In manchen Schnittfassungen von „Blade Runner“ fährt Replikanten-Jäger Rick Deckard (Harrison Ford) mit seiner Freundin Rachael (Sean Young) siegreich in den Sonnenuntergang. In anderen blickt das Paar einer ungewissen Zukunft entgegen. Und in wieder anderen wird sogar impliziert, dass auch Deckard selbst ein Replikant sein könnte. Wir haben uns die sechs verschiedenen Versionen des Films (die extra für die TV-Ausstrahlung gekürzten außen vor) noch einmal angeschaut und präsentieren sie euch hier in chronologischer Reihenfolge ihrer Veröffentlichung:
Die Workprint-Version:
Diese ursprüngliche, jedoch unvollständige Version des Films wurde 1982 vor Testpublikum aufgeführt und anschließend für lange Zeit aus dem Verkehr gezogen. Im Vergleich zur späteren Kinoversion beginnt der Workprint nicht mit einer schriftlichen Einführung in die Welt von „Blade Runner“, sondern lediglich mit einer kurzen Erklärung der Replikanten und deren Fähigkeiten. Auch die visuell eindrucksvolle Nahaufnahme eines Auges, mit der der Film sonst beginnt, fehlt hier komplett. Die Handlung kulminiert wie in allen anderen Versionen mit der Auseinandersetzung zwischen Roy Batty (Rutger Hauer), dem letzten Überlebenden der abtrünnigen Replikanten, und dem hoffnungslos unterlegenen Blade Runner Deckard im Versteck der Terroristen.
Batty rettet Deckard schließlich trotz der bestehenden Feindschaft das Leben, stirbt jedoch kurz darauf selbst - wie in seiner Programmierung vorgesehen – nach genau vier Jahren Betriebszeit auf dem Dach des Gebäudes. Im monsunhaften Regen spricht er seine berühmten letzten Worte:
„I've seen things you people wouldn't believe. Attack ships on fire off the shoulder of Orion. I watched C-beams glitter in the dark near the Tannhäuser Gate. All those moments will be lost in time, like tears in rain. Time to die...“
Am Ende des Monologs hören wir in dieser Fassung einen resümierenden Voice-Over von Harrison Ford (ein Stilmittel, das in dieser Fassung erst an dieser Stelle zum ersten Mal eingesetzt wird). Anschließend beginnt der Epilog. Dieser endet anders als in der Kinoversion in dem Moment, in dem sich die Aufzugtür hinter Rachael und Deckard schließt. Im Film finden sich noch viele weitere kleine Unterschiede zu den anderen Fassungen, diese sind jedoch vor allem technischer bzw. stilistischer Natur und verändern nicht den Kern der Handlung. Beispielsweise hört man in der Ur-Version häufig Durchsagen über Deckards Autoradio - und während der Dialoge wird häufiger zwischen den Figuren hin- und her geschnitten. Der Workprint wurde 1991 sehr zum Ärger von Ridley Scott als eine Art erster Director’s Cut in mehreren Kinos gezeigt und befindet sich mittlerweile auf verschiedenen Home-Video-Veröffentlichungen als Bonusmaterial.
Die San-Diego-Version:
Die San-Diego-Version wurde einmalig bei einem Testscreening in der kalifornischen Stadt gezeigt und nie veröffentlicht. Sie unterscheidet sich von der Kinoversion angeblich nur noch marginal. Die Einführung Roy Battys soll etwas anders ausfallen und das Ende, das schließlich auch für die US-Kinoversion verwendet wurde, eine Szene mehr enthalten.
Die US-Kinoversion:
Da Ridley Scotts ursprüngliche Vision dem Studio zu verkopft und düster war, wurden für die Kinoversion einige Änderungen an der Geschichte vorgenommen:
Man entschied sich, das ursprüngliche ambivalente Ende durch ein eindeutigeres, positiveres zu ersetzen. Das Schicksal der Liebenden hängt in dieser Version nicht in der Schwebe, Rachael und Deckard kommen mit ihrem Leben davon und flüchten mit dem Auto aufs Land. Für den neu gedrehten Epilog verwendete man aus Zeitgründen unverwendete Helikopter-Aufnahmen aus Stanley Kubricks „The Shining“.
Zudem wurde die Voice-Over-Narration aus dem Workprint, die dort nur in einer Szene am Schluss zu hören war, auf den gesamten Film ausgeweitet - ein höchst genervter Harrison Ford musste diese im Studio komplett neu einsprechen.
