Egal wie weit die Meinungen der Kritiker bei einem Film auch auseinandergehen, ist in den allermeisten Fällen doch Verlass darauf, dass sich zumindest Variety und The Hollywood Reporter mehr oder weniger einig sind. (Das reicht hin bis zu den nur lauwarmen Besprechungen von Nicolas Winding Refns Meisterwerk „Drive“.) Aber im Fall des „Der König der Löwen“-Remakes widersprechen sich die Kritiken der beiden Branchen-Urgesteine scheinbar diametral.
So schreibt Variety-Chefkritiker Peter Debruge in seiner Kritik, dass der Film „von seiner rauschhaften Eröffnungsszene bis zum donnernden Trommelschlag des Endes näher an das Zeichentrick-Meisterwerk herankommt als alle Disney-Remakes zuvor“. Todd McCarthy wiederum spricht in seiner Besprechung für den Hollywood Reporter von einer „Cash Cow“ und dem wohl „konservativsten, am wenigsten überraschenden, die wenigsten Risiken eingehenden Film des aktuellen Jahrhunderts“. Ein offensichtlicher Riss, der aber längst nicht nur zwischen diesen beiden Kritikern besteht, sondern auch weit hinein in die FILMSTARTS-Redaktion und unsere Kommentarspalten reicht.
Alle haben denselben Film gesehen
Besonders auffällig dabei: Wenn man sich Texte zu Filmen durchliest, die die Kritikergemeinde in zwei Lager spalten, dann bekommt man oft das Gefühl, die Autoren hätten komplett unterschiedliche Filme gesehen. Aber im Fall von „Der König der Löwen“ ist das überhaupt nicht so. Vielmehr beschreibt fast jeder, egal ob in einer Lobeshymne oder einem Totalverriss, den Film praktisch exakt gleich: ein nahezu Eins-zu-eins-Remake mit (fast) perfekten fotorealistischen Animationen.
Aber was dann daraus abgeleitet wird, geht in komplett verschiedene Richtungen – auch bei uns. So erklärt Karin Jirsak in der offiziellen FILMSTARTS-Kritik:
Mit großer erzählerischer Vorsicht, aber dafür umso mehr technischem Mut setzt Jon Favreau mit dem bisher besten der aktuellen Disney-Remakes neue Maßstäbe im Animationskino, ohne dabei (allzu viel) vom unerreichbaren Charme des Originals einzubüßen.
Der König der LöwenIch selbst würde hingegen gute 3,5 Sterne geben:
Wenn ich in fünf bis zehn Jahren noch mal Lust auf „Der König der Löwen“ bekommen sollte, dann werde ich sicherlich wieder auf das Zeichentrick-Original zurückgreifen. Aber jetzt in diesem Moment halte ich das Remake als Ausdruck von dem, was inzwischen technisch möglich ist, für absolut bahnbrechend und ein Must-See. Quasi die Mondlandung unter den Animationsfilmen – eigentlich sinnlos, aber trotzdem ein riesiger Schritt für die Filmwelt.
Björn Becher ist zumindest bei starken 3 Sternen gelandet:
Die Neuverfilmung sieht von der ersten Sekunde an bombastisch aus. Trotzdem hat es eine ganze Weile gedauert, bis ich eine emotionale Verbindung aufbauen konnte. Erst mit dem Auftritt des von Seth Rogen großartig interpretierten Pumbaa hat es irgendwann „Klick“ gemacht. Dann hat Remake auch endlich Herz und Witz (in dieser Hinsicht wird das Original meiner Meinung nach sogar übertroffen).
Mit einem eher zwiespältigen Gefühl (knappe 3 Sterne) ist unsere Social-Media-Managerin Katharina Franke aus der Pressevorstellung gekommen:
Als ich nach dem Kino nach Hause kam und mich meine Katzen begrüßten, dann hatten die zwei Raubtiere doch deutlich mehr Emotionen als die leblosen sprechenden CGI-Tiere auf der Kinoleinwand. Ansonsten gibt es eben wahnsinnig beeindruckenden Fotorealismus - vom Fell der Tiere bis zum kleinsten Grashalm fühlte man sich wie in einer Tier-Doku. Doch nach der emotionalen Eröffnungssequenz gab es eigentlich nur noch Hochglanz-Langeweile, aufgelockert durch die lustigen Auftritte von Timon und Pumbaa, auch weil die Figuren mal mit ein paar Kultmomenten des Originals brechen.
