Der amerikanische Independentregisseur David Gordon Green („Ananas Express“) begründet im Vorwort zu dem Buch „Seagalogy – A Study Of The Ass-Kicking Films of Steven Seagal“ seine Begeisterung für den meist bezopften Aikido-Kämpfer Steven Seagal damit, dass dieser eine „brutale menschliche Eleganz“ besitze, über die keiner seiner Action-Konkurrenten verfüge. Dieser eigene Stil bescherte ihm sofort mit Karrierebeginn Ende der Achtziger eine große und treue Fanbasis – und das trotz großer Konkurrenz wie Sylvester Stallone, Arnold Schwarzenegger, Chuck Norris oder Jean-Claude Van Damme. Von dieser Popularität zehrte Seagal noch Jahrzehnte später, denn im Gegensatz zu den einstigen Weggefährten und Kontrahenten, die längst Neues probiert haben, gibt er unentwegt den einsamen Action-Rächer.
Vom ersten ausländischen Aikido-Trainer in Japan nach Hollywood
Der am 10. April 1952 als Steven Eric Seagal in Michigan geborene spätere Action-Star begeisterte sich von Kindesbeinen an für die Kampfkunst. Als Teenager beschloss er nach Japan auszuwandern, wo er seine Fähigkeiten perfektionieren wollte. Dort blieb er nicht lange Schüler, sondern wurde über die Jahre zum Aikido-Meister, gründete schließlich seinen eigenen Dojo und wurde so zum ersten Ausländer, der in Japan eine solche Trainings- und Meditationsstätte betrieb. Von diesem Erfolg angetrieben kehrte er nach Amerika zurück und eröffnete dort weitere Dojos, in denen er auch selbst lehrte. Durch seine Kampfschule in Hollywood kam er das erste Mal kurzzeitig mit dem Filmgeschäft in Kontakt: 1982 unterrichtete er für John Frankenheimers „Wenn er in die Hölle will, laß ihn gehen“ die beiden Stars Scott Glenn und Toshirô Mifune. Als im Jahr darauf Sean Connery sein Kurzzeit-Comeback als James Bond in „Sag niemals nie“ gab, war es der junge Steven Seagal der ihn wieder fit machen sollte. Beim Martial-Arts-Training brach der übereifrige Lehrer aber seinem berühmten Schüler das Handgelenk – eine teure Angelegenheit für die Produzenten und vielleicht der Grund, warum Seagals erste Hollywood-Erfahrung nur von kurzer Dauer war.
Ein Steven Seagal kennt nur Hauptrollen
Es sollte bis 1987 dauern, ehe das Filmgeschäft wieder ein ernsthaftes Thema für Steven Seagal wurde. Einer seiner Aikido-Schüler war Michael Ovitz, einer der mächtigsten Agenten der Filmindustrie, der behauptete, jeden zum Star machen zu können. Seagal sollte der Beweis sein. Ovitz finanzierte auf eigene Faust Testaufnahmen, die Warner und Regisseur Andrew Davis („Auf der Flucht“) überzeugten, das Risiko einzugehen, einen No-Name ohne jede Leinwanderfahrung zum Hauptdarsteller in ihrem Film „Nico“ zu machen. Während andere Schauspieler sich fast immer über Nebenrollen in der Traumfabrik hocharbeiten mussten, stieg Seagal also gleich mit einer Hauptrolle ein und tat sich später in seiner Karriere dann sehr schwer, wenn er nicht die erste Geige spielen konnte. Das Experiment mit dem Newcomer machte sich aber bezahlt: „Nico“ bekam ordentliche Kritiken und spielte mehr als das Doppelte seines Budgets von 7,5 Millionen Dollar ein. Seagal war im Geschäft und Warner ging gleich den nächsten Film an, der Seagals Individualität, den Aikido-Kampfstil noch weiter betonen sollte: „Hard To Kill“ wurde zum ersten Nr. 1-Film des Schauspielers am amerikanischen Box Office. Schnell wurden zwei weitere Filme umgesetzt, die wieder der gleichen Formel folgten: Jedes Mal begibt sich Seagal auf einen persönlichen, mit viel Martial Arts-Action garnierten Rachefeldzug. Auch „Zum Töten freigegeben“ und „Deadly Revenge“ überzeugten qualitativ und kommerziell. Seagal war mit seinen ersten vier Filmen, die später das „Goldene Zeitalter“ seiner Karriere definieren sollten, ganz nah am Hollywood-Olymp.
