Im Fach kurzweiliger Familienkomödien gilt Filmemacher Chris Columbus („Percy Jackson - Diebe im Olymp") spätestens seit Mitte der 90er in Hollywood als ausgewiesener Experte. Mit „Kevin - Allein zu Haus" schuf der zweimalige „Harry Potter"- Regisseur 1990 eine der erfolgreichsten Komödien des Jahrzehnts, die nicht nur das junge Kinopublikum begeisterte, sondern auch Erwachsene zum Schmunzeln brachte. Drei Jahre nach dem Kassenschlager mit Hauptdarsteller Macaulay Culkin und ein Jahr nach dem ebenfalls von Columbus inszenierten Sequel „Kevin - Allein in New York" lieferte der Amerikaner mit „Mrs. Doubtfire – Das stachelige Kindermädchen" eine weitere tolle Komödie ab, die den beiden „Kevin"-Filmen qualitativ in nichts nach steht. Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Anne Fine wartet mit einem überragenden Robin Williams in der Hauptrolle auf, landet einen gelungenen Gag nach dem nächsten und sorgt so für zwei Stunden hervorragende Familienunterhaltung.
Als der Stimmenimitator und Synchronsprecher Daniel Hillard (Robin Williams) seinen Job im Tonstudio hinschmeißt und an seinem freien Nachmittag spontan eine riesige Geburtstagsparty für seinen Sohn veranstaltet, ahnt er noch nicht, dass er wenig später vor dem Scherbenhaufen seiner Ehe steht. Seine erboste Gattin Miranda (Sally Field), die gerade als Innenarchitektin Karriere macht, hat nach 14 Jahren Ehe genug von den Eskapaden ihres chaotischen Mannes. Der am Boden zerstörte Daniel muss nicht nur das gemeinsame Haus und seine drei Kinder Lydia (Lisa Jakub), Christopher (Matthew Lawrence) und Natalie (Mara Wilson) verlassen, sondern verliert aufgrund seiner Arbeits- und Wohnungslosigkeit auch den folgenden Sorgerechtsprozess. Fortan darf er seine Kinder nur noch einmal in der Woche sehen – was dem liebevollen Familienvater eindeutig zu wenig ist. Als seine Ex-Frau per Zeitungsinserat ein Kindermädchen sucht, ergreift Daniel die Gelegenheit beim Schopf und steht wenig später vor der Tür – verkleidet als alte Dame Mrs. Doubtfire. Die bringt mit ihren eigenwilligen Methoden nicht nur den Haushalt auf Vordermann, sondern verschreckt auch den schmierigen Macho Stuart (Pierce Brosnan), der Miranda den Hof macht...
Dass „Mrs. Doubtfire" bei der Oscar-Verleihung 1994 mit dem Award für das „Beste Make-Up" ausgezeichnet wurde, kommt nicht von ungefähr: Die optisch beeindruckende Verwandlung von Robin Williams („Good Morning, Vietnam", „Der Club der toten Dichter") zur resoluten Sechzigjährigen ist der Ursprung aller Komik im Film und zugleich der erfrischende Dreh- und Angelpunkt der Handlung. In Anne Fines Romanvorlage ist dies ähnlich, doch Leslie Dixon und Randi Mayem Singer gestalten ihre Drehbuchadaption ein wenig familienkompatibler. Das Autorenduo arrangiert die Geschichte weit weniger tragikomisch und richtet das Skript komplett auf Ulknudel Williams aus. Das kommt dem Spaßfaktor enorm zugute. „Mrs. Doubtfire" sprüht nur so vor gelungenen, unverbrauchten Einfällen, die dem Schauspieler ausgiebig Gelegenheit bieten, sein großes komödiantisches Talent zu demonstrieren.
Sobald Daniel nach einer halben Stunde erstmalig von seinem homosexuellen Bruder und Maskenbildner Frank (Harvey Fierstein, „Independence Day") in Schale geworfen wurde, werden die Lachmuskeln praktisch im Minutentakt beansprucht. Ob die vom Gasherd entzündete Gummi-Oberweite oder die spontane Baiser-Gesichtsmaske beim Überraschungsbesuch der argwöhnischen Mrs. Sellner (Anne Haney) – Williams ist als stacheliges Kindermädchen einfach zum Schreien komisch. Und das auch noch nach Feierabend, wenn sich die alte Dame den energischen Flirtversuchen eines rüstigen Busfahrers erwehren muss oder gar einen rabiaten Straßenräuber mit ein paar gezielten Schwingern in die Flucht schlägt.
Da ist es leicht zu verschmerzen, dass die Geschichte um das heimliche Einschleusen des verstoßenen Familienvaters von Beginn an eher auf Zufall denn auf Logik aufbaut – man denke nur an das Zeitungsinserat, dessen Telefonnummer Daniel heimlich abändert, um die Konkurrenz auszustechen. Ex-Frau Miranda kommt auch nach dem zehnten eigenartigen Anruf, bei dem Robin Williams einmal mehr als Stimmenimitator glänzt, nicht auf die Idee, mal in der Zeitung nachzusehen, ob mit der Annonce was nicht stimmen könnte. Dass Mirandas Geburtstagsdinner im Kreise der Familie zeitlich genau mit Daniels wichtigem Geschäftsessen im selben Edelrestaurant zusammenfällt, überrascht ebenso wenig: der chaotische Showdown im Lokal bildet in dramaturgisch zwar reichlich herkömmlicher, dafür aber urkomischer Art und Weise den fulminanten Höhepunkt des amüsanten Versteckspiels.
Von den übrigen Darstellern, die deutlich hinter Robin Williams zurückstehen müssen, verleiht die zweifache Oscar-Gewinnerin Sally Field („Ein Platz im Herzen", „Norma Rae") ihrer Miranda noch am meisten Profil. Gelegenheit dazu bekommt sie aber weniger in dem auffallend knapp dargestellten einleitenden Ehestreit, sondern eher in den Sequenzen, in denen sie dem falschen Kindermädchen ihr Herz ausschüttet und dabei den ein oder anderen merkwürdigen Ratschlag erhält. Der 2008 verstorbene Robert Prosky („Mad City") glänzt beim Finale im Restaurant, Pierce Brosnan („Der Ghostwriter") hingegen hat nicht mehr als Dienst nach Vorschrift zu verrichten. Zwei Jahre vor seinem Agentendebüt in „James Bond 007 - GoldenEye" muss der Ire kaum mehr tun, als seinen braungebrannten Waschbrettbauch zu präsentieren und die angebetete Miranda mit Zahnpasta-Lächeln und verführerischen Schlafzimmerblicken in Wallung zu bringen.
„Mrs. Doubtfire" ist von Beginn an voll auf den überragenden Hauptdarsteller zugeschnitten und sorgt dank reichlich Kuriositäten und dem spaßigen Versteckspiel im Haus der Hillards für glänzende Familienunterhaltung. Dass der Film dabei dem Schicksal von Scheidungskindern und der Problematik zerrütteter häuslicher Verhältnisse nicht gerade differenziert nachgeht, ist angesichts des riesigen Spaßfaktors ebenso leicht zu verschmerzen wie das konstruierte Handlungsgerüst, das sich jederzeit an die dramaturgischen Gesetze hollywoodscher Familienkomödien hält.