„Ein Film aus dem Jahr 1999, schon 1991 im Kino.“
„Bis ans Ende der Welt“ wird oftmals als Hauptwerk des deutschen Autorenfilmers Wim Wenders angesehen, weil seine ästhetischen und thematischen Vorlieben in diesem epochalen Road Movie allesamt vereint sind. 14 Jahre hat Wenders den Film vorbereitet und über ein Jahr gedreht – in zehn verschiedenen Ländern, auf vier Kontinenten. Ein Großprojekt, das zehn Millionen Dollar verschlungen hat. Wenders führt uns unter anderem nach Paris, Venedig, Berlin, Moskau, Peking und Tokio, bietet eine internationale Besetzung und einen Soundtrack, der sich mit Größen wie REM, Nick Cave and the Bad Seeds, Talking Heads, U2 und Depeche Mode schmückt.
Eines vorweg: Die folgende Rezension bezieht sich auf die fünfstündige Langfassung des Films, die auf DVD veröffentlicht wurde. Die deutlich kürzere Kinofassung hat mit dem Film, den Wim Wenders tatsächlich gedreht hat, überraschend wenig zu tun und wurde von Wenders immer als „Reader’s Digest-Version“ bezeichnet. Der Director’s Cut nimmt sich deutlich mehr Zeit beim Erzählen und bietet eine Ende, das um 80 Minuten (!) länger ist, als das der gekürzten Version.
Die Geschichte von „Bis ans Ende der Welt“ ist so wirr wie unkonventionell: Im Jahr 1999, der nahen Zukunft (der Film war 1991 im Kino), droht der Erde die Apokalypse. Durch die Explosion eines Satelliten im Weltall hat sich radioaktive Strahlung ausgebreitet, in lethargischer Stimmung warten die Menschen darauf, dass die Strahlen ihren Lebensraum erreichen. Inmitten dieser endzeitlichen Atmosphäre ist Sam Faber (William Hurt, Syriana, Der gute Hirte) auf der Jagd nach Bildern, die er mit einem speziellen Gerät für seine blinde Mutter (Jeanne Moreau, Jules und Jim) aufnimmt. Sein Vater (Max von Sydow, Der Exorzist) arbeitet an einer Technik, Bilder durch Gehirnströme zu übertragen, damit seine kranke Frau ihre Kinder und die Welt sehen kann. An dem Gerät sind auch amerikanische Agenten interessiert; zudem heftet sich die hübsche, in Sam verliebte, Claire (Solveig Dommartin, „Der Himmel über Berlin“) an dessen Fersen, mitsamt einem Detektiv, der sich nicht so recht abschütteln lässt. Und Eugene Fitzpatrick (Sam Neill, Jurassic Park), Claires Ex-Freund und Schriftsteller, nimmt ebenfalls die Verfolgung auf. So wird die Bildersuche um die ganze Welt zu einer Jagd/ Flucht mit zahlreichen Wendungen, Neuausrichtungen und unzähligen Charakteren, zusammen gesetzt aus den verschiedensten Genre-Fragmenten – von Film Noir, über Drama und Komödie, bis hin zu französischen Liebesfilmen. Die Reise mündet im Labor des Vaters, das sich in Australien befindet. Dort kommt die versammelte Mannschaft zum Stillstand und Wenders erntet die Früchte, die er in den beiden Dritteln davor gesät hat.
Unter anderem ist „Bis ans Ende der Welt“ eine groß angelegte Reflexion über den Stand der audiovisuellen Kultur, über die Moral des Bildes. Am Anfang war das Wort. Werden am Ende nur noch Bilder als Kulturträger übrig bleiben? In Kombination mit der Ablösung der Malerei durch elektronische Bildererzeugung würde das eine Flut der Bilder zur Folge haben und eine eben solche Bilderflut ist „Bis ans Ende der Welt“ auch geworden. Der renommierte und unerhört talentierte Kameramann Robby Müller (Down By Law, Dead Man) hat großartige Bilder gefunden und zaubert Momente auf die Leinwand, die man so schnell nicht vergisst.
Als der Film in Australien nach über drei Stunden zum Stillstand kommt, „käut er seine eigenen Bilder wieder“, sagt Wim Wenders. Die davor gesammelten Eindrücke hallen noch nach, während Sams Vater versucht, seine Bildermaschine fertig zu stellen. Schließlich schafft dieser es sogar, den Bilderstrom umzukehren: Er kann die Träume der Menschen visualisieren, was zu ethischen Überlegungen führt und letztlich eine Allegorie auf das Kino, die „Traumfabrik“, ist. Und dann, im Schlussteil, ändert der Film sein Thema noch einmal komplett und wird zu einer Studie über Abhängigkeit, indem er das Schicksal Claires weiter verfolgt, die von der Sichtbarmachung ihrer Träume süchtig geworden ist und daran beinahe zerbricht.
Zu Beginn des Films und vor dem Abspann zeigt Wim Wenders die Erdkugel, den Schauplatz der fünf Stunden dazwischen. Von außen sieht sie so erhaben und schön aus, geht man näher heran findet man ein Chaos vor, das niemals durchblickt werden kann. Eben dieses Chaos und die Rolle der Bilder darin untersucht Wenders in seinem Film – und noch etliches anderes. Der Zuschauer hat die Figur Sam Neills als roten Faden (er kommentiert das Geschehen kontinuierlich aus dem Off), den Rest muss er sich selbst zusammen reimen. Es liegt an ihm, die unzähligen Gedankenstränge des Films zu ordnen und zu selektieren, das Mosaik zu entwirren und eigene Schwerpunkte zu setzen.
Lässt man sich auf das Opus Magnus des Wim Wenders ein, bleibt man staunend zurück. „Bis ans Ende der Welt“ ist ein Film, an dem man noch lange nach dem Abspann zehren kann und der einem einen Eindruck von der Welt gegeben hat, der nur unzulänglich beschreibbar ist. Ein Tanz um die Welt, und was für einer!