„Stirb langsam auf einem Schiff“ und schlecht genutzte Narrenfreiheit
Der durchschlagende Erfolg von Bruce Willis mit „Stirb langsam“ 1988 beeinflusste auch die Karriere von Steven Seagal, da Warner nun auf die Idee kam, das Erfolgskonzept des Konkurrenten Fox mit dem eigenen Star zu kopieren. „Alarmstufe: Rot“ vereinte den Kampfkünstler wieder mit Regisseur Andrew Davis und brach sein bisheriges Rollenschema ein wenig auf. Statt den auf persönliche Attacken reagierenden Rächer mimte er erstmals den Einzelkämpfer, der sich einer Horde Terroristen (unter anderem Tommy Lee Jones und Gary Busey) entgegenstellt. Das Kalkül ging auf, „Stirb langsam auf einem Schiff“ wurde ein Kritikererfolg, ein weltweiter Publikumshit und bekam sogar zwei Oscar-Nominierungen (Bester Tonschnitt/Bester Ton). Doch retrospektiv betrachtet ist für viele Fans ausgerechnet dieser Hit der Anfang des Abstiegs für Seagal. Der Star, der seine erfolgreiche und recht großräumige Nische verließ, um den Mainstream beeindrucken zu können, wollte nun auch noch persönliche Botschaften verfassen. Da er bei Warner nun Narrenfreiheit genoss, bewilligte man Steven Seagal, dem Schauspieler ohne jegliche Erfahrung hinter der Kamera satte 50 Millionen für sein Regie-Debüt, der verfilmten Öko-Botschaft „Auf brennendem Eis“. Auch wenn dieser Film bei Seagals Fans heute Kultstatus genießt, war er damals ein absoluter Reinfall, machte Verlust an den Kinokassen und wurde für sechs Goldene Himbeeren nominiert (von denen Seagal eine als schlechtester Regisseur gewann).
Persönliche Eitelkeiten und das Ende der Kino-Karriere
Mit Altbekanntem schien Seven Seagal nach dem Flop von „Auf brennendem Eis“ schnell wieder die Kurve zu bekommen. Das Sequel „Alarmstufe: Rot 2“ war ein Erfolg, so dass Warner den Actioner „Einsame Entscheidung“ mit dem Konterfei des Zugpferds bewerben konnte, obwohl es dort recht früh den Leinwandtod stirbt und Kurt Russell der eigentliche Star des Films ist. Seagal, der die unliebsame Nebenrolle (die erste seiner Karriere) in „Einsame Entscheidung“ nur als Kompensation für Warners finanzielle Einbußen mit „Auf brennendem Eis“, annahm, wähnte sich wieder obenauf. Die zweite Geige kam für ihn danach nicht mehr in Frage und er wollte auch nicht mehr bloß der reine Actionheld sein. Doch das Publikum interessierte sich weder seine Serienkillerjagd in „The Glimmer Man“ noch für sein erneutes Ökö-Engagement mit „Fire Down Below“. Als promovierter Anti-Virus-Kämpfer in „The Patriot“ schaffte er es entgegen eigentlicher Planungen nur noch in die Videothekenregale. Um seine Karriere zu retten, sprang Steven Seagal über seinen Schatten und akzeptierte mit DMX für „Exit Wounds“ sowie Morris Chestnut und Ja Rule für „Halb tot“ quasi gleichberechtige Co-Stars, die ihm neue Publikumsschichten erschließen sollten. Doch diese Einsicht kam zu spät: Steven Seagals Kino-Karriere war vorbei.
