Mein Konto
    Napoleon Dynamite
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Napoleon Dynamite
    Von Carsten Baumgardt

    Es gibt Filme, die lassen dem Betrachter in letzter Konsequenz nur zwei Möglichkeiten: love it or hate it! Ein lupenreiner Vertreter aus dieser Kategorie ist Jared Hess’ bizarr-lakonische High-School-Komödie „Napoleon Dynamite“. Der Überraschungshit des Sundance Festivals entwickelte sich auch in den US-Kinos zum sensationellen Sleeper-Hit, spielte bei einem Budget von 400.000 Dollar insgesamt knapp 45 Millionen Dollar ein und wurde zum Kult.

    Napoleon Dynamite (Jon Heder) ist ein eigenwillig-verschrobener Teenager, dessen Freundeskreis sich an seiner High School in der tiefsten Provinz des US-Bundesstaates Idaho stark in Grenzen hält. Als seine Großmutter (Sandy Martin) sich bei einem Unfall das Steißbein bricht, steht Onkel Rico (Jon Gries) auf der Matte, um auf ihn und seinen 32-jährigen Bruder Kip (Aaron Ruell) aufzupassen. In der Schule freundet sich Napoleon mit dem neuen Schüler Pedro (Efren Ramirez) an – ebenfalls ein Außenseiter und der einzige, der dort einen Schnurbart trägt. Beim Schulball kommt Pedro seinem neuen Kumpel zuvor und lädt Deb (Tina Majorino), auf die Napoleon ein Auge geworfen hat, ein. Kip und Onkel Rico versuchen sich derweil als Geschäftsleute und verkaufen Haushaltsschüsseln von Tür zu Tür. Bei der Wahl zum Schulsprecher lässt sich Pedro überraschend aufstellen und tritt gegen die beliebte Summer (Haylie Duff) an. Napoleon wird sein Wahlkampfmanager...

    Die Erfolgsgeschichte von „Napoleon Dynamite“ ist in ihrer Entstehung sehr überraschend. Eine gute Publicity in Sundance garantiert zwar so gut wie sicher eine Kinoauswertung in den USA, aber keineswegs ist auch zwangsläufig ein kommerzieller Erfolg einzuplanen. In dieser Hinsicht übertrifft der Film die kühnsten Erwartungen aller Beteiligten um Lichtjahre. Noch ein kleines Zahlenspiel, welches die Dimensionen verdeutlicht: Hauptdarsteller Jon Heder, der schon bei Jared Hess’ preisgekröntem Kurzfilmdebüt „Peluca“ dabei war, erhielt für seine Dienste 1.000 Dollar Gage. Verglichen mit dem Einspielergebnis ein absoluter Witz.

    „Napoleon Dynamite“ gelingt das, wovon alle Filmemacher insgeheim träumen: Er trifft den Nerv eines bestimmten Publikums zentimetergenau. Warum dies so ist, lässt sich relativ leicht beantworten. Die Story, sofern sie als eine solche zu bezeichnen ist, enthält kaum einen dramaturgischen Spannungsbogen und spielt keine Rolle. Es sind die Charaktere, welche den Film sehenswert machen. Jared Hess inszeniert eine beispiellose Freakshow wie sie seit Werner Herzogs „Stroszek“ wohl nicht mehr in dieser Intensität auf der Leinwand zu sehen war. Jede einzelne Figur wäre eigentlich einen eigenen Film wert. Im Zentrum steht der seltsame Napoleon Dynamite. Er ist eine Art Antiheld der Antihelden. Der Nerd ist der Prototyp eines Losers, aber es schert ihn nicht die Bohne. Die US-Tagline zu dem Film trifft es sehr gut: Er zieht aus, um zu beweisen, dass er nichts zu beweisen hat. Freunde? Anerkennung? Karriere? Zukunft? Das alles ist für Napoleon nicht wichtig. Er ist kein einfacher Charakter, seine sozialen Fähigkeiten sind nicht zu sehr ausgeprägt. Er lebt in seiner eigenen Welt. Lediglich das Fehlen eines wirklichen Talents stört ihn selbst, aber er soll dabei doch noch fündig werden.

