Durch das Kameraobjektiv auf das eigene Leben geschaut
Der Traum vom eigenen Film, vom eigenen Namen da oben auf der Leinwand – wen das Kino so richtig packt, der kann diesen Wunsch leicht nachvollziehen. Und Thomas träumt ihn sogar gleich mit einem klaren Ziel: Er will später einmal werden wie Miloš Forman, der oscarprämierte tschechische Regisseur von „Amadeus“ und „Einer Flog über's Kuckucksnest“. Und als er von seinen Eltern zum elften Geburtstag tatsächlich eine Kamera geschenkt bekommt (für den eigentlich gewünschten Urlaub am Meer reicht es allerdings mal wieder nicht), macht er sich mit seinem besten Freund Harris sofort daran, einen eigenen Film zu drehen.
„Ab ans Meer“ ist ein Film, dessen Plot bis vor ein paar Jahren noch gar keinen Sinn ergeben hätte. Aber heutzutage nimmt sich ein Kind eine Kamera und einen Computer – und dreht halt einen Film. Thomas hat sichtlich Spaß am Spiel mit dem Medium: Da kommen immer wieder kleine Tricks zum Einsatz, die vierte Wand wird durchbrochen, er erzählt etwas aus dem Off... Regisseur und Autor Jiří Mádl hält dabei bis zuletzt erfolgreich die Illusion aufrecht, dass der Kinobesucher hier tatsächlich Thomas’ eigenen Film sieht – so konsequent bleibt er auf Augenhöhe mit seinen zwei Protagonisten.
Zugleich ist Thomas aber auch wirklich ein überzeugender Kandidat für so ein Unterfangen, denn er hat von Anfang an klare Vorstellungen davon, wie so ein Film auszusehen hat: „Jeder Film braucht eine Intrige“, stellt er gleich zu Beginn fest - und macht sich dann sogleich daran, das große Geheimnis zu lösen: Was macht eigentlich sein Vater, wenn er vormittags heimlich das Haus verlässt? Hat er womöglich eine Geliebte? Eltern sind die großen Unwägbarkeiten in „Ab ans Meer“, diese seltsamen Wesen, die von ihren heranwachsenden Söhnen längst nicht mehr völlig unkritisch gesehen werden – und sie sorgen auch für einen großen Twist in der Handlung, der in den Kern des Films eine große Ernsthaftigkeit einpflanzt, selbst wenn der Ton anschließend bald wieder so frech und aufmüpfig wird wie zuvor.
Es sind hier schließlich zwei Heranwachsende zugange, die sich über arrogante Schlägertypen aufregen, über Mädchen spekulieren und überhaupt versuchen, sich einen Reim auf die Welt zu machen. Es geht dabei, man ahnt es schon, gar nicht ums Meer und um den Urlaub, den Thomas’ Eltern ihm seit Jahren versprechen, und auch nicht um das Meer der kroatischen Küste, von der Harris vor vielen Jahren nach Tschechien gekommen ist. Es geht da um Sehnsucht (eine erste Liebe ist natürlich auch im Spiel, es ist schließlich ein Film!), um Zukunft und vielleicht auch darum, dass Eltern nicht vollkommen sind. Der Stoff eben, aus dem Kino gemacht wird, auch wenn es erst einmal noch kleines Kino ist.
Rochus Wolff, Jahrgang 1973, ist freier Journalist und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern im Grundschulalter in Berlin. Sein Arbeitsschwerpunkt ist der Kinder- und Jugendfilm; seit Januar 2013 hält er in dem von ihm gegründeten Kinderfilmblog nach dem schönen, guten und wahren Kinderkino Ausschau.