Freunde der Hardboiled-Krimiautorenlegende James Ellroy staunten nicht schlecht, als die Kreativen für die Verfilmung von „White Jazz“ bekannt gegeben wurden. Joe Carnahan, der mit Narc und (später) Smokin´ Aces zwei gute Genrefilme vorgelegt hatte, war schon eine Überraschung, doch dessen Bruder Matthew Michael Carnahan hatte niemand auf der Rechnung. Warum der Drehbuchnewcomer dieses Prestigeprojekt angehen darf, hat sich aber mittlerweile geklärt. Der Mann schreibt nicht nur packende Dialoge, sondern scheut sich auch nicht davor, die heißen Eisen anzupacken: Was er vor allem mit der radikalen Schlusswendung in Operation: Kingdom andeutete, bringt Matthew Michael Carnahan nun mit dem unkonventionellen Polit-Drama „Von Löwen und Lämmern“ zur vollen Entfaltung. Das Skript ist gleichermaßen brillant wie gesellschaftskritisch, so dass der damalige Novize im Handumdrehen Regisseur Robert Redford und die zwei Superstars Tom Cruise und Meryl Streep auf der Matte stehen hatte. Redford, der auch eine der Hauptrollen spielt, setzt der amerikanischen Gesellschaft die Daumenschrauben an und zwingt die Zuschauer zu einer Reaktion – wie immer die auch ausfallen mag... aber irgendeine Reaktion ist unabdingbar. Das Problem: Wirklich neu sind die Argumente nicht.
Der ehrgeizige Senator Jasper Irving (Tom Cruise) will seinen Weg ins Weiße Haus vorbereiten. Er braucht weiteres politisches Profil. Dazu will er die Medien vor den Karren spannen. Er gewährt der TV-Journalistin Janine Roth (Meryl Streep), die bereits seit 40 Jahren im Geschäft ist, ein rares einstündiges Exklusivinterview und möchte ihr dort seine neue, bahnbrechende Militärstrategie für den Afghanistan-Feldzug der USA erläutern. Die Crux: Schon während die beiden unter vier Augen sprechen, hat die bisher hochgeheime Aktion ihren Lauf genommen. Eine kleine Einheit von Elitesoldaten versucht in Afghanistan einen strategisch wichtigen Bergkopf einzunehmen, um ein Tal kontrollieren zu können. Doch der Hubschrauber der Einheit gerät plötzlich unter schweren Beschuss durch die Taliban. Die beiden Freunde Ernest (Michael Pena) und Arian (Derek Luke) stürzen auf das verschneite Bergplateau und bleiben schwer verletzt liegen – umzingelt von afghanischen Kämpfern. Hilfe ist zwar bald unterwegs, aber diese wird wohl zu spät eintreffen. Ernest und Arian waren einst Studenten von Professor Dr. Malloy (Robert Redford). Früher voller Idealismus, ist sein Feuer fast erloschen, doch eben nur fast. Für seine hoffnungsvollsten Zöglinge legt er sich weiterhin schwer ins Zeug. Das bekommt der brillante, aber faule Todd (Andrew Garfield) zu spüren. Malloy will den gelangweilten, privilegierten Jungen in einem langen persönlichen Gespräch dazu ermuntern, gegen die politische und militärische Führung aktiv anzugehen und es besser zu machen.
