Romanautorin Joanne K. Rowling ist eine fleißige Frau. Nicht nur, dass sie Warner Bros. eines der erfolgreichsten Franchises der Filmgeschichte bescherte, ihr letzter Teil der „Harry Potter"-Reihe, „Die Heiligtümer des Todes", ist auch noch derart komplex, dass sich die Produzenten David Heyman, David Barron und Rowling selbst dazu gemüßigt sahen, den Abschluss der Fantasy-Saga in zwei Teilen in die Kinos zu bringen. Das Tolle daran: Niemand kann den Beteiligten vorwerfen, nun auch noch den letzten Cent aus dem berühmtesten Zauberlehrling der Welt herauszupressen, weil die Zweiteilung ebenso nötig wie zweckmäßig ist. „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 1" unterscheidet sich stilistisch von den vorherigen Teilen erheblich, weil Regisseur David Yates die doppelte Spielzeit bekommt, um seine Geschichte zu erzählen. Dieses Geschenk nutzt der Brite größtenteils gut aus. So wird er der Vorlage gerechterer als in seinen vorherigen zwei Versuchen mit „Der Orden des Phönix" und „Der Halbblutprinz".
Die Jagd auf Harry Potter (Daniel Radcliffe) ist eröffnet. Der dunkle Lord Voldemort (Ralph Fiennes) schickt seine Todesser, um seinen Erzfeind aufzuspüren und ihn lebendig abzuliefern. Denn töten will Voldemort, der einst Harry Potters Eltern meuchelte, den zum Hoffnungsträger der freien Magierwelt aufgestiegen Nachwuchszauberer höchstpersönlich. Es herrscht Krieg zwischen den guten und den bösen Mächten – und mittendrin stehen die Muggel, die immer häufiger Ziel von gewaltsamen Übergriffen der Voldemort-Truppe werden. Harry verlässt mit Hilfe der Mitglieder des Orden des Phönix seine Bleibe im Ligusterweg und macht sich auf den Weg in den Fuchsbau, das Haus der Weasleys. Doch ein „Maulwurf" verrät Harrys Abreisezeitpunkt und es kommt zu einem Luftkampf mit den Todessern, denen Harry nur mit Mühe entfliehen kann. Als auch noch die Hochzeit von Bill Weasley (Domhnall Gleeson) und Fleur Delacour (Clémence Poésy) von den Todessern gesprengt wird, ist allen klar: Ohne den Schutz des getöteten Professor Dumbledore (Michael Gambon) und der Lehrerschaft von Hogwarts ist Harry nirgendwo mehr sicher. Gemeinsam mit seinen besten Freunden Hermine (Emma Watson) und Ron (Rupert Grint) flieht Harry. Das Trio versucht, die verbleibenden Horkruxe zu finden und zu vernichten. Diese sieben Gegenstände, auf denen Voldemort Teile seiner Seele bannte, machen den dunklen Lord praktisch unsterblich. Aus dem Zaubereiministerium klauen sie ein Medaillon direkt von Dolores Umbridges (Imelda Staunton) Hals, doch das Horkrux lässt sich nicht so leicht zerstören. Aus Angst vor den Verfolgern brechen Harry, Hermine und Ron in die britischen Wälder auf, um ihre Mission voranzutreiben und unentdeckt zu bleiben...
