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    W. - Ein missverstandenes Leben
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    W. - Ein missverstandenes Leben
    Von Jan Hamm

    Am 04.11.2008 gipfelte der Kampf um die US-Präsidentschaft - und damit ein beispielloses Medienevent - in einer historischen Wahlnacht. Gewählt wurden Barack Obama und sein Mantra des Wandels, abgewählt die Republikaner und damit die Politik des Kabinetts um George W. Bush, der längst zu den unbeliebtesten Präsidenten der US-Geschichte zählt. Seinem Nachfolger hinterlässt er mit zwei Kriegen, einer desolaten Wirtschaftslage und zahllosen innenpolitischen Baustellen eine gewaltige Erblast. Wie konnte es so weit kommen? Kritische Rückschau ist zumindest des Noch-Präsidenten Sache nicht: „Wenn ich nach Texas zurückgehe und dort in den Spiegel schaue, bin ich stolz auf das, was ich sehe.", verkündete ein selbstbewusster George W. Bush bei seiner finalen Pressekonferenz. Zahlreiche Historiker hat er bereits nach Washington bestellt und um Prognosen zur künftigen Beurteilung seiner Amtszeit gebeten. Ausgerechnet das enfant terrible des US-Politfilms, Oliver Stone, ist ihnen dabei zuvor gekommen. Mit seiner Vietnam-Trilogie (Platoon, „Geboren am 4. Juli“, „Zwischen Himmel und Hölle“), zwei gewagten Besuchen im Weißen Haus (JFK, Nixon) und dem Ground Zero-Drama World Trade Center hat der Autor und Regisseur stets die schonungslose Aufarbeitung amerikanischer Traumata voran getrieben. Von Konservativen gefürchtet und Linken bejubelt, schwingt sich Stone einmal mehr zum Chronisten auf und lässt die Bush-Regierung Revue passieren. Doch der liberale Befreiungsschlag bleibt aus. Seine biographische Collage „W.“ ist eine unerwartet zahme und gefühlvolle Annäherung an den Privatmensch George Walker, deren politische Ambition nicht über die bloße Rekonstruktion hinlänglich bekannter Episoden hinausreicht.

    George W. Bush (Josh Brolin, No Country For Old Men), von seinen Freunden liebevoll Dubya gerufen, ist der jünste Sproß einer einflussreichen texanischen Familie. Doch was er mit seinem Dasein anfangen soll, weiß er nicht. Perspektivlos irrt er von Job zu Job und gibt sich einem hedonistischen Lebensstil hin. Stets im Schatten seines Bruders Jeb (Jason Ritter) stehend und im fieberhaften Bestreben, der offensiven Geringschätzung seines Vaters (James Cromwell, Die Queen, Geliebte Jane) zu begegnen, schlägt er schließlich eine politische Laufbahn ein, die zahllose Etappensiege später im Oval Office endet. Dann brechen die Ereignisse des 11.September 2001 über ihn herein und zwingen den frischgebackenen Präsidenten zum Handeln. Vizepräsident Dick Cheney (Richard Dreyfuss, Poseidon, Der weiße Hai) legt Geheimdienstberichte über eine irakische Beteiligung an den Anschlägen vor und drängt zum Krieg gegen Saddam Hussein. Die massiven Einwände seines Außenministers Colin Powell (Jeffrey Wright, Ein Quantum Trost, Syriana) übergehend, segnet Bush den Plan ab und macht mobil. Später erfährt er, dass es keine Massenvernichtungswaffen im Irak gab, und dass er das Land, zu dessen Schutz er einst angetreten ist, ins politische Abseits manövriert hat. Einsam und unverstanden muss Dubya vor Amerika und seinem Vater Rechenschaft über seine fatalen Amtshandlungen ablegen...

    Die Frage, wie die Historiker einst auf Bush zurückblicken werden, greift Stone bereits in der ersten Einstellung auf. Inmitten eines nächtlichen Baseballstadions, getaucht in grelles Scheinwerferlicht, steht eine einsame Gestalt, die Arme triumphal zur Siegergeste emporgereckt. Nur sie hört den ohrenbetäubenden Applaus, der ihr von den menschenleeren Zuschauerrängen her entgegenwogt. Ein spöttisches Bild, und doch voller Mitleid. Wer ist dieser Mann, der sich gerne mal mit verkehrt herum gehaltenen Büchern ablichten ließ, dieser Weltmeister der ulkigen Grimassen, der die Tragweite seiner Entscheidungen nie so ganz zu begreifen schien? Stone ist nicht gekommen, um ihn zu richten. Er will verstehen, was die Bush-Maschinerie antreibt. Sein Blick ruht dabei vor allem auf der konfliktreichen Beziehung zwischen Vater und Sohn. In mit der Haupthandlung verwobenen Rückblenden schildert „W.“ ein nahezu ödipales Verhältnis zwischen Sehnsucht und Verachtung. „Who do you think you are? A Kennedy?“, faucht Bush Sr. seinen Sohn an, nachdem dieser mal wieder einen Job hingeschmissen hat. „I am deeply disappointed.“, seufzt es aus dem Telefonhörer, den Bush Jr., der wegen Trunkenheit am Steuer einsitzt, in der zittrigen Hand hält. Sein christliches Erwachen provoziert einmal mehr den Hohn des Patriarchen und selbst mit der Kandidatur für den texanischen Gouverneursposten kann der um Beachtung kämpfende Sohn das Eis nicht durchbrechen.

