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    "1917" erklärt: So entstand der außergewöhnliche One-Shot-Kriegsfilm von Sam Mendes

    Sogenannte One-Shot-Filme gibt es in der Filmgeschichte einige, doch es gab noch keinen des Ausmaßes von „1917“. Wie hat Sam Mendes das bewerkstelligt? Wir erklären es euch und haben dafür u. a. mit dem Filmemacher gesprochen.

    Universal Pictures

    In „1917“ erzählt Sam Mendes die Geschichte von zwei jungen Soldaten, die in einem Wettlauf gegen die Zeit eine wichtige Botschaft übermitteln müssen, um das Leben von 1.600 Kameraden zu retten. Dabei bleibt der Regisseur ganz eng bei seinen Hauptfiguren. Der Film spielt sich fast komplett in Echtzeit ab – und wirkt, als wäre er fast an einem Stück, beinahe in einem einzigen Take, gedreht worden.

    Doch im Gegensatz zum Beispiel zu „Victoria“ ist das nicht der Fall. „1917“ wurde nicht in einer einzigen Einstellung gedreht, sondern besteht aus einer Reihe von vielen zwar langen, aber dennoch separaten Aufnahmen, die dann zusammengefügt wurden. Er ist damit eher mit „Birdman“ oder Alfred Hitchcocks „Cocktail für eine Leiche“ vergleichbar – aber mit einem ganz anderen Ausmaß.

    1917

    „Das ist der erste One-Shot-Film, in dem sich über so eine weite Strecke bewegt wird, in dem es so viele technische Elemente gibt“, verrät uns Regisseur Sam Mendes persönlich im Interview.

    Er und sein Kameramann Roger Deakins haben sich dabei die ohnehin schon gewaltige Aufgabe noch schwerer gemacht: Die Kamera ist fast ständig in Bewegung, verharrt normalerweise nicht einfach mal auf einer schwarzen Wand, um einen Schnitt zu verheimlichen. Und weil sie sich ständig bewegt, es oft große Aufnahmen gibt, kann man auch die Filmcrew nicht so einfach „verstecken“. Doch wie geht das?

    6 Monate Vorbereitung

    „Ein bisschen Magie, ein bisschen Vorbereitung, eigentlich ziemlich viel Vorbereitung“, so Mendes‘ Antwort. Bei jedem Filmprojekt ist die Vorbereitung ein wichtiges Element. Es wird viel geprobt, Sets werden gebaut, Kostüme geschneidert, Ideen diskutiert. Doch hier war der ganze Prozess viel umfangreicher – und hatte einen anderen Schwerpunkt.

    „Wir haben sechs Monate daran gearbeitet, bevor wir überhaupt mit dem Drehen angefangen haben“, erklärt uns der Regisseur und verweist darauf, wie wichtig es war, mit den Schauspielern zu erarbeiten, „wo sie lang lauf müssen, wie weit die Wege sind und ganz wichtig: ihre Beziehung zu der Kamera.“

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    Der aus „Game Of Thrones“ bekannte Dean-Charles Chapman, der einen der jungen Soldaten spielt, verrät uns so im persönlichen Gespräch, dass dies am Ende dazu geführt habe, dass es „einfach drin war und du ohne groß nachzudenken, die richtigen Schritte gemacht hast“.

    Die von Sam Mendes herausgestellte Beziehung der Schauspieler mit der Kamera ist derweil für den zweiten Hauptdarsteller George MacKay das zentrale Ergebnis der Proben: „Jede Szene war wie ein Tanz, denn du musst auf so viele Dinge achten – nicht nur auf deine Mitspieler, sondern auch auf die Kamera. Was ist gerade zu sehen? Wohin musst du schauen? Wohin musst du gehen?“

    Proben auch für die Crew

    Denn die sechs Monate langen Proben nahmen auch Roger Deakins in Anspruch. Der in der Branche gerne auch als „Kameragott“ und „Meister über Licht und Schatten“ bezeichnete Deakins ist einer der Besten, wenn nicht sogar der Beste seines Faches. Doch auch er stand hier mit seinem Team vor einer komplett neuen Herausforderung. Er musste bei den Proben haargenau festlegen, wohin sich die Kamera passend zur Geschwindigkeit der Schauspieler jede Sekunde bewegt.