Ursprünglich waren beide Teile von „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" in 3D angekündigt, doch wenige Monate vor dem Kinostart musste David Yates die Umsetzung absagen, weil nicht genügend Zeit blieb, den Film auf 3D aufzupumpen. Angesichts der Verdopplung der Einnahmen durch den zweigeteilten Abschluss der Saga ist der Verzicht auf das kommerziell lukrative 3D zwar nicht mehr ganz so mutig, aber trotzdem löblich. So müssen sich die „Harry Potter"-Fans nicht mit einem unausgegorenen, nachträglich eingefügten Schummel-3D à la M. Night Shyamalan („Die Legende von Aang") zufrieden geben. Der konkrete Mehrwert von 3D hält sich für den Zuschauer mit einigen Ausnahmen („Avatar", „My Bloody Valentine") ja sowieso in Grenzen, wird aber von der Kinoindustrie konsequent uncharmant zur Gewinnmaximierung genutzt. Kaum mehr ein großer Blockbuster verzichtet auf 3D – egal, ob das Sinn macht oder nicht. „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 1" kommt gut ohne die 3D-Technologie zurecht. Allerdings soll Teil 2 dann doch in drei Dimensionen in die Kinos kommen, weil genügend Vorlauf für die Bearbeitung vorhanden ist.
Die Schulzeit ist vorbei für Harry Potter, nachdem Hogwarts von den dunklen Mächten übernommen wurde. Er feiert seinen 17. Geburtstag - Zeit, schnell erwachsen zu werden. Das gilt auch für die Fantasy-Reihe selbst. Driftete „Harry Potter und der Halbblutprinz" noch als eine Art „Harry Potter und die Wilden Hühner" in pubertäre „Twilight"-Seichtigkeit ab, serviert David Yates mit „Die Heiligtümer des Todes" nun den mit Abstand düstersten Teil der Reihe. Gleich zu Beginn stirbt ein treuer Gefährte aus Harrys Umfeld - es herrscht Weltuntergangsstimmung, was sich auch in den kühlen Bildern von Eduardo Serra („Blood Diamond", „Geheime Staatsaffären") adäquat widerspiegelt. Besonders die ausgiebig eingesetzten, episch-schönen Landschaftspanoramen wecken Assoziationen zu den „Der Herr der Ringe"-Filmen, zumal das Trio Harry, Hermine und Ron sich die meiste Zeit auf Wanderschaft im Hobbit-Stil befindet. Aber Yates bedient sich bei aller Konzentration auf das Potter-Universum inszenatorisch nicht nur bei Peter Jackson, sondern auch bei Brian De Palma, dessen famose CIA-Einbruchssequenz aus „Mission: Impossible" wohl Pate für den Horkrux-Beschaffungs-Coup im Zaubereiministerium gestanden hat. Harry, Hermine und Ron infiltrieren unter Einnahme des Vielsafttrankes, der sie äußerlich für begrenzte Zeit das Aussehen eines anderen annehmen lässt, das Zaubereiministerium, das fest in der Hand von Voldemorts Schergen ist. Yates greift das Big-Brother-Is-Watching-You-Motiv aus „1984" auf, hüllt die Angestellten der Einrichtung in Naziuniformen und kühlt das Klima des siebten „Harry Potter"-Teils auf den Gefrierpunkt herunter. Sehr schön gelingt Yates die Erklärung der titelgebenden Heiligtümer des Todes (der Elderstab, der Stein der Auferstehung, der Tarnumhang), nach denen Lord Voldemort trachtet, um tatsächlich Unsterblichkeit zu erlangen. Was diese Artefakte bedeuten und wie sich die Legende gebildet hat, illustriert Yates in einem animierten Exkurs, der stilistisch stark an die Werke eines Tim Burton („Corpse Bride", „The Nightmare Before Christmas") erinnert.