    Der Schnelldurchlauf durch Jugend und frühe Politkarriere lebt vor allem von den grandios aufspielenden Darstellern. Brolin imitiert Bush nicht bloß, er interpretiert den Mann hinter dem Amt vielmehr als Draufgänger mit sympathischem Redneck-Charme – also keineswegs als Inbegriff des Desasters. Sein Gegenpart Cromwell gleicht die mangelnde optische Ähnlichkeit mit Bush Senior durch ein zurückhaltendes, fast bedrohliches Spiel locker aus. Als Familiendrama funktionieren die zahlreichen Rückblenden hervorragend. Ob die Reduktion auf Bushs Geltungsbedürfnis allerdings ausreicht, um hinter seine späteren Amtshandlungen zu blicken, ist höchst fragwürdig. Legte Stone mit „JFK“ noch eine eigene, kontroverse Theorie zum Kennedy-Attentat vor, begnügt er sich dieses Mal mit einer simplifizierenden Nacherzählung längst bekannter Hintergründe. Wenn der sinister aufspielende Richard Dreyfuss als Dick Cheney auf die Frage nach einem Rückzugsplan aus dem Irak mit einem achselzuckenden „There is no exit. We stay!“ reagiert, ist offensichtlich, wo Stone die eigentlichen Übeltäter verortet - und wen er von Schuld freispricht. Jeffrey Wright gibt als Colin Powell die Stimme der Vernunft, mehr als ein tadelndes „Diplomatic bullshit!“ erntet er damit nicht.

    Stones Version des Bush-Kabinetts repliziert ein Bild, das sich die linke Öffentlichkeit schon vor Jahren zurechtgelegt hat. Gewagt oder gar erkenntnisreich ist sein Blick in die Schattenwelt des Weißen Hauses zu keinem Zeitpunkt. Mitsamt den Figuren reduziert er auch die Chronologie auf wenige Etappen. Die Anschläge vom 11. September werden bestenfalls implizit verhandelt, andere für die US-Wahrnehmung der Regierungsarbeit zentrale Themen wie etwa die Hurrikan-Katastrophe in New Orleans bleiben ganz außen vor. Wie spannend wäre es gewesen, Brolins Interpretation der privaten Reaktionen auf all diese Ereignisse mitzuverfolgen. Wie viel mutiger und detaillierter wäre Stones dritte Aufarbeitung einer amerikanischen Präsidentschaft damit gewesen. So kommt „W“ als politischer Film nie über eine herkömmliche Geschichtsstunde hinaus.

    Bush als Menschen mit Stärken und Schwächen einzufangen, gelingt hingegen ausgesprochen gut. Über höhnische Spitzen macht Stone das einfache Gemüt seiner Titelfigur greifbar, etwa wenn Bush bei der Durchsicht der von Cheney vorgelegten Folter-Erlässe kurz innehält, ehe ihm das gesuchte Wort – die Genfer Konvention – in den Sinn kommt. Sobald Dubya aber den Womanizer rauskehrt und mit rauh-naivem Charme das Herz seiner späteren Gattin Laura (Elizabeth Banks, Spider-Man 3) erobert, hat er die Sympathien wieder auf seiner Seite. Und wenn er dann selbst in seinen Träumen von der Übermacht des Vaters verfolgt wird, ist Mitleid vorprogrammiert. Mitleid wohlbemerkt für eine fiktive Filmfigur, deren Bezug zum realen Vorbild in derartigen Szenen mit einem dicken Fragezeichen versehen werden muss. Stone sah sich für den empathischen Umgang mit seinem Protagonisten gar mit Apologetik-Vorwürfen konfrontiert. Doch weit gefehlt! Während „W.“ als politisches Statement einige Jahre zu spät kommt und sich in einer braven History Lesson erschöpft, ist es gerade die Ambivalenz des Film-Bushs, die den Portrait-Aspekt stimmig abrundet. Die Wucht und Relevanz früherer Werke verfehlend, ist Oliver Stones neueste Chronisten-Arbeit als tragikomische Annäherung an eine schillernde Figur dennoch sehenswert.

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