Volle Kanne enttäuscht ist hingegen unser Chefredakteur Carsten Baumgardt (2,5 Sterne):
Der neue „König der Löwen“ ist visuell zweifellos beeindruckend, aber die Stimmen und Figuren verbinden sich für mich nicht zu einer Einheit. Vielmehr glaubt man sich in der Disney-Version einer Tier-Doku, die aber kaum Emotionen und keinerlei Magie verbreitet. Lediglich die Sidekicks Pumbaa, Timon und Zazu sorgen für einen gewissen Unterhaltungswert und deutliche Belebung. Und die enorme Werktreue zum Original provoziert die Frage: „Warum gibt es diesen Film überhaupt?“
Die Gründe für die Meinungsunterschiede
Am Ende sind es wohl vor allem zwei Punkte, einer philosophisch, der andere persönlich, die zu den so verschiedenen Wertungen führen – und beide Punkte lassen sich argumentativ kaum bis gar nicht auflösen.
Zum einen natürlich die Frage, wie man es bewertet, wenn ein Remake das Original quasi Szene für Szene, Einstellung für Einstellung werkgetreu nachbildet (mit Ausnahme der eingesetzten Animationstechnik natürlich). Wenn die Neuauflage für einen (fast) genauso gut funktioniert wie das Original, gibt man dann dieselbe Wertung oder zieht man schon mal aus Prinzip ein bis zwei Sterne ab? Auf dieses Dilemma gibt es natürlich keine generell gültige Antwort, das muss jeder mit sich selbst und seinem Geschmack ausmachen. (Kleiner Pro-Tipp: Deshalb nicht nur Wertungen anschauen, sondern die Kritiken ganz lesen, dann kann man ja für sich selbst erkennen, dass man gewisse Dinge ganz anders bewerten würde als der Autor, solange er diese nur nachvollziehbar beschrieben hat.)
Beim anderen Punkt wird es fast noch schwieriger. Da geht es dann nämlich um das berühmte Überspringen des Funkens. Karin schreibt in unserer FILMSTARTS-Kritik, dass es bei ihr nur wenige Minuten gedauert hat, bis sie die Technik hinter den Bildern vergessen konnte. Bei mir persönlich hat das wiederrum eine gute halbe Stunde gedauert – und Carsten wurde bis zum Abspann das Gefühl nicht los, in einer Tier-Doku wie „Die Reise der Pinguine“ mit einem vermenschlichten Off-Kommentar zu sitzen.
Nun ist das mit dem Funken natürlich immer so eine schrecklich unbestimmte Sache – aber beim neuen „Der König der Löwen“ spielt es trotzdem noch mal eine viel zentralere Rolle: Der Sprung hin zu den fotorealistischen Tieren (die sind hier noch mal unfassbar viel besser als noch vor drei Jahren in „The Jungle Book“ gelungen) ist schließlich ein Schritt, der den Zuschauer dazu zwingt, das Filmegucken noch einmal (fast) völlig neu zu lernen. Wie 1937 bei Disneys „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ oder bei der Einführung des Farbfilms führen derartige Innovationssprünge schließlich immer erst einmal zu auseinanderdriftenden Wahrnehmungen. Denn ganz unabhängig davon, ob man es nun als Schritt in eine strahlende oder eine doch eher düstere Zukunft einschätzt: Das „Der König der Löwen“-Remake ist nun mal ohne Wenn und Aber eine (tricktechnische) Revolution!
Und so wird man mal wieder daran erinnert, dass es in der Filmkritik kein „richtig“ oder „falsch“ gibt. Und zumindest ich halte das für eine sehr schöne Erkenntnis, denn genau deshalb wird es mir in diesem Job auch nach mehr als 20 Jahren nie langweilig.
„Der König der Löwen“ läuft ab dem 17. Juli 2019 in den deutschen Kinos.