In „The Avengers“ legten 2012 außerirdische Invasoren Manhattan in Schutt und Asche, während im Nachfolger „Avengers 2: Age Of Ultron“ drei Jahre später sogar eine ganze schwebende Großstadt dran glauben musste – und jedes Mal stehen die nachfolgenden Marvel-Superhelden-Solofilme vor demselben Dilemma: Wie zum Teufel soll man das noch toppen? Mit „Ant-Man“ gibt Regisseur Peyton Reed („Girls United“) nun die absolut passende Antwort: Gar nicht! Das „große“ Finale von „Ant-Man“ findet in einem Kinderzimmer statt – und statt einstürzender Wolkenkratzer gibt es lediglich eine entgleiste „Thomas und seine Freunde“-Spielzeuglokomotive. Das Überraschende daran: Dieser verspielt inszenierte Miniaturshowdown macht deutlich mehr Spaß als der schiere Überwältigungsbombast von „Age Of Ultron“. Iron Man wird sicherlich auch in Zukunft der beliebteste Avenger bleiben – aber der in „Captain America 3“ zum Superheldenteam hinzustoßende Ant-Man könnte nach seinem gelungenen Solodebüt zukünftig für die kreativsten Action-Momente bei den Avengers zuständig sein.
Als der Wissenschaftler Dr. Hank Pym (Michael Douglas) auf die nach ihm benannten subatomaren Pym-Partikel stieß, nutzte er die aus seinen Forschungsergebnissen resultierende Möglichkeit, die Abstände zwischen einzelnen Atomen zu verringern, um fortan als bei Bedarf ameisenkleiner Ant-Man für die gerechte Sache zu kämpfen. Doch dann streckten in den 1980ern Howard Stark (John Slattery) und S.H.I.E.L.D. ihre Finger nach der Ant-Man-Technologie aus – und Pym zog sich als Reaktion sogar aus seinem eigenen Unternehmen zurück, nur damit diese auch ja nicht in die falschen Hände gerät. Inzwischen wird Pym Technologies von Pyms ehemaligem Protegé Darren Cross (Corey Stoll) geleitet – und der steht kurz davor, dem Geheimnis seines einstigen Lehrmeisters auf die Spur zu kommen. Das will Pym natürlich mit allen Mitteln verhindern, aber weil er selbst längst nicht mehr der Jüngste ist, braucht er unbedingt einen würdigen Nachfolger als Ant-Man – und den findet er ausgerechnet in dem geschiedenen Vater Scott Lang (Paul Rudd), der nach einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Einbruchs gerade erst aus dem Gefängnis entlassen wurde…
Während der durchschnittliche Kinogänger von der ganzen Kontroverse wahrscheinlich gar nichts mitbekommen hat, war „Ant-Man“ für viele Hardcore-Fans nach dem überraschenden Ausstieg von Nerd-Liebling Edgar Wright nur wenige Wochen vor Drehstart quasi gestorben. Immerhin hatte der „Shaun Of The Dead“-Regisseur mehr als eine Dekade lang für einen „Ant-Man“-Film gekämpft und das Comic-Con-Publikum bereits 2012 mit ersten Testaufnahmen begeistert. Aber entweder haben alle Ersatzregisseur Peyton Reed höllisch unterschätzt – oder Marvel-Chef Kevin Feige hatte Recht, als er ankündigte, dass „Ant-Man“ trotz des Ausstiegs ein Edgar-Wright-Film werden würde: Immerhin ist der Brite besonders für seine ebenso eigenwilligen wie abgefahrenen Actionszenen in Filmen wie „Hot Fuzz“, „Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt“ oder „The World’s End“ bekannt – und denen steht „Ant-Man“ nun in nichts nach! Schon der erste Einsatz des Superhelden im Mini-Format ist visuell brillant: Nach der Flucht aus der Badewanne geht’s vorbei an einer Riesenratte zum Rodeo auf einem Schallplattenspieler - von den etlichen gewitzten Details in Bezug auf die von Ant-Man gesteuerten Ameisen (Stichwort: Zuckerwürfel) ganz zu schweigen. Zudem wagen die Macher noch einen überraschenden Schritt, der wunderbar den speziellen Look des Films ergänzt: „Ant-Man“ wurde passend zum Miniaturhelden im 1.85:1-Format gedreht und nicht wie die allermeisten Blockbuster heutzutage in Scope: Damit ist er neben „The Avengers“ der „schmalste“ aller Marvel-Filme.
Während das ursprüngliche Drehbuch von Edgar Wright und Joe Cornish („Attack The Block“) nach dem Regiewechsel strukturell weitgehend intakt blieb, war es die Aufgabe von Adam McKay („Anchorman“) und Hauptdarsteller Paul Rudd („Immer Ärger mit 40“), bei ihrer Überarbeitung für mehr Humor zu sorgen – und auch das ist gelungen: Während die erste halbe Stunde noch arg expositionslastig ausfällt und es ein wenig dauert, bis der Film voll in Fahrt kommt, punkten die anschließenden Szenen des Trios Paul Rudd, Michael Douglas und Evangeline Lilly (als Hanks Tochter Hope van Dyne) allesamt mit einem extrem trockenen, zugleich aber auch sehr warmherzigen Humor. Apropos warmherzig: Nach einem Superreichen (Iron Man), einem Superpatrioten (Captain America) und einem Gott (Thor) ist Scott Lang, dem es eigentlich nur darum geht, endlich seine kleine Tochter wiedersehen zu dürfen, der bisher „menschlichste“ aller Marvel-Leinwandhelden – und auch deshalb fiebert man im Finale so sehr mit, selbst wenn dabei „nur“ die Einrichtung eines Kinderzimmers zu Bruch geht. Bei zumindest einem speziellen Marvel-Problem kann aber selbst „Ant-Man“ trotz des vielen frischen Winds nicht helfen: Loki bleibt der einzige wirklich begeisternde Bösewicht in den Marvel-Kinofilmen – denn Corey Stoll („Midnight In Paris“) als Yellowjacket ist trotz seines laserstrahlenschießenden Miniaturanzugs gleich nach dem Abspann schon wieder vergessen.
Fazit: Showdown im Kinderzimmer: „Ant-Man“ ist zwar nicht der größte, aber dafür der am kreativsten inszenierte aller bisherigen Marvel-Filme.