Die Internationale Version:
Für die internationale Veröffentlichung wurden einige Szenen erweitert bzw. verändert. Roy Battys Konfrontation mit seinem Erschaffer läuft hier beispielsweise etwas brutaler ab: Statt Tyrell einfach nur den Kopf zu zerquetschen, sticht er ihm hier mit seinen Fingern die Augen aus – ein symbolischerer Abgang als der in der Kinoversion. Außerdem wurden einige Kampfszenen am Ende des Films um wenige Einstellungen erweitert.
Der Director’s Cut:
Ridley Scott war unzufrieden damit, dass die Workprint-Version von 1991 von Warner Bros. als sein Director’s Cut vermarktet wurde, obwohl Musik und Effekte noch gar nicht fertiggestellt waren und er persönlich gerne die Möglichkeit gehabt hätte, noch Änderungen an dem Material vorzunehmen. Er distanzierte sich deshalb von der Fassung und bekam daraufhin vom Studio den Auftrag, ein Jahr später eine eigene, definitive Version von „Blade Runner“ anzufertigen. Aus Zeitgründen (Scott drehte gerade „Thelma & Louise“) war ihm dies jedoch nicht zu seiner vollständigen Zufriedenheit möglich und so war die unter dem Titel „Director’s Cut“ veröffentlichte Version in Wahrheit auch nur ein weiterer Kompromiss.
Dennoch wurden einige grundlegende, von Scott persönlich abgenickte Änderungen an der Geschichte vorgenommen: So fand beispielsweise die umstrittene, vom Regisseur bereits für die Urfassung gewünschte Einhorn-Sequenz ihren Weg zumindest im Teil zurück in den Film. Außerdem wurden die Narration und das „Happy End“ mit Deckard und Rachael im Auto komplett entfernt. Der Film endet wie die Workprint-Version damit, dass der Blade Runner das Origami-Einhorn von Gaff (Edward James Olmos) findet und sich an dessen Worte „too bad she won’t live, but then again, who does?“ zurückerinnert. Anschließend betritt er mit Rachael den Aufzug und der Abspann beginnt.
Bei der genannten Einhorn-Sequenz handelt es sich um einen Tagtraum von Deckard und um einen Hinweis darauf, dass dieser vielleicht selbst nicht ist, was er zu sein glaubt. Weil Gaff ihm ein Einhorn-Origami hinterlässt, stellt sich die Frage, ob Gaff möglicherweise Deckards Einhorn-Träume kennt und ihm das durch die Papierfigur mitteilen möchte. Das würde bedeuten, Deckard wäre selbst ein Replikant mit eingepflanzten Gedanken (denn woher sollte Gaff sonst von den Einhörnern wissen).
Für diese Auslegung der Szene spricht, dass sie von Sir Ridley höchstpersönlich vertreten wird. Dagegen jedoch auch so einiges, was sich im Film selbst befindet: Allein die körperliche Unterlegenheit Deckards ergäbe in Anbetracht dieser Theorie keinen Sinn. Wenn Roy Batty bereits am Ende seiner Lebensspanne steht und mit Deckard ein neuerer Replikant auf die Jagd geschickt wird, wieso ist dieser dann allem Anschein nach ein schlechteres und nicht mindestens ein gleichwertiges Modell?
Außerdem untergräbt diese Deutung der Ereignisse die zentrale Botschaft des Films. Wenn beide Männer am Ende Roboter waren, wieso stellt man deren Menschlichkeit dann überhaupt gegenüber? Welche Implikationen hat dieser Twist für Deckard und seine Zukunft, abgesehen von der Gewissheit, dass Menschen ihre Schöpfung belügen und missbrauchen. Wer lernt am Ende irgendetwas aus dieser Version der Ereignisse?
Ridley Scotts Final Cut:
Ridley Scott bekam am Ende doch noch einmal die Gelegenheit, seine eigene, endgültige Version des Filmes fertigzustellen. Diese wurde 2007 als Final Cut veröffentlicht. Allein optisch ist dies die schönste Version des Materials und auch der Szenenfluss ist um einiges verbessert worden. Der Einhorn-Traum befindet sich erstmals in seiner Gesamtheit im Film, die Szene ist im Vergleich zum Director’s Cut acht Sekunden länger. Auch die Sequenz, in der Tyrell sein grausames Ende findet, wurde noch einmal überarbeitet und ist jetzt etwas länger und dadurch noch um einiges blutrünstiger.
Die visuell stärkste Verbesserung kommt in einer der letzten Szenen des Filmes: Die Taube, die von Roy Batty bei seinem Tod losgelassen wird, erhebt sich nicht mehr in einen unpassend blauen Himmel, sondern in die schmutzige, vollgerußte Luft, die auch im Rest des Films zu sehen ist.
Das Finale ist ansonsten mit dem des Director’s Cuts nahezu identisch.