Mit knallbunten Farben und Popmusik erzählt Mika Ninagawa in ihrer Manga-Verfilmung „Sakuran – Wilde Kirschblüte“ (Berlinale Special 2007) die Geschichte einer jungen Frau, die sich gegen die sozialen Konventionen eines Bordellviertels im Tokio des 18. Jahrhunderts auflehnt und sich ihre Emanzipation mühsam erkämpft. Heraus gekommen ist eine Art Popart-Drama, das an Marie Antoinette von Sofia Coppola erinnert, und durch den einnehmenden, extravaganten Stil und die feine Figurenzeichnung überzeugt. Leider findet die Regisseurin im letzten Drittel nicht recht zu einem Ende und dehnt den Spannungsbogen unnötig in die Länge.
Mit acht Jahren wird die kleine Kiyoha (in älteren Jahren von Anna Tsuchiya gespielt) an ein Freudenhaus in Yoshiwara, dem Vergnügungsviertel des alten Tokios, verkauft. Von Anfang an widersetzt sie sich den geltenden Regeln und legt sich mit der ranghöchsten Kurtisane, deren Titel „Oiran“ lautet, an. In einem Streit lässt das Mädchen verlauten, dass sie später selbst zur „Oiran“ werde, für sie sei das ein Klacks – und so kommt es dann auch. Als junge Kurtisane hat Kiyoha einen überaus guten Stand bei den Freiern: Die Männer verlieben sich reihenweise, liegen ihr zu Füßen und überhäufen die attraktive Frau, die durch diesen gewissen Blick überzeugt, mit Geschenken. Schließlich wird sie zur gefeierten, ranghöchsten Kurtisane. Doch ihr persönliches Glück bleibt dabei auf der Strecke. Eine verunglückte Liebesbeziehung mit dem Maler Sojiro (Masanobu Ando), die verlorene Freiheit und der Neid ihrer Kolleginnen machen Kiyoha das Leben schwer.
Mika Ninagawa ist in Japan eine bekannte Fotografin und das sieht man „Sakuran“, ihrem ersten Langfilm, auch deutlich an. Die ausgeprägte Farbästhetik aus ihren Fotografien hat sie in das Medium Film übernommen und entwirft so Bilder von atemberaubender Schönheit. Die Kirschbaumblüte, die farbigen Kostüme und die interessante Architektur des Vergnügungsviertels fängt sie ästhetisch herausragend ein. Und dann gelingt ihr noch das Kunststück, bei den ganzen Schauwerten die Geschichte und die Figuren nicht zu vernachlässigen. Vor allem die Protagonistin wird greifbar gemacht und bietet dem Zuschauer, auch dank des gekonnten Schauspiels Anna Tsuchiyas, das runde Bild eines Charakters, der sich äußeren Beschränkungen widersetzt und dabei fast untergeht. Die knallige Musik passt sich in diesen Stil wunderbar ein und ist für einen Film, der im 18. Jahrhundert spielt, recht ungewöhnlich. Pop trifft auf (Punk-)Rock und elektronische Klänge. Dadurch erinnert „Sakuran“ an die Stilistik eines Musikvideos, auch wenn er viel langsamer geschnitten ist: grelle Farben, Erotik, Popmusik.
Den äußeren Rahmen der Handlung bildet die Kirschbaumblüte. Als Kiyoha in das Bordell verschleppt wird, startet sie bereits nach kurzer Zeit – dickköpfig ist sie schon als Kind – einen Fluchtversuch, der allerdings recht bald scheitert. Ein Mann verspricht ihr, dass sie das Viertel verlassen kann, wenn der Kirschbaum im Hinterhof das nächste Mal Blüten trägt. Doch kurz darauf erfährt die Kleine, dass der Baum nie blühen wird. Erst später, als Kiyoha wieder alle Türen offen stehen, sprießt eine einzige Blüte an dem Baum – ein Symbol für Kiyohas starken Charakter und für ihre wieder gewonnene Freiheit. Und auch an anderen Stellen findet Mika Ninagawa plastische Symbole und Metaphern für die Gemütszustände ihrer Figuren. Ein Goldfisch, der in einem kleinen Glas lebt, steht für die verlorene Freiheit der Kurtisanen. Die Oiran erklärt, dass der Fisch seine Schönheit verliert, wenn er in einem Teich leben würde. Denn dann wird er ein ganz normaler Karpfen… In einer anderen Szene stößt Kiyoha das Glas um und der Goldfisch stirbt. Somit wird er zum Ausdruck des Lebens der Bordelldamen, das Freudenhaus ist ihr Glas und die Welt da draußen würde den Tod oder den Weg in die Bedeutungslosigkeit bringen. Doch genau daran zweifelt unsere Protagonistin.
Abgesehen von zwei, drei Szenen spielt „Sakuran“ ausschließlich innerhalb des Bordellviertels. Die Beziehungen und Hierarchien zwischen den Kurtisanen, die Verstrickungen mit den Freiern und das gesamte Personal werden in verschiedenen Zusammenhängen vorgestellt, wobei Kiyoha immer wieder der Dreh- und Angelpunkt des Geschehens ist. Ein wesentlicher Bestandteil der Dramaturgie sind Erotik, Sinnlichkeit und Sex. Als kleines Mädchen beobachtet Kiyoha ihre Oiran bei der Befriedigung eines Kunden, später übernimmt sie selbst diesen Job. Und letztlich schläft sie auch mit dem Mann, den sie liebt.
Leider geht die Rechnung der Regisseurin am Ende nicht mehr ganz auf. Ninagawa verzettelt sich mit ihren Erzählsträngen und findet nicht wirklich ein passendes Ende. Im letzten Drittel gibt es etwa fünf dieser Momente, die den Abspann erwarten lassen und den Film durchaus gut geschlossen hätten. Aber es geht immer noch weiter, vor allem immer langsamer, und mit der Zeit beginnt das Interesse ein wenig zu schwinden. Als dann auch noch ein neues Mädchen ins Bordell kommt und dieselben Dinge durchlebt wie die Protagonisten ein paar Jahre vor ihr, geht die Regisseurin zu weit. Dass das Treiben im Freudenviertel weiter geht und das Schicksal Kiyohas nur eines von vielen ist, hätte man subtiler vermitteln können. Man merkt, dass Mika Ninagawa sich von einigen Aspekten und Ideen nicht trennen konnte, was für einen Debütfilm verzeihlich ist.
Der Gesamteindruck ist dennoch überzeugend, die eigenwillige, moderne Ästhetik und die zeitgemäße Geschichte lassen „Sakuran“ zu einem sehenswerten Film werden. Das gelingt auch dank dem gelungenen Schauspiel Anna Tsuchiyas – und der Leidenschaft, die man dem Film jede Minute anmerkt.