Jim Jarmusch und seinen Filmen nähert man sich am besten über drei Begriffe: Minimalismus, Independent und Postmoderne. Denn wie bei kaum einem anderen Regisseur tragen sie alle die typischen Erkennungszeichen seines Stils – die reduzierten Dialoge, endlos langen Einstellungen und handlungsarmen Plots. Und doch gleicht kein Film dem anderen, zu vielschichtig sind die sorgsam gesetzten Details, zu komplex seine filmischen Baupläne: die zahllosen Referenzen an Literatur, Kino und Popkultur, so wie der narrative Faden, der sie alle in gewisser Weise miteinander verbindet. Geradezu exemplarisch für dieses Prinzip der Kontinuität und Weiterentwicklung steht „Ghost Dog – Der Weg des Samurai“, der sowohl thematisch als auch stilistisch an Jarmuschs apokalyptisches Western-Epos (Dead Man) erinnert. Wie gewohnt konzentrierte sich Jarmusch auch diesmal ganz auf seinen Hauptdarsteller, Forest Whitaker (Der letzte König von Schottland, Platoon). Und das aus gutem Grund, denn mit seiner emotionalen Präsenz und physischen Stärke spielt Whitaker so gut wie nie zuvor und erzeugt dabei eine Atmosphäre, wie sie eindringlicher kaum hätte sein können.
Er sieht aus wie ein Rapper, lebt wie ein Samurai. Zusammen mit einem Schwarm Brieftauben führt der Zen-Buddhist Ghost Dog (Forest Whitaker) ein abgeschiedenes Leben auf dem Dach eines Hochhauses. Abgesehen von seinem einzigen Freund, dem Eisverkäufer Raymond (Isaach De Bankolé), läuft der Kontakt zur Außenwelt nahezu ausschließlich über den Mafioso Louie (John Tormey), der ihm Jahre zuvor nach einem rassistischen Überfall einer weißen Straßengang das Leben rettete. Seitdem arbeitet Ghost Dog als Killer für den lokalen Mafia-Clan und sieht in Louie seinen spirituellen Meister. Als er bei einem seiner Auftragsmorde das in Ungnade geratene Familienmitglied Handsome Frank (Richard Portnow) liquidieren soll, wird Ghost Dog jedoch zufällig von der Tochter des Bosses, Louise (Tricia Vessey), beobachtet und gerät daraufhin selbst in das Visier der Mafia, reagiert aber zunächst gelassen. Erst als die Gangster gezielt Jagd auf ihn machen, seine Holzhütte zerstören und sich an den Tauben vergehen, ändert Ghost Dog seine passive Strategie und startet, angetrieben durch den Kodex der Samurai einen kompromisslosen Rachefeldzug gegen Boss Vargo (Henry Silva) und dessen Familie.
„The Way of the Samurai is found in death.” (Ghost Dog)
Auch wenn der klassische Racheplot in seiner Grundstruktur an die Kung-Fu-Filme der 70er Jahre erinnert – der eigentliche Gravitationskern von „Ghost Dog“ ist die spirituelle Reise des afroamerikanischen Killers gegen die gewaltsame Unterdrückung kultureller Minderheiten. Von zentraler Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Lehren aus Yamamoto Tsunemotos „Hagakure“, nach dem sich das wahre Dasein eines jeden Samurai erst nach dessen Tod erfüllt. Für Ghost Dog nehmen diese Überzeugungen einen enormen Stellenwert ein, leitet sich doch aus ihnen die innere Logik seines weiteren Handelns ab. Die Adaption der Samurai-Identität aus dem feudalen Japan in das Amerika der Gegenwart ist hierbei nicht zuletzt Ausdruck des inneren wie äußeren Spannungsverhältnisses der Ghost-Dog-Figur: physische Stärke und der Beruf des Killers als Symbol des amerikanischen Gangstertums gegenüber der Kontemplation fernöstlicher Philosophie und dem Leben als Einsiedler fernab der Zivilisation. Anders etwa als bei William Blake in (Dead Man) unterliegt Ghost Dog jedoch keinem Wandlungsprozess, sondern ist in seinem Glauben an den Kodex der Samurai von Beginn an immun gegen Einflüsse seiner Umwelt.