Janine Roth: „Is this proved?“
Senator Jasper Irving: „Yes… by denials.“
Die Vereinigten Staaten von Amerika haben derzeit viele gesellschaftliche Probleme, doch die zwei größten sind folgende: die desolate politische Führung, die sich orientierungslos durch einen ganzen Haufen von weltumspannenden Krisen laviert und die amerikanischen Massenmedien, die ihre Unabhängigkeit in letzter Konsequenz eingebüßt haben. Die US-Medienlandschaft ist nicht nur von kommerziellen Interessen abhängig und fremdgesteuert, sondern die großen Sender zudem von erzkonservativen republikanischen Kräften gelenkt. Es gibt nicht allzu viele effektive Intelligenzen, die sich vehement dagegen stemmen. Der linksradikale Journalist Glenn Beck tut dies zum Beispiel mit großem Erfolg. In seiner Radioshow legt der hochintelligente Wahnsinnige (wer Beck kennt, weiß, was gemeint ist) so brutal (und unterhaltsam) den Finger in die US-Wunden, dass CNN ihn kurzerhand an Bord geholt hat, um das eigene Profil wenigstens ein bisschen liberaler zu gestalten. Dieses Muster verfolgt der ansonsten streng konservative Nachrichtensender konsequent. Auch der äußerst unbequeme Buchautor Jack Cafferty, dessen aktueller Bestseller „It’s Getting Ugly Out There: The Frauds, Bunglers, Liars, And Loser Who Are Hurting America“ messerscharf und schmerzhaft die Missstände der Nation analysiert, ist in das CNN-Programm als Moderator und Kommentator eingebunden. Das sind allerdings nur kleine Lichtblicke, ein langwieriger Prozess der Selbstheilung von mitterechtsdominierten Nachrichten wie Fox News an der Spitze dieser Bewegung ist nicht in Sicht.
Da passt es ins Bild, dass sich Robert Redford (Der Pferdeflüsterer, „Quiz Show“, „Eine ganz normale Familie“) nach dem Lesen des Drehbuchs von Matthew Michael Carnahan, immerhin sieben Jahre nach seiner letzten Regiearbeit „Die Legende von Bagger Vance“, spontan dazu entschlossen hat, ein siebtes Mal die Zügel der Verantwortung in die Hand zu nehmen. Redford: „Had this just been a film about the war, I probably wouldn’t have been attracted to it, because I knew the war was going to see a lot of different treatments over time. Instead, what interested me about ‘Lions For Lambs’ is the way the story uses the war as a catalyst for three very personal stories about issues that interest me more: the role of the media, of education, of politics and youth in America. Und genau das, was Redford beschreibt, macht „Von Löwen und Lämmern“ so exzellent. Die drei nahezu in Echtzeit erzählten Geschichten handeln zwar vom Krieg, vom Kampf gegen den Terrorismus bzw. zentrieren sich darum, aber der wahre Kern ist die schonungslose Analyse der amerikanischen Gesellschaft.
Die Kernpunkte des Films:
Die Politik hat versagt. Beim großen Spiel um Macht ist der Machterhalt längst zum obersten Ziel geworden, ohne den Bedürfnissen der Bürger übermäßig viel Beachtung zu schenken.
Die Medien haben versagt (und sich mit der Politik arrangiert). Die großen US-Networks sind nicht weniger abhängig von Macht und Geld als die Politik selbst. Zum War on terror holte die Politik die Medien ins Boot, übte den Schulterschluss und ein Ende dieses embedded journalism ist bis auf Ausnahmen nicht in Reichweite. Selbst wenn das Klima nach sechs Jahren voller Fehlschläge, Lügen und Peinlichkeiten rauer geworden ist. Der Widerstand artikuliert sich vielmehr in den Internetblogs. Wie Politik und Medien arbeiten, führt „Von Löwen und Lämmern“ in der Geschichte um Senator Irving und Journalistin Roth entlarvend vor.
Das Bildungs- und Erziehungssystem hat versagt. Wer in den USA eine außergewöhnliche Bildung erlangen will, ist auf Wohlstand und viel Geld angewiesen. Für diesen Typus steht der Student Todd, der hinter seiner zynischen Fassade die richtigen Schlüsse zieht, das kranke System durchschaut, aber resigniert, zu bequem ist, auch Taten folgen zu lassen, weil er es nicht nötig hat. Wer wie die beiden Soldaten Ernest und Arian über die Sportstipendien an die teure Bildung kommt, wird schief angesehen. Ferner verliert eine ganze Generation den Fokus aufgrund der fragwürdigen medialen Beschallung, in der Britney Spears’ desaströser Auftritt bei den MTV Music Awards oder Anna Nicole Smiths bizarres Leben inklusive Selbstmord über Wochen das Programm dominieren – während in der Zwischenzeit allein im Irak 160.000 Soldaten für einen nicht weniger fragwürdigen Krieg den Kopf hinhalten und niemand für dieses Problem eine Lösung hat. Diesen Bogen schlägt Redford in seiner dritten Geschichte um die beiden Soldaten. Denn...