Allgemein sind die Ideen und Einflüsse, die Yates von außen in die Potter-Welt hineinbringt, interessant, aber aus dem ehemaligen TV-Regisseur ist noch immer kein überragender Filmemacher geworden. Mit „Harry Potter und der Orden des Phönix" und „Harry Potter und der Halbblutprinz" legte der Brite die schwächsten Teile der Reihe vor. Aber für eine solide Regie reicht es diesmal schon. Nach dem temporeichen Beginn gönnt sich Yates im Verlauf der zweieinhalb Stunden Spieldauer wesentlich mehr Ruhe als in allen Teilen zuvor. Auf Harrys Zelttour durch die englische Prärie wird ausgiebig gewandert. Hier schleichen sich zwar auch ein paar Längen ein, aber für die Atmosphäre sind die Passagen trotzdem wichtig. Drehbuchautor Steve Kloves, der außer „Harry Potter und der Orden des Phönix" alle Teile schrieb, kann sich deshalb enger an die Buchvorlage von Joanne K. Rowling halten als üblich. Viele der Handlungsstränge der Vorgänger sollen im großen Finale zusammenlaufen. Teil 1 endet übrigens nicht mit einem klassischen Cliffhanger. Natürlich ist nur die erste Hälfte des Buches erzählt, aber inhaltlich steht der Schluss für eine Zäsur innerhalb der Geschichte. Der Punkt der Teilung ist auf jeden Fall geschickt gewählt.
Die Konzentration auf Harry, Hermine und Ron, die oft allein unterwegs sind, fordert die Schauspieler dieses Mal besonders heraus. An den Fähigkeiten des Trios hat sich nichts geändert. Daniel Radcliffe ist weiterhin okay als Harry Potter, aber bei den emotionalen Momenten überfordert. Immerhin ist er bei einer der atmosphärischsten Szenen dabei, wenn Harry und Hermine zu den Klängen von Nick Caves „O Children (lift up you voice)" einen etwas unbeholfen wirkenden, aber Nähe vermittelnden Tanz auf den Zeltboden legen. Rupert Grint nimmt seine Pflicht als Oneliner-Lieferant ernst - trotz der wesentlich düstereren Grundausrichtung des Films. Dazu muss er als Bockiger im Liebesdreieck herhalten, weil er glaubt, Hermine fühle sich mehr zu Harry hingezogen als zu ihm. Letztendlich geht auch seine Leistung in Ordnung. Emma Watson ist ihren zwei Kollegen immer noch deutlich überlegen, bekommt in diesem Teil aber nicht ganz so viele Möglichkeiten, sie an die Wand zu spielen.
Auf die Nebendarsteller der guten Seite ist erneut Verlass, selbst wenn die Rollen nicht allzu groß ausfallen. Bei den Bösewichten erhält Voldemort die meiste Leinwandzeit, die der bis zur Unkenntlichkeit unter einer Maske versteckte Ralph Fiennes nutzt, um diabolisches Charisma zu verströmen. Ansonsten ist der Film wieder einmal bis in die kleinen Nebenrollen mit dem britischen Schauspielestablishment besetzt, was der Qualität zu Gute kommt. Schade ist jedoch, dass Alan Rickman als griesgrämiger Severus Snape nur einen kleinen Auftritt spendiert bekommt - profitierte das Franchise doch bisher ungemein von seiner enormen Präsenz. Die Figuren-Neuzugänge spielen nur eine untergeordnete Rolle. Bill Nighy eröffnet als Zaubereiminister mit einem pathetischen Monolog den Film und Rhys Ifans fällt als Xenophilius Lovegood eine Schlüsselrolle zu. Bei aller schauspielerischen Qualität, die den Film stärkt, ist es aber ausgerechnet Hauself Dobby (Stimme: Toby Jones), der in einer herzzerreißenden Szene die größten Emotionen auf die Leinwand zaubert.
Fazit: Kein Hogwarts, kein Quidditch und gleich eine ganze Reihe von Toten - Harry Potter ist erwachsen geworden und die Stimmung düsterer als je zuvor. Ob David Yates der Richtige für die Reihe ist, darf weiterhin bezweifelt werden, aber mit „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 1" ist dem Regisseur sein bester Potter-Film gelungen, weil er aus alten Mustern ausbricht und dem Finale den nötigen Raum gibt. Der siebte Film reiht sich qualitativ im Mittelfeld des Franchises ein, ist besser als Yates‘ zwei Vorgänger, kommt aber lange nicht an Alfonso Cuaróns Primus „Harry Potter und der Gefangene von Askaban" heran.