„Alle Anderen“-Regisseurin Maren Ade: „Kann man wirklich Details von Beziehungen erzählen?“
Dienstag, 16. Juni 2009 - 15:06
Filmstarts - Ein Pärchen macht Urlaub und bekommt sich in die Haare. In einem Satz zusammengefasst klingt die Handlung von „Alle Anderen“ zunächst einmal wenig spektakulär und es gilt zu fragen: Was ist das Besondere an dieser Alltagsgeschichte, die schon so oft zu sehen war und von vielen persönlich erlebt wurde? Filmstarts-Autorin Barbara Fuchs sprach in Berlin mit Regisseurin Maren Ade.

Filmstarts: Beim Lesen eines Buches hat man immer ein Bild der Protagonisten vor Augen. Hatten Sie beim Schreiben des Drehbuchs bereits Schauspieler im Kopf?

Maren Ade: „Es stimmt, dass man immer schon ein Bild vor Augen hat. Aber das tauscht sich dann, ab dem Zeitpunkt, an dem man die Rollen besetzt, aus. Ich kann jetzt gar nicht mehr das Bild herstellen, das ich beim Schreiben im Kopf hatte. Ich habe ein sehr ausführliches Casting gemacht und ganz unterschiedliche Leute eingeladen. Es wurden verschiedene Paarkonstellationen ausprobiert. Bereits als zwei Leute nur nebeneinander saßen, sah man, ob man ihnen glaubt oder es irgendwie komisch war. Was ich an Birgit Minichmayr und Lars Eidinger so interessant fand, war, dass sie zwei besondere Typen sind, die gut zueinander gepasst haben. Das Machtverhältnis war nicht ganz zu durchdringen. Man wusste nicht genau, wer der Stärkere und wer der Schwächere von ihnen ist. Das habe ich gebraucht, um den Film zu erzählen. Natürlich haben sie auch ganz toll gespielt. Ich wusste, dass ich ein Paar besetzen muss. Ich konnte nicht einfach sagen: ‚Für diese Rolle nehme ich auf jeden Fall Lars und dann suche ich eine Frau dazu.‘ Die einzige Rolle, die ich ein wenig im Kopf hatte, war Hans-Jochen Wagner als Hans.

Filmstarts: Hatten Sie sich von Martin Walsers Novelle „Ein fliehendes Pferd“ inspirieren lassen?

Maren Ade: „Nein, das ist ganz lustig. Der Produzent meint immer zu mir, ich soll endlich das Buch „Ein fliehendes Pferd“ lesen und ich sag: ‚Jaja, ich mach das noch.‘ Ich habe es aber nie gemacht, sondern erst kürzlich den Film gesehen. Ich musste schon lachen, da die Geschichte der meinigen sehr ähnlich ist. Das Thema ‚zwei Paare treffen aufeinander‘ ist schon tausend Mal behandelt worden und ein Klassiker.“

Filmstarts: Worin lag für Sie der Reiz dieses Thema aufzugreifen und eine eigene Geschichte entstehen zu lassen?

Maren Ade: „Mich hat es interessiert, auszuprobieren, ob man wirklich Details von einer Beziehung erzählen kann. Also die Sachen, die man oft danach gar nicht mehr erklären kann. So würde es auch Gitti gehen, wenn sie einer Freundin erzählen würde, was eigentlich im Urlaub passiert ist und was das für ein Problem war mit Chris. Wahrscheinlich könnte sie das gar nicht beschreiben. Mich hat es interessiert, in die Details der Kommunikation einzutauchen und man beschäftigt sich doch viel mit den Beziehungen, die man führt. Auch wenn es natürlich nicht das große gesellschaftliche oder politische Thema ist, für Chris und Gitti ist es trotzdem ein großes Drama.“

Filmstarts: Woher stammt die Idee mit dem ausgefallenen Zimmer der Mutter von Chris?

Maren Ade: „Es war klar, dass das Haus kein neutraler Hintergrund und nicht irgendein Ferienhaus sein konnte. Es sollte Chris’ Herkunft erzählen und wir wollten auch, dass die Eltern als Wesen fast anwesend sein konnten. Dazu brauchte man eine extremere Ausstattung und er verrät es dann auch so während der Hausführung. Auf eine Art geht es um ein zweites Erwachsenwerden und deshalb gibt es diese Reibung mit dem Elternhaus. Im Drehbuch waren die Zettelchen, die vielen Figürchen und die Vögel bereits beschrieben, der Baum stammt aber von den Ausstattern. Der Raum hatte etwas wahnsinnig Schönes an sich und man war da einfach gerne drinnen. Das Zimmer gab es nicht im Haus, sondern wurde als Bretterbude auf einem Garagendach gebaut, damit Gitti raushüpfen konnte. Ich war sehr traurig, als es am Ende ganz brutal abgerissen wurde.“

Filmstarts: Das Publikum hat das Bedürfnis, Partei entweder für Chris oder Gitti zu ergreifen...

Maren Ade: „Ich mache ganz unterschiedliche Erfahrungen. Es gibt viele Zuschauer, die das schon als Paarkonflikt sehen und am Ende wieder Sympathie für den Mann haben. Am Anfang finden sie beide toll, aber später zuerst Gitti und dann Chris unmöglich. Der Film sollte einen hin- und herwerfen. Chris hat das schwächere Rückgrat, er ist in einer Lebenskrise und darum so geschwächt. Man tendiert eher dazu, mit dem Helden mitzugehen. Ich erkenne mich mehr in ihr, deshalb bin ich aber auch härter mit ihr. Ich sehe eher eine Frau, die ihrem Freund das Leben ganz schön schwer macht. Sie kann zwar ihre Gefühle besser äußern, aber so richtig hört sie ihm am Anfang nicht zu. Er macht sich frei von ihr. Es entsteht ein Machtkampf, vielleicht auch ein Konkurrenzkampf, man beneidet sich ja auch hin und wieder in Beziehungen. Er muss sich emanzipieren von ihr.“

Filmstarts: Ziehen sich Gegensätze an oder sollte man sich für den Partner ändern?

Maren Ade: „Das kann sein, muss aber nicht. Ich kenne ganz verschiedene Beziehungen, also Paare, die sehr unterschiedlich sind und zwischen denen es gut funktioniert und welche, die sich sehr ähnlich sind. Es gehört schon dazu, in einer Beziehung einen Schritt aufeinander zuzugehen. Ich habe noch nicht festgestellt, dass es funktionieren würde, dem anderen vorzuschreiben ‚Du musst mich so akzeptieren wie ich bin!‘.“

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