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    Von Menschen und Göttern
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Von Menschen und Göttern
    Von Ulf Lepelmeier

    Einen ungewöhnlichen Einblick in die geheimnisvolle und fremd erscheinende Welt des Glaubens eröffnete Regisseur Philip Gröning 2005 mit seinem Dokumentarfilm „Die große Stille", in dem er das Leben im Kartäuserkloster Grande Chartreuse als stiller Betrachter einfing. Auch Grönings französischer Kollege Xavier Beauvois („Eine fatale Entscheidung") führt den Zuschauer hinter die Mauern eines Klosters und zeigt ihm in dem spirituellen Drama „Von Menschen und Göttern" das karge Leben einer kleinen Gruppe von Trappistenmönchen in Algerien. Der 2010 mit dem Großen Preis der Jury in Cannes ausgezeichnete Film ist allerdings weit mehr als eine bloße Alltagsbeobachtung, denn er basiert auf einer besonders tragischen, immer noch unaufgeklärten Episode des algerischen Bürgerkriegs. Vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund religiöser Spannungen in dem nordafrikanischen Land, die 1996 zur Entführung und späteren Enthauptung der französischen Mönche des Klosters Tibhirine führten, entfaltet sich in dem von den bewegenden Gesängen der Bruderschaft erfüllten, schnörkellos erzählten und klar strukturierten Werk eine intensive innere Spannung: „Von Menschen und Göttern" erzählt von dem Druck einer lebensbedrohlichen Situation, von gemeinschaftlicher Stärke und unzerstörbarer Hoffnung.

    1992: Im Atlasgebirge gehen neun französische Trappistenmönche ihrem streng geregelten Leben nach, das aus Meditation, landwirtschaftlicher Betätigung sowie sieben gemeinschaftlich zelebrierten Andachten am Tag besteht. Das Zusammenleben mit der muslimischen Dorfbevölkerung ist von Respekt und gegenseitiger Hilfsbereitschaft geprägt. Doch nachdem die Machtübernahme der parlamentarisch gewählten radikal-islamischen Heilspartei (FIS) durch die algerische Armee unterbunden wurde, beginnt eine Zeit des fundamentalistischen Terrors, der schon bald auch das Umfeld des Klosters erreicht, als ganz in der Nähe kroatische Bauarbeiter brutal niedergestochen werden. Der Konflikt weitet sich aus, und die Mitglieder der Klostergemeinschaft müssen damit rechnen, entführt oder umgebracht zu werden, wenn sie das Land nicht verlassen. Die Mönche müssen sich entscheiden, ob sie der Gefahr weichen oder entgegen aller Warnungen weiterhin der algerischen Dorfgemeinde beistehen und der Gefahr die Stirn bieten wollen. Während für Klostervorsteher Christian (Lambert Wilson) eine Übersiedlung nach Frankreich nicht in Frage kommt und auch Bruder Luc (Michael Lonsdale), der die Dorfbewohner medizinisch betreut, das Kloster Tibhirine nicht verlassen möchte, sind die meisten anderen Mönche noch unentschlossen...

    In Frankreich entwickelte sich „Von Menschen und Göttern" zu einem unerwarteten Hit und konnte sich mit insgesamt mehr als drei Millionen Besuchern für vier Wochen an der Spitze der Kinocharts behaupten. Auch wenn die spirituelle Kraft des zutiefst menschlichen Dramas beeindruckend ist, so dürfte der große Erfolg mindestens ebenso sehr auf das heikle politische Sujet des Films zurückzuführen sein. Es ist immer noch ungeklärt, ob das algerische Militär an der Ermordung der Mönche beteiligt war, die Regierung in Algiers verweigert bis heute ihre Mitarbeit bei der Aufarbeitung des brisanten Falls. Beauvois enthält sich bewusst jeder Schuldzuweisung und beschäftigt sich ansonsten auch nur ganz am Rande mit den politischen und zeithistorischen Zusammenhängen. Er setzt vielmehr einen Akzent auf das universelle und zeitlose Anliegen des fruchtbaren Austauschs der Weltreligionen untereinander, den die Mönche und ihre muslimischen Nachbarn lange Zeit vorbildlich praktizieren, und konzentriert sich ansonsten auf das Ringen der Klosterbrüder mit ihren theologischen Skrupeln und ihren allzu menschlichen Gewissenskonflikten.