Das Militär hat versagt. Der Regisseur verteidigt keinesfalls das Militär, sondern nur die Menschen, die diese Befehle einer kopflosen, dilettantischen Führung ausführen müssen [1]. Diese Spur führt direkt zurück zu Senator Irving, dessen nur vermeintlich überragende neue Strategie genau in das Desaster führt, wie die Jahre zuvor. So schließt sich am Ende der Kreis der Geschichten und der Kreis der Argumentation.
„Von Löwen und Lämmern“ gibt sich dabei angenehm unkonventionell, aber dennoch glasklar. Zwei der drei Szenarien spielen in einem Büro und bestehen nur aus Dialogen, in denen aber genauso erbittert um jeden Zentimeter Raum gekämpft wird, wie Ernest und Arian in Afghanistan um ihr Leben ringen. Die Kontrahenten jagen sich die Worte wie Gewehrkugeln im Sperrfeuer um die Ohren, belauern sich, Senator und Journalistin spielen Katz- und Maus, ebenso wie Professor Malloy, der seinen Studienprimus aus der Reserve locken will, während die beiden Soldaten ihre Wahl, etwas zu verändern, längst getroffen haben.
Bei der erstklassigen Besetzung verwundert es kaum, dass jeder seinen Teil beisteuert, um der provokante US-Gesellschaftskritik, die sicherlich nicht jedem schmecken wird, zu vollenden. Wer daraus schlussfolgert, „Von Löwen und Lämmern“ sei zynisch, irrt sich gewaltig. Davon ist der Film unendlich weit entfernt. Student Todd ist sicherlich ein Zyniker und die Medien sind zynisch, weil sie sich in diesem berechnenden Spiel haben einspannen lassen, ohne es selbst zuzugeben, aber der Aufruf Redfords und Carnahans zu mehr Courage und Ernsthaftigkeit ist grundehrlich.
Fazit: Der Liberale Robert Redford geht mit „Von Löwen und Lämmern“ den Missständen Amerikas auf den Grund, nimmt das Land auseinander und gibt auf diese Weise einen analytischen Einblick in die aktuelle Gesellschaft der USA. Ein ähnlich scharfes Amerika-Porträt zeichnete zuletzt Phil Morrison im Independent-Fach mit seiner wunderbaren Tragikomödie Junebug. Doch Redford und Carnahan zeigen nicht nur, sie appellieren schlussendlich auch – und beziehen eindeutig Stellung. Das sind zusammen genommen 95 komprimierte Minuten: herausragend gespielt, konzipiert, ein packender Dialog-Thriller, der lediglich etwas daran krankt, inhaltlich keine neuen Argumente zu bringen, sondern nur zu reflektieren... Und dass den amerikanischen Medien dieser Film nicht schmeckt, sollte Ehrensache sein...
[1] Auf den Titel „Lions For Lambs“ (dt.: „Von Löwen und Lämmern“) nehmen Professor Malloy und Student Todd in ihrem Gespräch bezug. In der Schlacht von Somme im Ersten Weltkrieg waren die Deutschen so beeindruckt von dem Mut der britischen Soldaten, dass sie Gedichte und Geschichten über sie schrieben. Allerdings war das Entsetzen über die Unfähigkeit der britischen Offiziere, die ihre jungen Männer gnadenlos verheizten, riesengroß. In einem dieser Gedichte heißt es: „Ich habe noch nie solche Löwen gesehen, die von solchen Lämmern geführt wurden.“