    Wichtig war, dass hier alles synchron ist. Passt das bei einem normalen Dreh nicht, wird eine Szene entsprechend angepasst, verkürzt, geschnitten. Die einzelne Einstellung ist in einem Standard-Hollywoodfilm dann am Ende im Durchschnitt unter 10 Sekunden (!!) lang. All das war hier nicht möglich. Nach sechs Monaten Proben stimmten alle Bewegungen von Darstellern und Crew so überein, dass die eigentlichen Dreharbeiten beginnen konnten.

    Chronologischer Dreh und die Wichtigkeit des Editors

    Hier wichen Mendes und sein Team vom üblichen Hollywood-Prozedere ab: „Wir haben den Film größtenteils chronologisch gedreht!“ Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass das doch eigentlich selbstverständlich ist, doch kaum ein Film entsteht in der Reihenfolge, in der die Szenen auch später im Kino zu sehen sind. Oft geben die Drehorte den Zeitplan vor, auch der Terminplan der Schauspieler ist wichtig. Es ist einfach kostengünstiger, nicht chronologisch zu drehen.

    Bei „1917“ machte man dies trotzdem und schnitt den Film auch gleich parallel: „Am nächsten Tag haben wir uns dann den Film bis zu dem Zeitpunkt angeschaut, wo wir jetzt sind, um den Rhythmus und den Fluss in die nächste Sequenz mitzunehmen.“ Laut Sam Mendes war dies „unglaublich nützlich, um die Energie der vorherigen Szene noch einmal zu fühlen und mitzunehmen.“

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    Aufgenommen wurde der Dreh dann nicht exakt an dem Moment, wo der aktuelle Filmrohschnitt gerade endet, sondern ein kleines Stück früher, um den Schwung mitzunehmen. Die Szenen wurden dann übereinandergelegt und im Schneideraum verbunden. Laut Mendes ist die längste einzelne Szene ohne Schnitt dabei elf Minuten, die meisten sind im Bereich von acht bis zehn Minuten und „dann gibt es noch ein paar, die etwas komplizierter waren und die wir daher etwas kürzer machen mussten“. Wir erinnern zum Vergleich noch einmal: der Hollywood-Durchschnitt ist bei unter zehn Sekunden (!).

    Weil Mendes und seine Darsteller direkt sehen wollten, wo und wie der Film sich bisher anfühlt, musste der für den Schnitt verantwortliche Editor Lee Smith Sonderschichten schieben. Er musste jeden Abend die Szenen für den nächsten Tag schneiden, die einzelnen Abschnitte zusammenbasteln und auf eine provisorische Filmmusik abstimmen, um Mendes, den Darstellern und der Crew den richtigen Einstieg zu ermöglichen. Der Schnittverantwortliche hatte also ausgerechnet in einem Film ohne sichtbaren Schnitt einen der wichtigsten und schwersten Jobs.

    Das Wetter als Risiko

    Eine Schwierigkeit brachte dabei das Wetter mit sich. Da jede Sequenz zu der vorherigen passen musste, war zu starker Sonnenschein und daraus resultierender, sich über den Tagesverlauf verändernder Schattenwurf genauso ein Problem wie Regen.

    Gedreht wurde daher hauptsächlich, wenn es bewölkt aber trocken war. Wenn am Morgen dagegen die Sonne da war, verbrachte die Crew den Tag einfach wieder mit Proben.

    Ständige Wiederholung

    Es kam so noch mehr zu der bereits in der Vorproduktion geschilderten ständigen Wiederholung aller Bewegungsabläufe, um sie perfekt intus zu haben – und das ging sogar weiter, wenn die Kameras dann endlich liefen: „Wir haben dieselbe Szene immer und immer wieder gedreht“, verrät uns so George MacKay, was für die Darsteller richtig anstrengend war, denn wenn das Licht mal stimmte, war keine Zeit für Pausen.

    „Weil du für den Dreh gerade 300 Meter gerannt bist, war jeder wieder bereit, wenn du zurückgekommen bist, sodass du gleich wieder loslegen durftest. Es war quasi Rennen, Zurücklaufen, Rennen, Zurücklaufen, Rennen, Zurücklaufen – gerade an Tagen, an denen das Wetter perfekt war“, so MacKay.

