Deutsche Filme von internationalem Format sind nicht unbedingt an der Tagesordnung. Einen weiteren Kandidaten aus dieser Kategorie bringt Nachwuchs-Regisseur Achim von Borries („England“) an den Start. In seinem poetischen Drama „Was nützt die Liebe in Gedanken“ versammelt er eine Schar exzellenter Jungstars und packt die reale Geschichte um die „Steglitzer Schülertragödie“ aus dem Jahr 1927 in betörende wie verstörende Bilder.
Der Film beginnt mit dem Ende: Der Abiturient und Dichter Paul Krantz (Daniel Brühl) sitzt in Untersuchungshaft und wird dem Richter vorgeführt. Gemeinsam mit seinem besten Freund, dem selbstbewussten und reichen Günther Scheller (August Diehl), hat er einen Selbstmörderclub gegründet. Die Justiz verlangt nach Erklärungen... Drei Tage zuvor: Paul und Günther wollen das Wochenende auf dem feudalen Landsitz von Günthers Eltern in Mahlow nahe Berlin verbringen. Sie laden noch einige Freunde aus der Stadt ein, um zügellos zu feiern. Paul verliebt sich in Günthers lebenshungrige Schwester Hilde (Anna Maria Mühe), die sich allerdings nicht mit einem Mann begnügen will. Mit dem Koch Hans (Thure Lindhardt) hat sie eine Affäre. Doch auch ihr Bruder Günther ist unsterblich in den bisexuellen Hans verliebt, will aber von ihm loskommen. Hildes beste Freundin Elli (Jana Pallaske) hat sich unterdessen in Paul verguckt und will ihn für sich gewinnen, obwohl sie weiß, dass er in Hilde verliebt ist. In einer Mischung aus Liebe, Lust nach Leben und hemmungsloser Eifersucht steigert sich die Party in einen Rausch aus Alkohol, Absinth und Musik. Paul und Günther schmieden einen Plan. In der Stunde des vollkommenden Glücks wollen sie freiwillig aus dem Leben scheiden – am höchsten Punkt. Oder den mit in den Tod nehmen, der ihre Liebe abweist...
Achim von Borries machte vor zweieinhalb Jahren mit dem poetischen Independent-Drama „England“ auf sich aufmerksam. Mit seinem nächsten Kinoprojekt „Was nützt die Liebe in Gedanken“ durfte er ein größeres Kaliber angehen. Mit der Verfilmung der wahren Begebenheiten der Steglitzer Schülertragödie, die 1927 einen Sittenskandal auslöste, könnte von Borries der Durchbruch bei einem größeren Publikum gelingen. Obwohl der Film in den Zwanzigern spielt, hat von Borries sein Werk deutlich entstaubt. Die Sprache ist zwar dezent an die damalige Zeit angelehnt, aber den moralischen Balast von einst müssen die Protagonisten nicht mit sich herumschleppen. Emanzipation ist schon ein Begriff und auch die Homosexualität von Günther kein gesellschaftliches Problem. Zumal er sowieso der Oberschicht angehört und sich somit mehr Freiheiten erlauben kann. Die perfekte Ausstattung ist selbstverständlich den Zwanzigern angepasst, um die Zeit authentisch aufleben zu lassen - ohne dabei in Kostümorgien à la Vilsmeiers „Comedian Harmonists“ oder „Marlene“ zu verfallen.
Was den Film auszeichnet sind vordergründig zwei Dinge. Zum einen die herausragenden schauspielerischen Leistungen und zum anderen die einzigartig dichte Atmosphäre, die von Borries im Zusammenwirken von Schauspiel und Bildern erschafft. Die betörenden Postkartenmotive von Kamerafrau Jutta Pohlmann („England“) erzeugen vor dem Hintergrund der poetisch, aber radikal angehauchten Geschichte eine unglaubliche Stimmung, von der der Film lebt. Unterstützt wird diese noch von Thomas Feiners nostalgischem Soundtrack, der sich der Salon-Musik der Epoche annimmt ohne zu übertreiben. Dazu glänzen die Jungdarsteller mit teils überragenden Leistungen. August Diehl („Lichter", „Tattoo", „Love The Hard Way") war seit „23“ nicht mehr so gut zu sehen. Die Begeisterung und Spannung in seinen Augen, die einen leichten Hang zum Wahnsinn hat, ist wirklich sehenswert. In der Zügellosigkeit seiner Filmfigur geht Diehl voll auf, muss sich nicht zurückhalten und kann den extrovertierten Charakter ausleben. Er ist fast maßlos arrogant, aber zugleich verletzlich.
Daniel Brühl („Good Bye, Lenin!", Nichts bereuen“, „Schule“) bildet das schauspielerische Pendant. Seine Figur ist introvertiert, ruhig, aber dennoch innerlich voller Feuer und Leidenschaft. Das bringt das Problem mit sich, dass der in Barcelona geborene Brühl für die feineren Nuancen zuständig ist. Das gelingt ihm aber gut, auch wenn er nicht ganz an Diehls großartige Performance rankommt. Eine schauspielerische Überraschung ist die superbe Leistung von Newcomerin Anna Maria Mühe, die bisher nur in „Große Mädchen weinen nicht“ zu sehen war. Als Vorläuferin eines Vamps macht sie alle verrückt - ihren Liebhaber Hans, ihren Verehrer Paul und nicht zuletzt ihren Bruder Günther, zu dem unterschwellig das Thema Inzest angedeutet wird. Die Vierte im Bunde, Jana Pallaske („Extreme Ops", „Baader“, „Engel & Joe“), fällt ebenfalls nicht aus der Reihe. Auch sie kann als schüchterne Elli, die sich in den Falschen verliebt, überzeugen. So auch der Däne Thure Lindhardt, der erstmals in einem deutschen Film zu sehen ist. Als Objekt der Begierde des Geschwisterpaares Günther und Hilde soll er zur tragischen Figur werden.
Frei von Schwächen ist der Film jedoch nicht. „Was nützt die Liebe in Gedanken“ glänzt nicht mit überragenden Dialogen, diese sind eher spärlich gesät. Das Erzähltempo ist gemächlich, zu Beginn fast schon schleppend. All das opfert von Borries seinem Konzept, den Film über seine Bildsprache arbeiten zu lassen. Doch angesichts der bemerkenswerten atmosphärischen Dichte, die er erzeugt, sollte darüber hinweggesehen werden. Ein Dialogfeuerwerk hätte in diesen Rahmen nicht gepasst - ein wenig Straffung jedoch schon. Dennoch bleiben die Drehbuchautoren Achim von Borries und Hendrik Handloegten (Regie: „Liegen lernen", Co-Schreiber von „Good Bye, Lenin!") nicht an der Oberfläche. Ihre Charaktere sind explosiv und vor allem konsequent – und dennoch kommt die Poesie durch Pauls Gedichte nicht zu kurz. Die Storykonstruktion mit dem vorgeschobenen Ende löst von Borries ebenfalls wunderbar auf. So ist „Was nützt die Liebe in Gedanken“ in seiner Konsequenz ein sehenswerter, erstaunlicher Film, der eine Art morbide Eleganz ausstrahlt.