    „Von Menschen und Göttern" ist durchzogen vom aufklärerischen Gedankengut der Toleranz und der Verständigung zwischen den Religionen. Während die Trappistenbruderschaft ärztliche Hilfe leistet und die lokale Bevölkerung beim Erstellen von offiziellen Dokumenten unterstützt, kaufen die muslimischen Dorfbewohner den Honig und andere von den neun Mönchen angebaute landwirtschaftliche Erzeugnisse. Die Weltreligionen schließen sich hier nicht gegenseitig aus, sondern sie koexistieren friedlich und ergänzen sich. Die christlichen Mönche setzen sich vorurteilsfrei mit dem Koran auseinander, die Dorfbewohner laden die Brüder zu islamischen Festen ein und die Dorfältesten stehen mit den christlichen Nachbarn in regem Gedankenaustausch. Die Mönche leisten ihre Hilfe unabhängig von Konfession und Herkunft, leben in einem streng geregelten Tagesrhythmus und führen ein gemeinschaftliches Leben der inbrünstigen Demut, wodurch jeder Gedanken an einen missionarischen Ansatz ihrer Tätigkeit im Keim erstickt wird. Ihnen geht es einzig und allein um das Wohl der Menschen.

    Trotz der positiven Darstellung des Klosterlebens und des Engagements der Bruderschaft werden die Mönche aber keineswegs zu Halbgöttern hochstilisiert. Vielmehr arbeitet der Regisseur mit seiner ruhigen und feinfühligen Inszenierung die Ängste und Zweifel der Brüder genauso eindringlich heraus wie ihr großes Gottvertrauen und ihren Glauben an die ihnen zugewiesene Lebensaufgabe. Erst nach mehreren Unterredungen im kleinen Kreis und längeren Diskussionsrunden zwischen allen Mönchen wird die gemeinsame Entscheidung getroffen, das Risiko eines weiteren Aufenthalts in Algerien auf sich zu nehmen und ein Zeichen der Solidarität mit den ebenfalls verunsicherten Dorfbewohnern zu setzen. Dass die Darstellung der Entscheidungsfindung so überzeugend gerät, ist nicht zuletzt den Schauspielern zu verdanken. Mit seinem zurückhaltenden Spiel begeistert Lambert Wilson („La Princesse De Montpensier", „Matrix Reloaded"), dessen Bruder Christian als Vorsteher der kleinen Klostergemeinschaft vordergründig entschlossen und in seinen Ansichten unerschütterlich wirkt, dem zugleich aber der Druck der Verantwortung für seine Mitbrüder spürbar zu schaffen macht. Auch Michael Lonsdale („Agora - Die Säulen des Himmels", „Der Name der Rose") als eigensinniger, aber großherziger Bruder Luc zeigt eine glänzende Leistung und der Rest der Besetzung überzeugt ebenfalls.

    Das starke Engagement der Darsteller zahlt sich auch musikalisch aus, denn um eine größtmögliche Authentizität zu erreichen, erlernten die Akteure in zwei Monaten intensiver Probenarbeit gemeinsam die Kunst des mönchischen Chorgesangs. Mit eindrücklichen wiederkehrenden Szenen der mit Gebet und Gesang begangenen Andachten der Bruderschaft in der kleinen Kapelle des Klosters verleiht Beauvois seinem Film einen in sich ruhenden Rhythmus und spiegelt zugleich den streng geregelten Tagesablauf der Mönche wieder, wobei die Choräle inhaltlich subtil in das Handlungsgeschehen eingepasst sind und eine weitere Ebene der Auseinandersetzung mit den Ereignissen eröffnen. Die äußere Strenge des Klosterlebens steht so im Kontrast zu der oftmals geradezu überwältigenden musikalischen Ausdruckskraft des Gesangs. Die eindringlichste Szene kombiniert in berührender Klarheit die Bilder der sich direkt über dem Kloster nähernden Gefahr mit der gesanglichen Bitte der Mönche um Gottes Beistand: Mit einem entschlossenen Crescendo stemmt sich die eingeschworene Bruderschaft musikalisch dem Rotationslärm eines Militärhubschrauber entgegen. Die Wirkungsmacht der Musik zeigt sich auch beim Einsatz des einzigen weltlichen Stücks, wenn Tschaikowskys „Schwanensee" die Brüder in einer besonders emotionalen, an das Abendmahl gemahnenden Szene zu Tränen rührt.

    Fazit: Xavier Beauvois verbindet in „Von Menschen und Göttern" eine von Respekt geprägte, formal ausgereifte Darstellung des Klosterlebens mit einer eindringlichen Erzählung über die Auseinandersetzung mit tödlicher Gefahr und die aus der tröstenden Kraft des Glaubens erwachsene Hoffnung zu einem stimmungsvollen, zeitlosen Drama und zu einem Plädoyer für religiöse Toleranz.

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