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    Captain America - The First Avenger
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Captain America - The First Avenger
    Von Robert Cherkowski

    Mit den „X-Men"-Filmen und der „Spider-Man"-Reihe haben Bryan Singer und Sam Raimi bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass Marvels bunt kostümierten Superhelden keinesfalls nur Nischenprogramm für Nerds sein müssen, sondern auch das Potential für zugkräftige Box-Office-Megaseller in sich bergen. Die Regisseure, selbst Fans der Comic-Vorlagen, kamen zumeist aus dem Independent-Bereich und verstanden es, sowohl die Hardcore-Fans als auch das Massenpublikum für die Stoffe zu begeistern. Einen weiteren qualitativen wie finanziellen Marvel-Hit bei Publikum und Kritikern gleichermaßen landeten 2008 Jon Favreau und sein Hauptdarsteller Robert Downey Jr. mit ihrer lässigen Interpretation von „Iron Man". Dank des Erfolgs des tollkühnen Playboys in der eisernen Rüstung wurde in der Marvel-Chefetage dann auch der Entschluss gefasst, dem Superhelden-Ensemble-Blockbuster „The Avengers" grünes Licht zu geben, in dem neben Iron Man unter anderem der Göttersohn Thor, der grün angelaufene Choleriker Hulk und noch einige andere Helden aus dem Marvel-Universum auftreten und dem Bösen als Kollektiv zu Leibe rücken sollen. Bevor es dann 2012 soweit sein wird, bekommen ein paar der bekanntesten „Rächer" aber nun zur Einführung erst noch ihr eigenes abendfüllendes Spektakel spendiert. Nachdem Kenneth Branagh vor einigen Monaten bereits dem blonden Hünen „Thor" mit einem erstaunlichen Maß an Ironie und Humor den Hammer schwingen ließ, widmet sich nun „Jurassic Park III"-Regisseur Joe Johnston in „The First Avenger“ einem der umstrittensten Helden, den Marvel je hervor gebracht hat: Captain America.

    1942: Ein Jahr nach Pearl Harbor sind nun auch die USA in den Zweiten Weltkrieg verwickelt. Jeder Mann wird gebraucht, um den Achsen-Mächten jenseits der Weltmeere Zunder zu geben. Jeder? Nein, nicht jeder. Der schmächtige und kränkliche Steve Rogers (Chris Evans) würde gerne seinen Beitrag leisten, wird jedoch immer wieder ausgemustert, bis der aus Deutschland emigrierte Wissenschaftler Abraham Erskine (Stanley Tucci) auf den tapferen und beharrlichen jungen Mann aufmerksam wird und ihm einen Platz im strenggeheimen „Rebirth"-Programm verschafft. In diesem werden mithilfe der neuesten Technik des Großindustriellen Howard Stark (Dominic Cooper) Supermenschen mit übernatürlichen Fähigkeiten herangezüchtet. Nachdem Steve gezeigt hat, dass er zwar nicht die Muskeln, sehr wohl aber das Herz zum Superkrieger hat, wird er für den Testversuch auserwählt und befindet sich im Nu in einem muskelbepackten Superkörper mit unglaublichen Kräften wieder. Die braucht er auch, denn jenseits des Pazifik treibt der von okkulten Mächten besessene Nazi Johann Schmidt alias Red Skull (Hugo Weaving) sein bitterböses Unwesen. Als dem auf einem seiner Streifzüge in Norwegen ein mysteriöser, mit magischen Kräften ausgestatteter Würfel aus der Schatzkammer Odins in die Hände fällt, rüstet er mit dessen Macht die finstere Superarmee HYDRA auf. Zusammen mit einer Truppe tapferer Streiter macht sich Steve alias „Captain America" auf, den Nazi-Schurken Einhalt zu gebieten...