Für den Zuschauer ergibt sich aus diesem Umstand ein zunehmend paradoxes Identifikationsdilemma: Auf der einen Seite verkörpert Ghost Dog als Protagonist eine Reihe an positiv besetzten Eigenschaften, wie Intelligenz, Respekt und Verständnis. Selbst die wenig ehrenwerte Karriere als Killer lässt sich noch ansatzweise durch seine schicksalhafte Jugend erklären, wenn sie diese auch nicht rechtfertigt. Deutlich schwieriger hingegen wird es bei der unmenschlichen Perfektion, mit der Ghost Dog die kaltblütige Gewalt der Mafia exekutiert, ohne dabei auch nur in Ansätzen Skrupel zu zeigen. Moralisch ebenfalls problematisch erscheint in diesem Zusammenhang die Ästhetik, mit der Jarmusch Ghost Dogs Morde als präzise ausgearbeitete Choreographie inszeniert. Mit diesem Kniff durchbricht Jarmusch nicht nur das lange Klischee beladene Bild des Schwarzen in Hollywood, sondern regt gleichermaßen dazu an, sich mit den Folgen absoluter Gefolgschaft und der, zumindest in großen Teilen Amerikas, weit verbreiteten Akzeptanz der Waffengewalt auseinanderzusetzen. Während Sub-Kulturen wie die italoamerikanische Mafia den Tod als angemessene Vergeltung betrachten, verwendet der Samurai den Zen-Buddhismus als persönliche Kriegslegitimation.
Eines der großen Jarmusch-Themen ist der allgegenwärtige Kontakt zwischen Menschen verschiedener Kulturen, durch den ständig Differenzen und Hindernisse in der Kommunikation sichtbar werden. Es sind alltägliche Situationen, wie etwa die Taxifahrten in (Night On Earth), oder das abweisende Verhalten gegenüber Fremden aus (Stranger Than Paradise), die sich wie ein roter Faden durch Jarmuschs Geschichten ziehen, dabei Einblicke in verschlossene Lebensbereiche eröffnen, um schließlich tradierte Verhaltensweise zu reflektieren und wiederholt in Frage zu stellen. Waren Jarmuschs Road Movies „Permanent Vacation“, „Stranger Than Paradise“ und Down By Law noch mit ironischen Untertönen über Missverständnisse in der interkulturellen Verständigung durchwirkt, so folgte Mitte der Neunziger ein deutlicher Bruch – aus der Ironie der anfangs subtilen Kritik wurde ein offener, mit Gewalt ausgetragener Kampf. Doch auch in Jarmuschs divided America finden sich Momente der Hoffnung, wie die Freundschaft zwischen dem skurrilen Haitianer Raymond und Ghost Dog: Trotz der verschiedenen Sprachen, die beide sprechen, ermöglicht der gegenseitige Ausdruck eine dauerhafte Verständigung.
Es ist bemerkenswert, mit welchem Geschick Jarmusch Versatzstücke aus verschiedenen Genres und Kulturtraditionen immer wieder aufs Neue miteinander verknüpft, gleichzeitig aber die Gesamtgestaltung zu keinem Moment aus den Augen verliert. Doch nicht nur inhaltlich – etwa durch Ghost Dogs Adaption der Samurai-Identität – sondern auch auf formaler Ebene stehen Thematik und Ästhetik in ständigem Austausch: Während die eindringlichen Beats des Rappers RZA (der auch am Soundtrack von „Kill Bill“ beteiligt war) Ghost Dogs Flow durch Jarmuschs düsteres und urbanes Amerika vertonen, überträgt Robby Müller in der Überblendung der Bilder den träumerischen Bewusstseinszustand. Ebenfalls eine wichtige Rolle erfüllen diverse Zitate und Referenzen, wie der Ausschnitt eines „Itchy & Scratchy“-Cartoons, in dem sich der lokale Streit über die Gewaltspirale in einen symbolischen Weltkrieg potenziert. Jarmusch unterbricht an diesen Stellen zum einen den Handlungsfluss, setzt reflexive Ruhepunkte, zum anderen überzeichnet er den inneren Konflikt bis ins Groteske und deutet zugleich den weiteren Verlauf des Geschehens voraus.
Am Ende ist es der bedingungslose Glaube an den Ehrenkodex, aus dem das Drama des Films entspringt. Denn wie seine Identität als Samurai, die Ghost Dog über den Wert des eigenen Lebens stellt, beruht auch der Racheplot gegen die Mafia auf dem fatalen Missverständnis, Louie hätte ihm damals aus Überzeugung und nicht aus reinem Selbstschutz das Leben gerettet. Die Wahrheit ist: Die Wirklichkeit ist immer nur ein Konstrukt, eine Fülle von Einzelheiten, die je nach Wertetradition und eigenem Interesse unterschiedlich gedeutet wird. In dieser Erkenntnis liegt Jarmuschs eigentliche Botschaft, sie bedingt den gegenseitigen Respekt im Pluralismus der Kulturen.