Steven Seagal: Dicker Held der Videothekenregale
Da sein langjähriges Studio Warner nicht mehr mit Steven Seagal arbeiten wollte und er keine Produktionsfirma fand, die ihm die Hauptrolle in einem Kinofilm anvertraute, entschloss sich Seagal in Osteuropa Actionfilme für die Videothekenregale zu drehen. Gleich die erste dieser Produktionen, „The Foreigner - Der Fremde“, kann als perfektes Beispiel für diese neue, in der Folgezeit fast zwei Filme jährlich hervorbringende Ära beschreiben: ein überforderter Regisseur, billig-verblasste Bilder, ein unnötig komplizierter Plot, der den Film nach mehr ausschauen lassen soll als er ist und vor allem ein Seagal, der sich immer weiter von der Bestform früherer Tage entfernt. Er legte über die Jahre deutlich an Gewicht zu und ließ sich immer öfter bei einzelnen Action-Szenen und zeitweise sogar bei den Dialogen doublen. Filme wie „Into The Sun - Im Netz der Yakuza”, „Shadow Man“ oder „Unsichtbarer Feind“, bei denen Seagal auch als Produzent und Drehbuchautor tätig war, machten jegliche Hoffnung zunichte, ihn noch einmal im Kino zu sehen. Umso überraschender war es dann, als er 2010 doch noch einmal über seinen Schatten sprang und sich bereit erklärte, in Robert Rodriguez‘ „Machete“ eine kleine Nebenrolle zu übernehmen, nachdem er einen ähnlichen Part für Sylvester Stallones „The Expendables“ im Jahr zuvor noch abgelehnt hatte. Die mit Danny Trejo, Jessica Alba, Robert De Niro, Lindsay Lohan und Michelle Rodriguez buntbesetzte „Grindhouse“-Fake-Trailer-Verfilmung war Seagals erster Kinoauftritt seit acht Jahren. Dessen Versuch mit einer TV-Serie nachzulegen scheiterte dann aber. Kein Sender wollte die 13 produzierten Folgen von „True Justice“ haben. Einige Doppelfolgen der Serie werden in den Jahren 2011 und 2012 über mehrere Monate verteilt als neunzig Minuten lange Filme an Seagals Stammvideothekenkundschaft verhökert.
Abseits der Leinwand: Country-Sänger, Energy-Drink-Verkäufer, Sheriff und lebender Buddha
Während seine schauspielerischen Darbietungen immer dürftiger wurden, fing Steven Seagal an, sich als Sänger zu profilieren und brachte ab 2005 zwei Blues/Country-Alben heraus. Darüber hinaus sorgt er als Deputy für das Jefferson Parish Sheriffs-Büro in Louisiana schon seit den 1980ern auch abseits der Leinwand für Recht und Ordnung. Seinen Kampf gegen das Verbrechen kann das amerikanische Publikum seit 2009 in der Reality-Serie „Steven Seagal: Lawman“ beiwohnen und sich dabei mit dem Energy-Drink „Steven Seagal's Lightning Bolt“ bei Kräften halten, der - gemäß dem Ökoimage des überzeugten Vegetarianers - angeblich nur aus natürlichen Zutaten besteht. Der gläubige Buddhist wurde 1997 im Übrigen von dem tibetischen Lama Penor Rinpoche als Wiedergeburt des Tertön Chungdrag Dorje erkannt und darf seitdem den Titel eines Tulkus, eines buddhistischen Meisters tragen.
Seagal hat insgesamt sieben Kinder von vier verschiedenen Frauen. Von 1984 bis 1987 war er mit Soap-Star Adrienne Larussa („Zeit der Sehnsucht“) verheiratet. Als herauskam, dass Seagal zum Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht rechtskräftig von seiner Frau aus erster Ehe geschieden war, wurde die Ehe annulliert. Seagal war ohnehin längst mit dem 80er-Jahre-Sexsymbol Kelly LeBrock („Die Frau in Rot“) liiert, das er anschließend ehelichte und mit der er immerhin sieben Jahre verheiratet war. Eines seiner Kinder aus erster Ehe ist die in Japan sehr geschätzte Schriftstellerin Ayako Fujitani, die auch als Model und Schauspielerin („Tokyo!“) Karriere machte. Seit 2009 ist Seagal mit der mongolischen Tänzerin Erdenetuya Batsukh verheiratet.