FILMSTARTS: Wir haben gerade darüber gesprochen, dass du mit „Blinded By The Light“ auch ein wenig vereinigen willst. Das ist dir meiner Ansicht nach sehr gut gelungen, weil du auch nicht auf andere draufhaust, sondern wirklich alle Figuren ihre Schattierungen und ihre eigenen Momente haben. Besonders deutlich wird dies natürlich bei dem Vater, der auf den ersten Blick der scheinbare Bösewicht dieser Geschichte ist. Aber wir lernen nach und nach einen gebrochenen Mann kennen, dem sogar eine der besten, kleinen Szenen des Films gehört, wenn er das Arbeitsamt verlässt und gebeugt die Straße runter läuft.
Gurinder Chadha: Ja, es war mir unglaublich wichtig, ihn nicht als Monster zu zeigen. Das hat man zu oft gesehen. Wir wollten sicherstellen, dass der Zuschauer ihn versteht – ähnlich wie bereits in „Kick It Like Beckham“. Auch da hast du verstanden, warum die Eltern ihr den Fußball verbieten wollten. Du wusstest, es sind dumme Gründe, aber du hast ihren Hintergrund akzeptiert. Und so ist es mit diesem Vater. Er hatte einen Traum und der hat sich nicht erfüllt.
Kulvinder Ghir spielt dies auch ganz großartig. Ich erinnere mich noch genau daran, wie wir die von dir angesprochene Szene gedreht haben, und ich in Tränen ausbrach, weil er so zerbrochen vom Arbeitsamt wegläuft, seine ganzen Körperbewegungen die Schmerzen förmlich herausschreien. Wir wollten außerdem mit ihm die andere Seite des Traums zeigen. Man darf nicht beschönigen, denn es gibt auch die Immigranten, die mit dem Traum von Arbeit hierherkamen und dieser hat sich für sie nicht erfüllt.
Aber mich freut sehr, dass du gesagt hast, wir haben „allen Figuren Schattierungen gegeben“, denn genau das war das Ziel. Der englische Nachbar ist so ein Beispiel, der für mich auch eine kleine Hommage an die wirklich großartigen englischen Nachbarn ist, die ich und meine Familie hatten und die uns Kinder damals immer unterstützt haben und einfach unglaublich liebenswürdig waren.
Bruch mit den Musical-Regeln
FILMSTARTS: Wo wir bei großartigen Szenen sind. Du hast schon oft Musicals inszeniert und auch in „Blinded By The Light“ gibt es typische Musical-Szenen, aber du spielst ganz wunderbar mit den Regeln des Genres. Da gibt es zum Beispiel diese Szene auf dem Marktplatz, wenn Javed plötzlich anfängt zu singen und sich eben nicht die typische Tanzeinlage entwickelt, sondern ihn alle erst einmal anschauen, als wäre er bekloppt – aber am Ende wird dann doch getanzt. Die Szene ist so realistisch, trotzdem unglaublich romantisch, aber eben nicht so kitschig.
Gurinder Chadha: Genau das war das Ziel. In Großbritannien sagen wir dazu: Ich behalte meinen Kuchen und esse ihn! Ich wollte eine romantische Szene machen, aber ich wollte eben nicht wieder den typischen Bollywood-Moment kreieren. Und das gibt es ja auch in echt. Leute setzen ihre Kopfhörer auf und singen plötzlich gedankenverloren mit oder machen das zumindest in ihrer Phantasie.
Mich freut es, dass dir ausgerechnet diese Szene gefallen hat, denn sie ist am Ende ein Drahtseilakt. Viele werden sie auch richtig cheesy finden. Ich finde, es ist heute auch schwieriger für solche romantischen Filme. Ich habe das Gefühl, dass im Kino immer mehr Genrefilme dominieren, die sehr strikten Regeln folgen. Doch ich will Regeln brechen, Sachen so vermischen, wie ich gerade Lust darauf habe. Und manchen Zuschauern ist das zu viel.
Wir haben anfangs sehr ausführlich über Politik geredet. Doch weil diese nur ein beiläufiges Hintergrundrauschen ist, höre ich auch immer wieder: Deine Filme sind zu froh, zu positiv, es braucht mehr Politik. Doch ich mache das, was ich tun will und glaube, ich habe nun nach vielen Jahren damit auch eine Art Marke erschaffen. Meine Filme sind romantisch, meine Filme sind froh und positiv, weil auch ich selbst mich so fühle.
So hat Bruce Springsteen auf "Blinded By The Light" reagiert
FILMSTARTS: Zum Abschluss muss ich natürlich unbedingt eine Frage stellen: Hat Bruce Springsteen den Film gesehen? Und wenn ja: Wie hat er reagiert?
Gurinder Chadha: Es ist ziemlich genau ein Jahr her, da hatte ich gerade den Director’s Cut fertiggestellt und mir gedacht: Ich muss Bruce den Film zeigen. Als er uns die Musikrechte gab, hat er zwar nie darauf bestanden, ihn zu sehen, doch mir war klar: Ich benutze all sein Werk, das er noch nie zuvor einem Filmemacher so umfangreich überlassen hat, er muss ihn sehen, er muss die Chance haben, sein Veto einzulegen und Änderungen zu verlangen.
Er war zu der Zeit mit seiner Show am Broadway und so habe ich dort ein kleines Kino an einem Sonntagnachmittag für Bruce und ein paar seiner Manager gemietet. Während sie den Film schauten, saß ich sehr nervös im Hintergrund, wo ich im Dunkeln und schräg von hinten nur wenig von seinen Reaktionen sehen konnte. Doch er lächelte oft, lachte auch einige Male und ich wurde ruhiger. Doch dann war der Film vorbei und es war komplett still. Die Manager wollten natürlich nichts sagen, bevor sie nicht die Meinung von Bruce kannten und er hat einfach nix gesagt.
Ich dachte nur: „Okay, das ist es. Irgendwas ist doch gewaltig schiefgelaufen.“ Ich ging runter, machte die Lichter an und wollte mich dann aus dem Saal rausstehlen, um ihm Zeit allein mit seinen Managern zu geben, als er mir plötzlich entgegenlief, mich in den Arm nahm, mir einen dicken Kuss gab und einfach nur meinte: „Danke, dass du dich so um meine Musik gekümmert hast. Es ist wunderschön. Ich liebe es. Bitte ändere kein einziges Detail.“
„Blinded By The Light“ läuft ab dem heutigen 22. August 2019 in den deutschen Kinos.