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    "In jeder Hinsicht eine Provokation": Das große FILMSTARTS-Interview mit "Civil War"-Regisseur Alex Garland!
    Christoph Petersen
    Christoph Petersen
    -Chefredakteur
    Schaut 800+ Filme im Jahr – immer auf der Suche nach diesen wahrhaftigen Momenten, in denen man dem Rätsel des Menschseins ein Stück näherkommt.

    In „Civil War“ von Alex Garland stecken die USA mitten in einem Bürgerkrieg. Angesichts der aktuellen Weltsituation fühlt sich das gespenstisch realistisch an. Wir haben den „Ex Machina“-Regisseur in einem Berliner Hotel zum Interview getroffen.

    Alle reden gerade über „Civil War“ (» zur ausführlichen FILMSTARTS-Kritik), der sich am vergangenen Wochenende bereits mit starken Zahlen auf Platz 1 der US-Kinocharts geschoben hat. Also machen wir das jetzt auch – und zwar mit Regisseur und Drehbuchautor Alex Garland („Auslöschung“) höchstpersönlich. Im Berliner Soho House wollen wir von ihm wissen, wie er auf Kirsten Dunst als Hauptdarstellerin gekommen ist, ob ihn auch Zombiefilme zu seinem dystopischen Roadmovie inspiriert haben und warum aktuell alle politischen Lager so viel Angst vor „Civil War“ haben…

    FILMSTARTS: Wir sprechen hier gerade am Montagmorgen nach dem ersten Wochenende von „Civil War“ in den US-Kinos miteinander. Aber soweit ich es mitbekommen habe, hat sich im aktuell tobenden Kulturkampf noch keine der Seiten den Film zu eigen gemacht. In meinen Augen ist das ja bereits ein großer Erfolg…

    Alex Garland: Der Film ist eben in jeder Hinsicht eine Provokation. Wenn ich all die Attacken der letzten Tage zusammenzähle, dann kommen sie sogar überwiegend von linker Seite. Alle haben Angst, dass der Film vielleicht sogar gerade gegen sie gerichtet sein könnte, aber das stimmt nicht. Ich habe überhaupt kein Interesse an dem ganzen „Rechts Vs. Links“, denn dazu gibt es schon genug dort draußen in der Welt, da muss ich nicht auch noch etwas dazu sagen. Mir geht es im Film eher um Zentrismus gegen Extremismus. Das ist ebenfalls politisch, aber ein anderer Blickwinkel, als wir ihn sonst meist haben. Ich mache mir keine Sorgen, wer gewählt wird – solange man die Regierung nur wieder abwählen kann. Dass das womöglich irgendwann nicht mehr so einfach möglich ist, das macht mir tatsächlich Angst.

    Civil War
    Civil War
    Von Alex Garland
    Mit Kirsten Dunst, Wagner Moura, Cailee Spaeny
    Starttermin 18. April 2024
    Vorführungen (381)

    FILMSTARS: Es war ja im Vorhinein nicht zwingend absehbar, ob das Publikum gerade in der aktuellen Situation Bock auf einen solchen Film hat. Nun ist „Civil War“ in den USA ja zum Glück sehr stark gestartet. Aber in Anbetracht des Umstandes, dass dies die teuerste Produktion in der Geschichte des Studios A24 war: Fühlst du dich persönlich eigentlich auch für den finanziellen Erfolg deiner Filme verantwortlich? Oder bist du jemand, der allein das Filmemachen als seinen Job betrachtet – und der Release ist dann die Sache von anderen?

    Alex Garland: Ja, so einer bin ich. Aber das heißt nicht, dass es mir egal ist. Man muss sich da selbst ein Stück weit austricksen, denn während der Dreharbeiten ist es wichtig, dass ich mir nicht ständig Sorgen darum mache, ob das jetzt eine sichere Investition für das Studio wäre. Ich mache den besten Film, den ich kann – und zwar nach meinen eigenen Kriterien, was gut ist und was nicht.