    Jon Heder, dieser überaus merkwürdige Typ, ist die Entdeckung schlechthin. Der Mittzwanziger spielt seinen Napoleon zwar nur, aber das skurrile Äußere ist echt - jedenfalls zu Zeiten der Dreharbeiten. Es dauerte Monate, bis Heder die Locken wieder loswurde. Der stets fragende Gesichtsausdruck, die kuriose Frisur, die uncoole Pilotenbrille und der staksige Gang machen aus ihm den Oberfreak der Freaks - ohne ihn als Vollidioten dastehen zu lassen. Das gesamte Personal ist irgendwo in den 80er Jahren stehen geblieben und kleidet sich auch dementsprechend. Wirklich alles an „Napoleon Dynamite“ ist aufreizend uncool, selbst die hippen Leute der High School. Auf dem Abschlussball tönen Alphavilles „Forever Young“ und Cindy Laupers „Time After Time“ mit einem lässigen Selbstverständnis aus den Boxen, dass es schon wieder cool ist. Heders Mitstreiter bieten ihm in Sachen Skurrilität die Stirn. Jon Gries („Welcome To The Jungle“, „Men In Black“, „Pretender“) ist als Toupetträger, der nur in der Vergangenheit lebt, Napoleons Angriffspunkt, da beide sich gegenseitig überhaupt nicht ausstehen können. Aaron Ruell mimt den merkwürdigen Bruder, der sich im Chat Room verliebt und ansonsten sein Leben in der zweiten Reihe lebt. Efren Ramirez („Mr. And Mrs. Smith“) und Tino Majorino („When A Man Loves A Woman“, „Waterworld“) bereichern den harten Cliquenkern von „Napoleon Dynamite“ mit ebenso verqueren Macken.

    Den Witz bezieht der Film zumeist aus den Figuren und deren lakonisch-skurrilem Auftreten. Es ist schlicht unglaublich komisch, den Darstellern schon bei Banalitäten zuzusehen - staubtrockener Humor mischt sich mit Situationskomik. Wenn Napoleon sich zum Beispiel an Onkel Ricos Zeitmaschine, die er über das Internet bestellt hat, probiert, ist das derart witzig, dass einem fast die Tränen fließen. Heder schnallt sich ein Elektrogeschirr um den Kopf und steckt sich einen verdrahteten Joystick-ähnlichen Knüppel zwischen die Beine. Wie zu erwarten, geht das Experiment fürchterlich in die Hose („This time machine is a piece of crap“).

    Ganz nebenbei persifliert Jared Hess, der das Drehbuch gemeinsam mit seiner Frau Jerusha schrieb, das Leben in seiner Heimat Idaho. Der Kartoffelstaat, in dem die Redneck Agenda mehr als in allen anderen Teilen der USA in Kraft ist (70 Prozent Bush-Wähler), gilt als dunkelste Provinz der Vereinigten Staaten. Hess gibt dem Film mit der Charakterisierung einen leichten satirischen Unterton, der vor allem den Europäern gefallen wird.

    Diese sonderbaren Gestalten muss nicht jeder mögen. Sehr gut möglich, dass ein Teil des Publikums am liebsten schreiend rauslaufen möchte. Doch wer in die Welt des Napoleon Dynamite eintaucht, kann schnell süchtig danach werden. Jared Hess' angenehm lethargische Komödie wandelt auf den Pfaden von Todd Solondz’ „Welcome To The Dollhouse“, ist aber in der Machart dennoch vollkommen eigenständig - weniger anspruchsvoll, dafür umso lustiger. Für viele ein Kultfilm, für andere Zeitverschwendung. Für Meinungen dazwischen ist kaum Platz. Auch wenn Hauptdarsteller Heder nur spärlich entlohnt wurde, hat sich sein Mitwirken dennoch gelohnt. Durch den Film hat er bereits vier Projekte an Land gezogen („Moving McAlister“, „Just Like Heaven“, „Monster House“, „The Benchwarmers“) und jetzt im Business Fuß gefasst. Der Name Napoleon Dynamite ist übrigens ein Pseudonym, das Elvis Costello 1986 für sein Album „Blood And Chocolate“ benutzt hat. Jared Hess fiel aus allen Wolken, als ihn ein Schüler am Ende der Dreharbeiten darauf aufmerksam machte: „Had I known that name was used by anybody else prior to shooting the whole film, it definitely would have been changed ... I listen to hip-hop, dude. It's a pretty embarrassing coincidence.”

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top