„Bullet In The Head“ ist das bis dato ambitionierteste Projekt von Hongkong-Kultregisseur John Woo; ein Projekt, mit dem er in kommerzieller Hinsicht auf spektakuläre Art und Weise gescheitert ist. Obwohl das Setting äußerst viel versprechend ist: Der Film schickt drei Freunde aus dem Hongkong der 60er Jahre in das vom Krieg zerrissene Vietnam und stellt deren Freundschaft auf eine harte Probe. Die üblichen Themen des HK-Gangsterfilms – Freundschaft, Ehre, Treue – verkehren sich im Lauf der Geschichte ins Gegenteil, Verrat und Hass dominieren die Geschichte. Woo inszeniert auf ästhetisch hohem Niveau, hat sich aber ein wenig zu viel vorgenommen und „Bullet In The Head“ zu sehr überladen. Die typische John-Woo-Dramaturgie, die Entladung melodramatischer Szenen in stilisierter Action, wird hier auf die Spitze getrieben – teilweise wäre weniger mehr gewesen. Dennoch kann „Bullet In The Head“ als einer der besten Filme des Actionmeisters bezeichnet werden.
Die drei Freunde Benny, Frankie und Tommy, verkörpert von den asiatischen Superstars Tony Leung Chiu-wai (In The Mood For Love, 2046), Jacky Cheung (As Tears Go By) und Waise Lee (A Better Tomorrow), leben im Hongkong der Sechzigerjahre. Ihre Freundschaft währt schon etliche Jahre und besteht zwischen Bandenkriegen, Studentenunruhen und Armut. Ausgerechnet am Tag seiner Hochzeit tötet Benny bei einer Schlägerei versehentlich einen Gangster und die drei Freunde flüchten gemeinsam nach Vietnam, um sich in den dortigen Wirren zu bereichern. Und tatsächlich: Nachdem sie das aus den Fugen geratene Land von seiner schmutzigsten Seite kennen gelernt haben, kommen sie in den Besitz eines Koffers voller Gold. Tommy gerät immer mehr in einen regelrechten Goldrausch, zuletzt ist er ganz und gar besessen von dem greifbaren Reichtum, selbst in wilden Schießereien zieht er die Kiste immer hinter sich her. Die Freundschaft beginnt langsam zu zerbrechen und liegt völlig in Trümmern, als Frankie von Tommy eine Kugel in den Kopf geschossen bekommt…
„Bullet In The Head“ ist ganz offensichtlich der pessimistischste Film von John Woo, was vielleicht ein Grund für das Scheitern an der Kinokasse ist. Woo zieht Parallelen zwischen 1967 und 1997, dem Jahr der Rückgabe Hongkongs an China, und formuliert eine Sehnsucht nach einer religiösen Vorstellung von Moral, die er in der modernen Zeit immer weiter schwinden sieht. Dazu zündet er ein Feuerwerk an Symbolen und erzählt den Zerfall der Freundschaft in epischen Ausmaßen: Im Original läuft der Film 127 Minuten, die verstümmelte deutsche Fassung gibt nur 97 Minuten her und lässt den kompletten Showdown aus (mittlerweile gibt es auch eine „Uncut“-Version). Wenn es nach Woo gegangen wäre, würde „Bullet In The Head“ knapp drei Stunden laufen und wahrscheinlich würde er dann nicht mehr so überladen wirken. Woo begleitet seine Protagonisten von Hongkong nach Vietnam und wieder zurück, zeigt Straßenschlachten, Demonstrationen, Schießereien, ein Kriegsschlachtfeld, ein Gefangenlager der Vietcong (in dem Michael Ciminos Die durch die Hölle gehen zitiert wird) und vieles mehr. Die Helden werden von einer haarsträubenden Situation in die nächste geworfen, Zeit zum Luftholen bleibt kaum.
Und dennoch hinterlässt der Film einen positiven Gesamteindruck. Die Actionszenen sind, wie bei John Woo üblich, meisterlich inszeniert. Kein zeitgenössischer Filmemacher (und auch keiner davor) kann Action so ästhetisch und packend auf die Leinwand zaubern. John Woo hat Action im Film auf einen neuen Höhepunkt getrieben, indem er die Stilistik von Sam Peckinpah (The Wild Bunch, Getaway) aufgegriffen und stilistisch verfeinert hat, gewürzt mit einer Romantisierung, die seine Helden als moderne Ritter erscheinen lässt. In gekonnt eingesetzter Zeitlupenästhetik, hervorragend montiert, fliegen Körper, Kugeln, Glas- und Möbelsplitter durch die Luft – einen Stil, den die Wachowskis für ihre Matrix amerikanisiert haben.
Weil John Woo mit Kunstblut nicht gerade sparsam ist und Gewalt mitunter explizit darstellt, wird ihm oft Gewaltverherrlichung vorgeworfen. Dies ist allerdings nicht der Fall: Er ästhetisiert sie zwar, setzt Gewalt aber nicht als Mittel zum Zweck ein. Immer sind die wuchtigen Actionsequenzen, die im Lauf des Films immer heftiger ausbrechen und in ein explosives Finale münden, in dramaturgische Zusammenhänge eingeordnet. Sowohl die Melodramatik als auch die Action sind eher als symbolische Sinnbilder zu sehen, als überspitzte Allegorien auf das Innenleben der Figuren.
Zusammen gehalten wird der Film auch durch die durchweg hervorragenden Leistungen der Darsteller. Tony Leung Chiu-wai ist einer der begabtesten Schauspieler Asiens und spielt die Entwicklung seiner Figur überaus glaubhaft. Waise Lee, der Standard-Verräter des Hongkong-Kinos, kann ebenfalls überzeugen und selbst Jacky Cheung, dessen schauspielerische Leistungen enormen Schwankungen unterliegen, läuft unter der Regie John Woos zur Topform auf (ähnlich gut spielt er in „As Tears Go By“ von Wong Kar-wai). In einer weiteren Rolle ist Simon Yam (Election) zu sehen, der seine Rolle als routiniert-cooler Auftragsmörder mit Bravour meistert.
Fazit: „Bullet In The Head“ ist ein kurzweiliger, eindringlicher und emotional ein wenig überladener Film. Aufgrund seiner kompromisslosen Darstellung von Gewalt genießt er in Splatterkreisen den Status eines Klassikers, kann aber darüber hinaus noch einiges mehr bieten. Nämlich eine Geschichte, die John Woo (der mittlerweile in Hollywood inszeniert, ohne an seine alte Größe anknüpfen zu können) mit einer Wucht erzählt, die kaum einem Vergleich standhält. Entweder man liebt den Film oder man hasst ihn. Aber auf jeden Fall hat er etwas, dass den meisten Film abgeht: Seele.