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    Die schöne Querulantin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Die schöne Querulantin
    Von Christoph Petersen

    Als Brasiliens Superstar Ronaldinho während der Fußball-WM gefragt wurde, was ihm denn in Deutschland am besten gefiele, entschied er sich spontan für den lustigen Mann, der im Kinderfernsehen innerhalb einer Minute Bilder male. Es hätte sich sogar zu einer Art Institution entwickelt, dass die komplette Mannschaft sich allabendlich für diese Sendung vor dem Fernseher versammeln würde. Für alle, die Malern ähnlich begeistert bei ihrer Arbeit zusehen, ist die vierstündige Fassung von Jacques Rivettes Drama „Die schöne Querulantin“ eine reichhaltige Fundgrube.

    Im Gegensatz zur gekürzten Fassung bekommt man hier minutenlange, nahezu starre Einstellungen geboten, in denen man nur die Hände des Malers und die zu bemalende Unterlage betrachtet. Egal, ob mit Tinte in seinem Block oder mit Kreide und Ölfarbe auf der Leinwand, hier bekommt man die Skizzenphase bis hin zum Beginn des Gemäldes in aller Ausführlichkeit dargeboten. Aber nicht nur für Kunstfans ist die ursprüngliche Fassung, die FlaxFilm nun noch einmal in der O.m.d.U.-Version in unsere Kinos bringt, von Bedeutung, auch für Filminteressierte, für die schon die gekürzte Fassung eines der ergiebigsten Meisterwerke zum Thema Kunst und Leben war, ist sie ein absolutes Muss: So sind neben dem Vorteil der Ausführlichkeit auch der natürlichere Erzählfluss und die Einfachheit, mit der man sich in der Ruhe des Films verlieren kann, positiv hervorzuheben.

    Der junge Pariser Maler Nicolas (David Bursztein) und dessen Freundin Marianne (Emmanuelle Béart) machen Urlaub im sonnigen Süden Frankreichs. Durch seinen alten Freund und Gönner Porbus (Gilles Arbona) kommt Nicolas in Kontakt mit dem berühmten Maler Edouard Frenhofer (Michel Piccoli), den Nicolas zwar sehr bewundert, der aber auch seit zehn Jahren kein Bild mehr vollendete. Damals war er mit seiner Frau Liz (Jane Birkin) als Modell an dem Gemälde „La Belle Noieuses“ beinahe zerbrochen. Als er nun jedoch die wunderschöne Marianne kennen lernt, kehrt sein Glaube an seine eigenen Fähigkeiten wieder zurück – mit ihr als Modell will er sein begonnenes Meisterwerk endlich vollenden. Und während sich Frenhofer und Marianne in der immer intensiver und intimer werdenden Arbeit an dem Gemälde nahezu vollständig verlieren, müssen Nicolas und Liz mit ihrer aufkeimenden Eifersucht fertig werden…

    Regisseur Jacques Rivette wurde stets von den meisten als herausragender Künstler anerkannt, nur an seinen Fähigkeiten als Filmemacher wurde schon immer gezweifelt. Aber gerade was „Die schöne Querulantin“ angeht, scheint diese Diskussion von Anfang an überflüssig. Diejenigen, die Rivette als Meisterregisseur und herausstehenden auteur der Nouvelle Vague schätzen, können ihn als großartigen Film über die Kunst und ihre Künstler betrachten. Und all diejenigen, die schon immer den Künstler in Rivette in den Vordergrund zu ziehen versuchten, können ihn als eigenständiges Kunstwerk ebenso gut hinnehmen. Egal, zu welcher der beiden Gruppen man sich auch zählen mag, man wird kaum darum herumkommen, sich in das Werk aus seiner Perspektive heraus zu verlieben.

    Obwohl „Die schöne Querulantin“ lose auf der Balzac-Erzählung „Le chef – d´oeuvre inconnu“ beruht, haben sich Rivette und seine Darsteller zwar mit einer festgelegten Szenenfolge, aber ohne feststehende Dialoge oder präzisen Definitionen der Charaktere in die Dreharbeiten gestürzt. Gerade bei einem vierstündigen Film, den Rivette dann noch nicht einmal in chronologischer Folge abgedreht hat, ein mehr als mutiges Unterfangen, dass sich im Nachhinein aber – vor allem was die Zeichnung der Charaktere angeht - voll ausgezahlt hat. Der Zuschauer hat in den 240 meist sehr ruhigen Minuten viel Zeit zum Nachdenken, so dass jeder Kinobesucher den Saal mit einer etwas anderen Vorstellung der komplexen Beziehungen der Figuren zueinander verlassen wird.

    Aber diese Überlegungen lohnen sich nicht nur, weil man im Dunkel des Raumes eh nichts anderes zu tun hat, sondern auch, weil die Charaktere gleichzeitig so subtil und offen, aber auch differenziert und präzise daherkommen, dass es eine reichhaltige Fundgrube an verschiedenen Lesarten und versteckten Nuancen zu entdecken gilt. Und auch wenn Marianne als Querulantin meist im Mittelpunkt steht, sich im Verlauf des Films von einem einzigen verschlossenen Geheimnis hin zur vollständigen Offenlegung ihrer abgründigen Seele entwickelt und das eigentliche Sujet von Rivette und Frenhofer bleibt, erreichen auch die vier anderen Hauptfiguren eine unglaubliche Tiefe.

    Zwar hatte Emmanuelle Béart (Wie in der Hölle) schon vor Rivettes Film in bedeutsamen Produktionen wie Claude Berris „Manons Rache“ oder André Techinés „J´Embrasse Pas“ mitgewirkt, trotzdem verdankt sie ihrer Rolle als schöne Querulantin ihren endgültigen internationalen Durchbruch. Mit welcher unglaublichen Wirkung sie die Entwicklung Mariannes, für die die Arbeit an dem Gemälde das Fallenlassen aller schützender Masken bedeutet und die an der endgültigen Selbsterkenntnis beinahe zerbricht, verkörpert, wird wohl für immer unvergessen bleiben. Da können auch die beeindruckenden Leistungen von Schauspiel-Größen wie Michel Piccoli oder Jane Birkin nichts ändern, „Die schöne Querulantin“ wird man für alle Zeiten in erster Linie mit der jungen, wunderschönen Béart in Verbindung bringen. So ist „Die schöne Querulantin“ nicht nur eines der wichtigsten Dramen über die Kunst und das Leben überhaupt, sondern auch die Entdeckung einer der größten zeitgenössischen Schauspielerinnen des französischen Films.

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