Titel: Sunset
Genre: Adventure
VÖ-Termin: 21. Mai 2015
Altersfreigabe: keine Angabe
Plattformen: PC
Entwickler: Tale of Tales
Der FILMSTARTS-Gaming-Tipp für... feinsinnige Rumschnüffler!
Nicht alle Freiheitssuchenden ziehen auf der amerikanischen Landmasse gen Norden. Als Angela Burnes ihre Heimat Baltimore 1972 verließ, um nach Lateinamerika zu gehen, wollte sie ein besseres Leben finden, weg von der zunehmenden Straßengewalt und Armut. Ihre Vergangenheit als College-Studentin und Mitglied der Black Panther hinter sich lassend, heuerte sie schließlich in San Bavón im Staat Anchuria als Haushaltshilfe an – nur um dort erneut ins Zentrum ziviler Unruhen zu geraten. Während Anchuria langsam aber sicher in einen Bürgerkrieg abrutscht, kommt Angela jeden späten Nachmittag in das Appartement des neureichen Kunstsammlers und Unternehmers Gabriel Ortega. Sie leert seine Aschenbecher, wischt seinen Boden, räumt seine Bücher zurück ins Regal und sortiert die Unterlagen auf seinem Schreibtisch. Ihre Neugier lässt sie in Dokumente linsen, Jackentaschen leeren und Briefe lesen, um Stück für Stück den Mann hinter all dem Reichtum und dessen Verwicklungen mit den Putschisten zu offenbaren. Durch Notizzettel kommunizieren Gabriel und Angela Tag für Tag, lernen sich besser kennen und beeinflussen einander. Welche Rolle wird Gabriel noch in der vermeintlichen Revolution spielen? Wird Angela ihm helfen oder sich doch für die Seite ihres Bruders entscheiden, der die gegnerischen Rebellen unterstützt? Jede Entscheidung Angelas zum Sonnenuntergang könnte das Schicksal des (fiktiven) Staates Anchuria in ungeahntem Maße verändern.
„Sunset“ ist das ambitionierte, kunstvolle und kulturpolitisch brisante Spiel von Indie-Entwickler „Tale of Tales“, das sich gekonnt das Herumschnüffeln in einer verlassenen Wohnung als Hauptspielelement zunutze macht. Kritiker-Goldkind „Gone Home“ machte 2013 vor, wie die unbeaufsichtigten Besitztümer eines einsamen Familienhauses intimste Details über seine Bewohner verraten können. „Sunset“ ändert diesen Fokus, indem die emotionale Welt des Beobachteten sowie der Schnüfflerin selbst im Zentrum stehen und nicht nur private, sondern auch politische Motive und Einstellungen auf den Prüfstand kommen. Stets aus Angelas Ego-Perspektive betrachtet, erforscht der Spieler hier nicht nur passiv die Räume des Appartements, sondern kann aktiv entscheiden, wie sorgfältig oder lieblos sie welche Aufgaben bewältigen will, welche Nachrichten sie Gabriel hinterlässt und ob ein wichtiger Gegenstand mitunter spurlos verschwindet oder gar wie durch ein Wunder am richtigen Platz zur richtigen Zeit wieder auftaucht. „Sunset“ ist eine geruhsame, sensible Meditation über politische und romantische Spannungen. Und zugleich kann es die ultimative Manipulationsphantasie eines jeden sein, der schon mal alleine in einer fremden Wohnung stand und dachte: „Was ich hier alles tun könnte, wenn man mich nur nicht erwischen würde…“
Und das meint der Filmkritiker in uns...
Angela Burnes Neigung zum Durchsuchen und subtilen Manipulieren einer fremden Wohnung ist nicht nur extrem nachvollziehbar und verlockend – es ist auch ein wohlergründetes, wenn auch eher obskures Thema in der Filmgeschichte. Wong Kar-Wais „Chungking Express“ ließ 1994 die junge Faye (Faye Wong) ihre geheime Liebe zum Polizisten 663 (Tony Leung Chiu Wai) ausdrücken, indem sie sich heimlich in seiner Abwesenheit in seine Wohnung stiehl, um das Appartement und Leben des Polizisten mit Liebe zu füllen. Die Titelheldin von „Die fabelhafte Welt der Amelie“ ließ sich zu ähnlichen Eskapaden in den Räumlichkeiten ihrer Mitmenschen hinreißen. Diese Filme offenbaren wie auch „Sunset“ unser Bedürfnis, anderen Menschen nahe zu sein, Grenzen zu durchdringen, die uns sonst eigentlich (zu Recht) verboten bleiben. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass neben dem harmlosen Voyeurismus insbesondere die Umbrüche eines lateinamerikanischen Staates den Rahmen der mitreißenden Geschichte bilden, dessen Implikationen brisant sind, sei San Bavón nun fiktiv oder nicht. Das Schicksal von Anchuria ist kein Einzelfall – genauso wenig wie das Leben einer Haushälterin, die immer mehr in das Leben des Hausherren verstrickt wird. Fausta (Magaly Solier) im peruanischen „Eine Perle Ewigkeit“ kann davon ein Lied singen. Doch Schnüffelei, Haushaltshilfe und Revolution hin oder her – „Sunset“ macht mal wieder richtig Lust auf das allzu oft ausgeklammerte lateinamerikanische Kino!
Ein Spiel für Fans folgender Filme:
Fazit: „Sunset“ ist ein Spiel für Menschen mit Geduld, Sinn fürs Detail und dem Willen, sich der Gefühlswelt vermeintlich ganz andersdenkender Menschen zu öffnen. Die besondere Perspektive der ausländischen Haushaltshilfe in einem Land des politischen Umbruchs macht die Geschichte von „Sunset“ sehr speziell und universell zugleich – ein Muss für alle Liebhaber anspruchsvoller Spiele.