    Auf der anderen Seite besteht so ein Studio aber natürlich auch aus Menschen, die ich persönlich kenne – und in gewisser Weise gehen sie sogar ein größeres Risiko ein als ich, und dafür sollten sie möglichst belohnt werden. Zudem muss man das große Bild im Auge behalten: Wir haben eine lange Periode durchlebt, in der Franchises das Kino dominiert haben. Da kosteten Filme entweder 200 Millionen oder zwölf Millionen – und dazwischen gab es quasi nichts mehr. Ich halte das nicht für gesund und ich will, dass A24 mit Filmen wie „Civil War“ Erfolg hat – nicht nur als Macher, sondern auch als Zuschauer, der wieder mehr solche Filme sehen will.

    Webedia
    Alex Garland und FILMSTARTS-Chefredakteur Christoph Petersen beim „Civil War“-Interview im Berliner Soho House.

    FILMSTARTS: Was ich wahnsinnig interessant fand, ist dein Spiel mit Authentizität und Genre. Wenn eine Miliz ein Haus mit feindlichen Kämpfern stürmt, dann ist die Kamera ganz nah dran, es gibt keine Schnitte und keine Musik. Eine fast schon dokumentarische Szene, die so intensiv ist, dass man im Kino wohl selbst das Fallen einer Stecknadel vernommen hätte. Aber dann gibt es den ersten Kill – und plötzlich geht der Rest des Einsatzes in eine schnell geschnittene Montage mit Hip-Hop-Musik über. Das Publikum kann durchatmen, es erhält durch diese Genre-Elemente die Sicherheit zurück, „nur“ in einem Film zu sein. Wie bist du an das Zusammenfügen dieser unterschiedlichen Ebenen herangegangen?

    Alex Garland: Ganz ehrlich, um in diese Frage wirklich einzusteigen, bräuchten wir jetzt mindestens 45 Minuten. Es geht schon damit los, was in einem Film überhaupt Authentizität ausmacht, wie genau da die filmische Grammatik funktioniert? Was fühlt sich für uns an wie Film, was fühlt sich an wie Realität? Das ist wirklich kompliziert. Manchmal nutzte ich in „Civil War“ eine klare Kino-Sprache – also Close-Ups, Wide Shots, Musik, Sounddesign. All das ist bekanntes Terrain. Aber dann geht es darum, dieses aufzubrechen, Dissonanzen zu schaffen. Etwa mit dem plötzlich einsetzenden Hip-Hop-Track von De La Soul. Was ist so erschütternd daran? Wohin führt er uns? Ich kann das alles nicht in eine simple Antwort pressen, weil es in Wahrheit alles andere als simpel ist.

    FILMSTARTS: Zu Beginn, wenn sich Lee an ihre früheren Einsätze in Kriegsgebiete zurückerinnert, sieht man einen Mann, der mit einem Autoreifen gefesselt und angezündet wird. Das sieht erschreckend echt aus, aber ihr habt doch keine realen Aufnahmen genutzt, oder etwa doch?

    Alex Garland: Nein, aber ich verstehe, warum Leute das glauben könnten. Es ist diese sehr spezielle Art, Menschen zu töten – verbunden mit einem bestimmten Ort und einer bestimmten Zeit. Wir haben es schon auf eine realistische Art gedreht, aber diese Ähnlichkeit zu bekannten Newsbildern verleiht dem Material diese merkwürdige extra Schwingung von Wahrheit. Und selbst wenn man versteht, dass es nur inszeniert ist, weiß man doch auch, dass genau solche Dinge tatsächlich passiert sind. So oder so entfaltet die Szene ihre Wirkung.

    A24 / DCM
    „Civil War“ ist Kirsten Dunsts erster Film seit ihrer oscarnominierten Rolle im Netflix-Western „The Power Of The Dog“.