    1941 zur Bespaßung von Kriegs- und Heimatfront ins Leben gerufen, wurde „Captain America" mit dem stählernen Schild und dem mit Stars and Stripes zugepflasterten Kostüm nach Kriegsende bald zum leibhaftigen Anachronismus aus hurra-patriotischen Zeiten, dem kein würdevolles Altern vergönnt war. Als die Kriegsheimkehrer ein alles andere als heldenhaftes Bild vom massenhaften Sterben auf den Schlachtfeldern zeichneten, verschwand der gute alte Captain America recht schnell in der Versenkung und funktionierte fortan nur noch als Kuriosum und Selbstzitat. Da stellt sich natürlich schon die Frage: Passt gerade dieser Superheld überhaupt noch in unsere Zeit oder ist ein halbes Jahrhundert voller schmutziger Kriege nicht Argument genug, den Weltpolizisten im Mülleimer für nicht mehr zeitgemäße Heldentypen zu entsorgen? Zumindest Marvel denkt aber offenbar nicht einmal daran, den First Avenger in die überfällige Kriegerrente zu schicken und reanimiert ihn heuer trotzig für weitere Missionen. Ein auch finanziell mutiger Schritt, schließlich erfreut sich der Comic-Charakter außerhalb der Vereinigten Staaten nicht annähernd so großer Beliebtheit wie in seiner Heimat, die er immerhin auch im Namen trägt. Es wäre durchaus interessant gewesen zu erfahren, wie der Vorzeige-Patriot unter den Superhelden wohl über die Schlachtfelder und Kriegsherde der Gegenwart denkt... oder über den Drohnen-Einsatz über Pakistan, über Guantanamo oder über Waterboarding.

    Wer glaubt, dass Marvel sich auf solche Diskussionen einlässt, ist schief gewickelt. Auch dort wusste man um die zahlreichen ideologischen Gefahren, die in ihrem problematischen Helden schlummern und ging in dieser Hinsicht deshalb auf Nummer sicher. Statt sich den ideologischen Altlasten von moderner Warte aus zu nähern, wird der Captain leisetretend und eskapistisch wieder in den Zweiten Weltkrieg geschickt: den letzten gerechten Krieg, an dem die USA beteiligt waren. Aber selbst dieser Krieg, der mit den Nazis ja eigentlich das unmissverständliche Popcorn-Feindbild für Jedermann zu bieten hat, wird noch entpolitisiert und in Fantasy-Gefilde getragen, wenn statt ordinärer Braunhemden die okkulten Monsterbrigaden von HYDRA als eigentliche Gefahr präsentiert werden. Diese HYDRAs sind angeblich so ultraböse, dass sich selbst die Nazis von ihnen distanzieren. Scheinbar wollte man sich den Heldenspielplatz eines Weltkrieges nicht mit etwas so Ernsthaftem wie Nationalsozialismus verderben lassen. So vollbringt Johnston das seltene Kunststück, seinen Film im Zweiten Weltkrieg anzusiedeln, aber nicht ein einziges Hakenkreuz zu zeigen.

    Sicherlich gibt es Ansätze zur Satire, nur zünden die leider viel zu selten. Die halbherzigen Versuche, der haarsträubenden Geschichte mit Humor zu begegnen, sind kaum mehr als Feigenblätter, um die Seichtigkeit des ganzen Unterfangens so gut es geht hinter einer Portion Selbstironie zu verbergen. Wenn Johnston seinen Helden in einer Szene beispielsweise in einer schrillen Musical-Revue platziert, bei der dieser zur Ankurbelung der Rüstungsindustrie für die Unterstützung von der Heimatfront aus wirbt, ist das zwar recht amüsant, aber wenig bissig und hintersinnig. Mit ungelenken Szenen wie diesen wird eine dünne Ironie-Barrikade errichtet, hinter der die Beteiligten Deckung suchen. Was bleibt, ist eine durch und durch keimfreie und handzahme Angelegenheit, die letztlich weder positive noch negative Reibungsflächen bietet, sondern im Mittelmaß schwelgt, wo sie nur kann.

    So ist Chris Evans in der Titelrolle ein zwar nicht unsympathischer, aber doch völlig austauschbarer Held von der Stange, dessen Motivation kaum mehr als ein Schulterzucken seitens der Zuschauer hervorrufen dürfte. Dafür erfährt man schlicht zu wenig – eigentlich ist nur bekannt, dass er mutig ist, Schlägertypen hasst und aus ganzem Herzen Amerikaner ist. Das reicht mitnichten, um das Publikum zum Mitfiebern zu animieren. Wenn der von Natur aus muskulöse Evans im ersten Drittel des Films noch mit einem schmächtigen CGI-Körper auftritt, mag das vielleicht den einen oder anderen Effekt-Geek hinterm Ofen hervorlocken – der Otto-Normal-Zuschauer wird sich jedoch höchstens über die seltsam hölzerne Performance wundern, die sich auch später kaum bessert. Letztendlich bleibt jede Beziehung zu Freunden, Frauen, Autoritätsfiguren oder Feinden bloße Behauptung. So wird unter anderem Stanley Tucci als verrückt-genialer Wissenschaftler eingeführt, der Rogers erst zu seinem Adonis-Überkörper verhilft. Wenn er den schmächtigen zukünftigen Superkrieger zur Seite nimmt und ihm ein paar weise Worte über die Verantwortung seiner baldigen Macht mit auf den Weg gibt, scheint es für ein paar Momente so, als würde hier ein Mentoren-Verhältnis aufgebaut, aus dem sich später noch Kapital schlagen ließe. Eine Szene später jedoch ist Tucci tot und nach einer weiteren auch schon vergessen. Packendes Kino geht anders.