    Laut dem Schauspieler ging es in den ständigen Wiederholungen darum, „so nah wie möglich an ‚perfekt‘ heranzukommen. Zum Glück hatten wir ein Budget, welches es uns erlaubte, am nächsten Tag es einfach noch mal zu wiederholen, wenn wir es am Vortag nicht geschafft haben - solange bis wir alles so gut hinbekommen haben, wie es nur geht.“

    Eine starke Crew

    Das brachte nicht nur die Darsteller an die Grenzen, sondern auch die Crew, worauf Chapman im Gespräch mit uns verweist: „Das ganze Terrain, welches Blake und Schofield durchstreifen, und welches wir realistisch nachgebildet haben, musste auch die Crew durchlaufen. Und sie konnten nicht einen anderen, besseren Weg einschlagen, denn wir haben 360 Grad gedreht, haben alles aufgenommen“, die Crew musste sich deswegen immer „verstecken“, außerhalb des Sichtfeldes bleiben.

    Gerade die Mitglieder, welche die Kamera bzw. die entsprechenden Halterungen bewegen, waren gefordert. Denn auch wenn Mendes versuchte, die einzelnen Takes auf die technischen Erfordernisse abzustimmen, war die Kamera am Ende für viele der einzelnen Sequenzen nicht an einem festen Ort.

    Teilweise musste mitten in der Szene, ohne dass es der Zuschauer bemerkt, die Kamera vom Kran genommen, an ein Kabel gehängt, von dort wieder abgenommen und getragen werden oder sogar zwischendrin auf ein Fahrzeug gewechselt werden, um von dort zu filmen.

    Und während das Kamerateam um die sogenannten Grips die offensichtlichsten Crew-Mitglieder sind, die einen körperlich besonders herausfordernden Job hatten, erinnert uns Dean-Charles Chapman an eine Crew-Sektion, die gerne vergessen wird: die Sound-Leute! „Wenn wir rennen, dann rennt da immer jemand mit einer Tonangel hinter uns her und versucht mitzuhalten.“

    Neue Kamera-Prototypen aus Deutschland

    Dass die Kamera so viel transportiert werden musste, stellte die Macher übrigens vor ein weiteres Problem: Die modernen Filmkameras, die so bestechende Aufnahmen machen, wie es für „1917“ nötig war, erwiesen sich als zu groß - gerade für die langen Sequenzen in den Schützengräben.

    Doch ein Glücksfall half dem Team, wie Mendes ausführt: „Als uns klar wurde, dass man eine kleinere Kamera braucht, als es momentan auf dem Markt gibt, ist Roger Deakins zu ARRI [Anm.: dem bekannten Kamerahersteller] nach München gefahren. Die haben zufällig gerade an einem neuen Modell einer kleineren Kamera gearbeitet und uns die Prototypen überlassen. Zum Glück, denn wir haben damit eine Menge Sachen gemacht, die wir sonst nie hätten drehen können.“

    „1917“ läuft aktuell in den deutschen Kinos und ist unserer Meinung nach ein herausragender Film geworden, auch weil die One-Shot-Idee sich nicht wie ein Gimmick anfühlt, sondern essenziell für das Filmerlebnis ist. Mehr dazu erfahrt ihr nicht nur in unserer Kritik, sondern auch in der neuen Ausgabe unseres FILMSTARTS-Podcasts Leinwandliebe.

    "1917” im FILMSTARTS-Podcast Leinwandliebe

    In der aktuellen Folge unseres eigenen Podcasts Leinwandliebe geht es übrigens nicht nur um „1917“, sondern in der zweiten Hälfte auch um das Oscarrennen. Wir werfen einen Blick auf die Nominierten und verraten euch, wer die Favoriten in den Hauptkategorien sind.

    Im Podcast Leinwandliebe spricht Moderator Sebastian Gerdshikow wöchentlich mit FILMSTARTS-Redakteuren über den großen Kinofilm der Woche und ein wichtiges Newsthema. Abonniert uns gerne in eurer Podcast-App. Falls wir euch gefallen, gebt uns Sterne und erzählt anderen von der Leinwandliebe. Feedback werdet ihr am besten unter leinwandliebe@filmstarts.de los.

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