    FILMSTARTS: Kirsten Dunst hat vor „Civil War“ drei Jahre lang keinen Film gedreht – sie ist also keine Schauspielerin, die eh gerade bei jedem zweiten Projekt ganz oben auf der Liste steht. Wie kamst du auf sie?

    Alex Garland: Offensichtlich ist sie eine sehr gute Darstellerin. Und bei Filmen wie diesem ist es gefährlich, Leute anzuheuern, die vor allem über ihr Charisma funktionieren, man braucht „echte“ Schauspieler. Das ist nicht bei allen Filmen so, oft reicht es selbst bei großen, ernsthaften Produktionen, wenn der Star das nötige Charisma mitbringt und das Publikum so für sich gewinnt. Aber bei „Civil War“ ist das nicht der Fall – und ich meine das gar nicht als Wertung, sondern als Fakt. Darüber hinaus sehe ich in ihr, egal ob sie einen großen Blockbuster oder einen kleineren Film mit Lars von Trier dreht, immer eine solche Seelenfülle, fast schon eine gewisse Traurigkeit. Das hat einfach perfekt gepasst.

    FILMSTARTS: Eine andere Casting-Entscheidung, die ich im Rückblick ziemlich genial finde, ist Nick Offerman. Ich kenne ihn vor allem aus „Parks And Recreation“ – und als bekannt wurde, dass er den Präsidenten spielen wird, dachte ich natürlich sofort an eine Trump-Parodie. Aber dann spielt er die Rolle mit einer Ernsthaftigkeit, fast schon Tragik, die einen total überrascht…

    Alex Garland: Ich habe mit Nick bereits an einer Serie namens „Devs“ gearbeitet und weiß deshalb, was er draufhat. Das ist übrigens bei vielen Comedians so, dass sie in Wahrheit auch sehr gute Drama-Darsteller sind – sie tun es nur oft nicht. Das andere ist, dass es schwerfällt, ihn exakt einzuordnen. Er sendet sehr gemixte Signale, wofür genau er eigentlich steht. Hätte ich einen Schauspieler wie zum Beispiel Jon Voight besetzt – dann hätte allein schon das Casting verraten, was man von diesem Präsidenten zu erwarten hat. Aber nicht so bei Nick, da ist es sehr viel komplizierter.

    FILMSTARTS: Ich bin ja nicht der Einzige, der sich bei der dystopischen Roadmovie-Struktur von „Civil War“ an die „… Of The Dead“-Filme von George R. Romero erinnert gefühlt hat – quasi ein Zombiefilm, aber ohne die schützende Abstraktionsebene der Untoten. War das auch für dich eine Inspiration?

    Alex Garland: Ich habe darüber nicht bewusst nachgedacht, aber es ist ja immer kompliziert zu sagen, was einen nun bewusst und was vielleicht auch nur unterbewusst beeinflusst hat. Mein Film, der am deutlichsten von George R. Romero inspiriert wurde, ist schon mehr als 20 Jahre her, nämlich „28 Days Later“. Schließlich habe ich als Jugendlicher „Dawn Of The Dead“, Day Of The Dead“, „Night Of The Living Dead“ und eigentlich all die „Dead“-Filme gesehen. Danny Boyle steht kurz davor, die erneut von mir geschriebene Fortsetzung „28 Years Later“ zu drehen, in sechs Wochen soll’s losgehen. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich an all das bei „Civil War“ nicht gedacht. Es ging mir um selbst Erlebtes, um reales Nachrichtenmaterial, um Dokumentationen – das war das Mindset, mit dem ich hier unterwegs war.

    „Civil War“ läuft seit dem 18. April in den deutschen Kinos. Wenn ihr euch noch entscheiden müsst, ob ihr den Film sehen wollt oder nicht, empfehlen wir euch die neuste Folge unseres Podcasts Leinwandliebe, in der wir ausführlich über die verschiedenen Aspekte von „Civil War“ diskutieren:

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