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    Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt
    Von Julian Unkel

    Das Duell um den Fanboy-Film des Jahres ist entschieden! Denn auch wenn „Kick-Ass" seinem Namen alle Ehre machte und wild durch die Comic-Geschichte plündernd besonders mit den fulminanten Auftritten Hit-Girls für einige denkwürdige Szenen sorgte, benötigt Edgar Wright („Shaun of the Dead", „Hot Fuzz") kaum zehn Minuten, bis klar ist, was das wahre Geek-Fest des Kinojahres ist. Sein „Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt" referenziert sich nicht nur von Videospielen über Indierock bis zu japanischen Mangas quer durch alle Bereiche der Nerdkultur, sondern begeistert besonders als visuell einzigartiges Ideenfeuerwerk und bietet obendrein auch noch die bessere Coming-of-Age-Geschichte. Gerade weil sich der Film so intensiv um seine Zielgruppe kümmert, wird es dem Rest aber ungleich schwerer fallen, in die Welt von „Scott Pilgrim" hineinzufinden.

    Der 22-jährige Titelheld Scott Pilgrim (Michael Cera) lebt in Toronto eine klassische Slacker-Existenz ohne Job oder größere Ambitionen. Seine wenig intensive Beziehung (erotischer Höhepunkt: Spontan-Umarmungen) zum deutlich jüngeren Schulmädchen Knives (Ellen Wong) wird von all seinen Freunden und zunehmend auch von ihm selbst als Fehler angesehen. Und seine Band Sex Bob-omb sollte es wohl nie über den Status eines Lo-Fi-Hobbyprojekts hinausschaffen. Aufregend wird Scotts Leben erst, als er auf einer Party seine Traumfrau Ramona Flowers (Mary Elizabeth Winstead) trifft. Die zeigt zwar – nach einem katastrophalen ersten Annäherungsversuch – tatsächlich Interesse an ihm, hat aber auch Altlasten der besonderen Art im Gepäck: Sieben Verflossene haben sich zu einer Liga der teuflischen Ex-Freunde formiert und stellen sich Scott der Reihe nach in Duellen auf Leben und Tod in den Weg...

    Wie sich die Vergangenheit des Partners auf die eigene Beziehung auswirken kann, spielte Kevin Smith 1997 in dem brillanten „Chasing Amy" durch und siedelte die Handlung ebenfalls im Slacker- und Geek-Milieu an. Und tatsächlich steht „Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt" den frühen Jersey-Filmen Smiths – der sich im Übrigen über Wrights Film sehr euphorisch äußerte – deutlich näher, als man es dem knalligen Trailer nach vermuten würde. An die emotionale Tiefe eines „Chasing Amy" reicht „Scott Pilgrim" zwar nicht heran, doch im Kern widmet sich auch Wright über eine außergewöhnliche Liebesgeschichte den generationstypischen Problemen und Ängsten junger Erwachsener. Michael Cera („Superbad", „Juno") erweist sich wie auch schon in seinen früheren Filmen als Idealbesetzung für solche Charaktere und wird zudem von perfekt besetzten Mitstreitern unterstützt, von denen besonders Kieran Culkin („Igby"), der als Scotts schwuler Mitbewohner für die trockensten Sprüche des Films sorgt, und Newcomer Ellen Wong als asiatisches Schulmädchen, das mimisch direkt einem Anime entsprungen sein könnte, in Erinnerung bleiben. Scotts Selbstfindung ist somit klassisches Coming-of-Age-Material, das dem Film einen bisweilen überraschend nachdenklichen Tonfall und ein echtes Herz verleiht.

    Das herausstechendste Merkmal an „Scott Pilgrim" ist aber, wie diese Geschichte erzählt wird. Wright überträgt Scotts Fantasie und Gefühlswelt direkt auf die Leinwand und wertet das winterlich-triste Kanada durch schier endlose optische Spielereien auf, die direkt aus Comics und Videospielen zu entstammen scheinen – da werden Geräusche durch animierte Lautwörter unterstützt, rollenspielartige Erfahrungswerte den Charakteren zugeordnet und auf der Toilette gar ein gelber Pixelbalke eingeblendet, der sich simultan zu Scotts Blase entleert. Basierend auf der sechsbändigen, im Manga-Stil gehaltenen Graphic Novel „Scott Pilgrim" ist Wrights Film somit die visuell eindrucksvollste Comic-Verfilmung seit „Sin City". Die Detailverliebtheit setzt sich auch auf der Tonspur fort, für die unter anderem Soundeffekte aus den „Zelda"- und „Street Fighter"-Spielen lizensiert wurden, während die Musik von den Indieveteranen wie Beck (der die Songs der Filmband Sex Bob-omb beigesteuert hat), Broken Social Scene und Metric stammt.

    So richtig spektakulär wird es aber erst, wenn es zu den hyperkinetischen Kämpfen mit Ramonas Ex-Freunden kommt, die von Wright irgendwo zwischen Prügelspielen, „Dragoball"-Animes und „Guitar Hero" inszeniert werden. Hier wird Michael Cera ganz nebenbei die Gelegenheit gegeben, den Vorwurf, immer die gleiche Rolle zu spielen, von sich zu weisen, da er auch als schlagkräftiger Actionheld eine gute Figur macht. Jeder der Verflossenen – unter anderem „Superman" Brandon Routh als telekinetischer Veganer, Mae Whitman (die zwei Jahre lang Ceras Freundin in „Arrested Development" spielte) als Gothic-Girl mit „Soul Calibur"-Anleihen und Jason Schwartzman („Rushmore") als Endgegner – verlangt von Scott andere Taktiken ab und sorgt so für sehr abwechslungsreiche Auseinandersetzungen. Dass die energetischen, sich vollständig den Gesetzen der Realität entziehenden Gefechte dabei in krassem Kontrast zum eher ruhigen Rest des Films stehen, ist durchaus beabsichtigt – Wright bezeichnet die Kämpfe schließlich als Analogie zu den Tanz- und Gesangeinlagen in Musicals.

    Wie sich dieser überdrehte, knapp zweistündige Sturm auf die Sinne bewältigen lässt, hängt aber letztlich stark von der Vorprägung des Zuschauers ab. Wer nicht bereits beim Namen von Scotts Band zumindest schmunzeln musste, der läuft Gefahr, vom Rest des vor kleinen Anspielungen – seien es Querverweise zu Videospielen, Seitenhiebe auf Hipster- und Indie-Attitüden oder augenzwinkernde Kommentare zu Hollywood – überbordenden Films schlichtweg erschlagen zu werden. Wer jedoch mindestens eine Nintendokonsole im Kinderzimmer stehen hatte, sich ebenso gerne durch Musik- wie Filmforen liest und dessen Comic-Sammlung ein paar Bände des Lustigen Taschenbuchs übersteigt, für den wird „Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt" seine Tagline „An Epic of epic Epicness" jederzeit erfüllen – von der 8-Bit-Universal-Fanfare bis zum Beat-'em-up-typischen Countdown, der den Abspann anzählt.

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