    Selbst prinzipiell vielversprechende Sidekicks wie Dominic Cooper, der eine lässige (an Howard Hughes angelehnte) Vorstellung als „Iron Man"-Vater Howard Stark abgibt, oder Neal McDonough als irischer Haudegen Dum Dum Dugan kommen und gehen, ohne Spuren zu hinterlassen. Sobald sie aus dem Bild verschwinden, sind sie vergessen. Es scheint fast, als hätten sie alle auf einer To-Do-Liste gestanden, die Johnston für Marvel abarbeiten musste, um den Anhängern des Comic-Universums eine Freude zu machen. Wenn ihre Auftritte nicht so furchtbar nichtssagend und fade ausgefallen wären, hätten sich die Fans aber bestimmt noch mehr gefreut. Auch der Versuch, dem Captain einen reichlich fadenscheinigen romantischen Subplot mit der schlagkräftigen Offizierin Patty Carter (Hayley Atwell) anzudichten, lässt beim besten Willen keine Emotionen aufkommen. Dafür müssten sich die Charaktere aus dem Verschlag der Ironie und dem Dauerfeuer an Effekten herauswagen. Das war den Machern dann aber wohl doch zu riskant.

    Mit einem so demonstrativ zur Schau getragenen Desinteresse an den Figuren kann keine Actionszene der Welt funktionieren - was besonders schade ist, weil Johnston und sein Stab ihr Handwerk durchaus verstehen. Die Action ist weder verschnitten noch unübersichtlich, sondern man weiß stets, wo ihr Zentrum ist. Großzügig über die überschaubare Länge verteilt, doch nie inflationär, hätte sie durchaus gefallen, wenn auch nicht begeistern können. Dafür bleiben die Bösewichter (unpersönliche „Roboter-Zombies-Nazis") dann doch zu sehr blutleere Staffage. Auch Oberstrolch Hugo Weaving quält sich so gelangweilt durch die Kulissen, dass es nicht einmal lohnt, ihn zu hassen. Die raren Highlights sind letzten Endes die spärlich gesäten Auftritte von Tommy Lee Jones als väterliche Autoritätsfigur Colonel Phillips. In seiner Paraderolle des harten Knochens mit weichem Kern hat zumindest er die Lacher auf seiner Seite.

    Wirklich schlecht ist „Captain America" nicht - nur furchtbar banal, zahnlos und öde. Es scheint, als wäre dies eben die letzte nervige Pflichtübung, die es durchzuziehen gilt, bevor man sich dann an die große „Avengers"-Sause machen kann. Wenn es nächsten Sommer soweit ist, trauen sich die Macher hoffentlich, das Potential von Captain America im dann in der Gegenwart angesiedelten Plot wirklich auszuschöpfen. Die Mutlosigkeit, mit der man ihn in seinem ersten Auftritt verheizt, hat nämlich selbst ein so streitbares Fossil aus finstersten Propaganda-Zeiten nicht verdient. Lange Zeit wurde der Comic von den hochgeistigen Feuilletons als dumpf-plakatives, volksverblödendes Wegwerfmedium für bildungsferne Schichten geächtet, dem jeder höhere Kunstanspruch abgeht und das seine beschränkte Leserschaft mit bunten Bildern und allerhand Bumm-Bumm unterhält. Es brauchte lang, bis Künstler wie Alan Moore, Frank Miller, Garth Ennis oder Warren Ellis dieses plumpe Vorurteil widerlegten und dem Comic seinen verdienten Platz im Kanon literarischen Erzählens sichern konnten. Filme wie „Captain America" tun einiges dafür, dass solch überholte Ansichten in Zukunft wieder aktuell werden könnten.

    Fazit: Ein in jeder Hinsicht durchschnittlicher Comic-Blockbuster, bei dem den Machern einfach der Mut gefehlt hat, die kontroversen Seiten ihres strahlenden Helden anzugehen und diese Ambivalenzen zum Vorteil des Films zu nutzen.

    In einer früheren Version dieser Kritik hatte „Captain America - The First Avenger" noch 2 von 5 Sternen. Die ausführliche Begründung für die Änderung der Sternewertung könnt ihr in diesem Artikel nachlesen.

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