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    In den Schuhen meiner Schwester
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    In den Schuhen meiner Schwester
    Von Carsten Baumgardt

    Im Jahr 2002 eroberte die Journalistin und Schriftstellerin Jennifer Weiner mit ihrem zweiten Roman „In Her Shoes“ (dt.: „Zwei Schwestern und ein Hochzeitskleid“) in den USA die Bestsellerlisten. Die Geschichte der so ungleichen Schwestern faszinierte Meisterregisseur Curtis Hanson so sehr, dass er sich für eine Umsetzung des von Susannah Grant geschriebenen Drehbuchs in der Tragikomödie „In den Schuhen meiner Schwester“ begeistern konnte.

    Die beiden Schwestern Maggie (Cameron Diaz) und Rose (Toni Collette) haben nur eines gemeinsam: die Schuhgröße. Während das wilde, bildhübsche Girlie Maggie planlos in den Tag hineinlebt und sich das nimmt, was sie will, setzt die pragmatische Anwältin Rose auf die sicheren Sachen. Manchmal überkommt sie aber der Frust und sie kompensiert dies durch exzessives Shoppen und mit dem Frönen ihres Schuhticks. In ihrem Job ist sie perfekt und auch privat läuft es zunächst einmal besser, als sie mit ihrem Vorgesetzten Jim (Richard Burgi) ein Verhältnis beginnt. Doch das soll sich schnell als der Beginn allen Übels entpuppen. Nachdem Maggie ein Vorsprechen bei einem Musiksender gnadenlos verpatzt hat, ist sie frustriert und verführt Roses Freund Jim. Es kommt zum großen Krach. Rose schmeißt Maggie, die vorübergehend bei ihr eingezogen war, raus. Im Haus ihres Vaters Michael (Ken Howard) stößt Maggie auf Briefe ihrer verstorben geglaubten Großmutter Ella (Shirley MacLaine). Sie hat sich in einer Seniorenwohnanlage in Florida niedergelassen. Maggie macht sich auf den Weg in den Sunshine State, um eine Zuflucht zu finden und mehr über ihre Oma zu erfahren, während Rose ihren Job hinschmeißt und ihrem Ex-Arbeitskollegen Simon (Mark Feuerstein) näher kommt...

    Wer sich die Inhaltsangabe näher anschaut, wird eine gesunde Portion Skepsis walten lassen. Der Plot klingt nach einem großen kitschtriefenden Tränenzieher aller erster Kajüte. Doch Überraschung, Überraschung: Curtis Hanson (L.A. Confidential, 8 Mile, Wonder Boys) zaubert aus der Vorlage eine Perle des modernen Unterhaltungskinos. Der in Reno, Nevada, geborene Regie-Star umschifft (fast) alle Klippen des an allen Ecken und Enden lauernden Kitsches und präsentiert stattdessen großes, warmherziges, emotionales Schauspielerkino.

    Neben dem ausgezeichneten Drehbuch von Susannah Grant (Erin Brockovich, 28 Tage, „Auf immer und ewig“) glänzt „In den Schuhen meiner Schwester“ mit herausragenden Schauspielleistungen, die den Film zu einem aussichtsreichen Kandidaten für die Oscarsaison machen. An erster Stelle zu nennen ist Toni Collette (About A Boy, The Hours, The Sixth Sense, „Muriels Hochzeit). Alles andere als eine Nominierung für die Academy Awards wäre eine bodenlose Frechheit. Die Australiern ist eine schauspielerische Offenbarung als schwer konventionelle Rose, die erst langsam zu ihrem wahren Ich findet. Die komplizierten Beziehungen der Figuren zueinander machen den Reiz des Films aus. Obwohl es sich um Mainstream handelt, interessiert sich Regisseur Hanson tatsächlich ernsthaft für seine Geschichte und geht im Geflecht der Charaktere in die Tiefe anstatt das üblich Seichte zu bieten.

    Dass Toni Collette eine vorzügliche Schauspielerin ist, ist bekannt. Für Cameron Diaz gilt vieles, aber dieses Prädikat kommt einem nicht in den Sinn. In Martin Scorseses Schwergewicht Gangs Of New York ging sie neben einem grandiosen Daniel Day-Lewis unter und schaffte es nicht einmal, Leonardo DiCaprio, der gewiss nicht seine beste Rolle spielte, Paroli zu bieten. In Oliver Stones An jedem verdammten Sonntag konnte sie die vielversprechendsten Ansätze zeigen. „In den Schuhen meiner Schwester“ fördert aber Diaz’ mit Abstand beste Leistung zutage. Die Rolle ist absolut perfekt auf die Möglichkeiten und Vorzüge der Kalifornierin zugeschnitten. Zu Anfang wirkt sie gar als ewiges Girlie fehlbesetzt, weil sie viel zu alt scheint - bis der Betrachter erkennt, dass genau hier eine Tragik ihrer Figur liegt. Sie ist bisher stets gescheitert, bei dem Versuch erwachsen zu werden. Erst durch die sanfte Hilfe ihrer Großmutter Ella besteht Hoffnung auf Besserung. Während Shirley MacLaine (Carolina, „Grüße aus Hollywood“, „Das Appartement“) in Verliebt in eine Hexe noch chronisch unterbeschäftigt und verschenkt war, darf die Grand Dame Jahrgang 1934 unter Hansons Regie eine fabelhafte, reife Altersleistung abliefern. Ella will die Fehler ihrer Vergangenheit bei ihrer unverhofften zweiten Chance wieder gut machen – allerdings nicht um jeden Preis und mit der Brechstange. MacLaine versprüht dabei sensiblen Charme fernab von altersbedingter Knorrigkeit und zeigt, dass sie eine große Schauspielerin ist. Eine Oscarnominierung käme nicht überraschend.

    Auch die Nebenfiguren sind gut besetzt. Mark Feuerstein (Ein Chef zum Verlieben, Was Frauen wollen) spielt mit rührender Ehrlichkeit. Sein Simon ist ein straighter Romantiker, die sich seiner Gefühle nicht schämt. Die Riege der Rentnerdarsteller ist ein weiterer Trumpf, der sticht. Diese Charaktere transportieren einen herzerfrischenden, natürlichen Witz, der die tragischen Elemente der Story immer wieder geschickt auffängt und dem Film eine gewisse Leichtigkeit verleiht und die rechte Balance zwischen heiteren und ernsten Tönen herstellt.

    Einen Wehrmutstropfen hat „In den Schuhen meiner Schwester“ aber noch zu bieten. Einige kleine Ausflüge über die Grenze hin zum hemmungslosen Kitsch unternimmt Hanson dann doch. Der Nebenplot um Maggies Leseschwäche, die sie bei der Altenbetreuung therapiert, ist eine Spur zu rührselig, um sich im ansonsten stimmigen Gesamtbild harmonisch einzufügen. Aber das ist nur ein kleiner Makel, der nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass Curtis Hanson mit „In den Schuhen meiner Schwester“ das Kunststück schafft, großartiges, tragisch-komisches Hollywoodkino mit einer entwaffnenden Warmherzigkeit und Ehrlichkeit zu zelebrieren. Weniger versierten Filmemachern wäre der Film wahrscheinlich zu einem kitschbeladenen Rührstück verkommen...

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