen „gealtert“ ist, auch wenn sich unsere Wege für viele Jahre getrennt hatten. Es kamen phänomenalere, bilderreichere, imposantere, effektreichere Heroes, aber Rocky bleibt auch im neuen Film ein unspektakuläres “Kind der Straße”.
Bemerkenswert auch der Abspann: hier sehen wir Dutzende Menschen von jung bis alt, schwarz und weiß, wie sie auf den legendären „Stufen von Philadelphia“ stehen und die Klassiker-Pose von Rocky aus dem ersten Teil nachmachen: mit dem Blick über die Dächer der Stadt die Faust in die Höhe strecken. Das wiegt mich in der Sicherheit, dass „Rocky“ nicht nur bei mir Eindruck hinterlassen hat.
Schließen möchte ich mit einem Zitat aus dem Film, das in der Filmhandlung ebenso stimmig (und wider Erwarten in dem filmischen Umfeld auch nicht so kitschi ist, wie es sich hier anhören mag…) ist wie in der ganzen Diskussion um den Film herum: „Als all das hier begonnen hat, hielten es alle für einen Witz. Aber jetzt lacht keiner mehr.“ Nein, wir lachen nicht, wir leiden, trauern, fühlen mit und verbeugen uns vor einer filmischen Höchstleistung, die wohl kaum einer erwartet hatte!