David O. Russells Boxer-Drama „The Fighter" trägt den mittlerweile gesellschaftlich legitimierten Prügelsport in die Arbeiterklasse zurück und schließt so an Genre-Klassiker wie John G. Avildsens „Rocky" oder Martin Scorseses „Wie ein wilder Stier" an. Auf der einen Seite ist Russells phantastisch gespielter Film das zeitgemäße Pendant zu Sylvester Stallones Hollywood-Durchbruch, trotzdem könnten die Voraussetzungen unterschiedlicher nicht sein. Autodidakt Stallone, Hauptdarsteller und Drehbuchautor von „Rocky", versuchte seinerzeit verzweifelt, einen Fuß in die Tür der Traumfabrik zu bekommen. Bei „The Fighter" haben sich hingegen längst etablierte Größen wie Regisseur Russell („I Heart Huckabees", „Three Kings") und die Hauptdarsteller Mark Wahlberg, Christian Bale und Amy Adams zusammengetan. Das offensichtliche Ziel von „The Fighter" ist es, in der Award-Season ordentlich abzuräumen. Wer sich über diese kühle Berechnung mokieren möchte, soll das tun, aber das ändert nichts daran, dass die herausragenden Leistungen der Schauspielerriege jede Form der Prämierung verdienen.
Dicky Eklund (Christian Bale) ist eine lokale Berühmtheit, der „Stolz von Lowell, Massachusetts". Der ehemalige Profiboxer hatte 1978 seinen großen Auftritt, als er in einem Kampf selbst Weltmeister Sugar Ray Leonard (der auch einen Cameo-Auftritt absolviert) kurz auf die Bretter schickte. Der Champ sei lediglich ausgerutscht, behaupten Spötter – und von denen gibt es viele. Inzwischen ist es Anfang der Neunzigerjahre, Dicky ist cracksüchtig und versucht, seinen jüngeren Halbbruder Mickey Ward (Mark Wahlberg) als Boxer aufzubauen, ist dabei aber nicht diszipliniert genug, um Erfolg zu haben. Ähnlich desaströs wie Dickys konfuses Wirken ist trotz großen Engagements das Management durch Mickeys Mutter Alice (Melissa Leo). Als der US-Bezahlsender HBO eine Dokumentation über Dicky dreht (die 1995 tatsächlich unter dem Titel „High On Crack Street: Lost Lives in Lowell" lief), geht es darin nicht, wie dieser denkt, um sein Comeback, sondern um ein Porträt von Cracksüchtigen in Amerika. Als Dicky und Alice Mickey erneut einen miesen Kampf verschaffen, bei dem er von einem als Ersatz eingesprungenen Boxer aus einer höheren Gewichtsklasse böse verdroschen wird, ist der familiäre Bogen endgültig überspannt. Mickey wechselt Trainer und Manager. Der neue Coach (Mickey O'Keefe spielt sich selbst) stellt eine einzige Bedingung: Mickey muss sich im sportlichen Bereich von seiner Mutter und seinem Halbbruder lossagen. Seine neue Freundin Charlene (Amy Adams) unterstützt Mickey bei dem Schritt – sehr zum Ärger von Alice und ihren sechs keifenden Töchtern, die auf die Kellnerin losgehen...
Das Leben schreibt die besten Geschichten – und für den Sport trifft diese wenig originelle Weisheit sogar noch öfter zu. Anders als im alltäglichen Leben lassen sich im Sport Erfolg und Misserfolg konkret messen, was umso mehr Raum für Legendenbildung schafft. Aber große Filme müssen nicht zwangsläufig auf großen sportlichen Triumphen basieren. Die Lebensgeschichte des amerikanisch-irischen Boxers Micky „Irish" Ward (im Film „Mickey" geschrieben) ist keine, die sich mit der eines Muhammad Ali („Ich bin der Größte") vergleichen lässt. Und trotzdem ist „The Fighter" der bessere Film im Vergleich zu Michael Manns „Ali". Während Mann versuchte, Biographie und politisches Statement unter einen Hut zu bringen, konzentriert sich Regisseur Russell voll und ganz auf seine kleine große Geschichte. Der WBU-Weltmeistertitel ist so ziemlich der unbedeutendste, den es in der Boxwelt zu vergeben gibt, aber weil Weltergewichtler Micky Ward nun mal ein riesiges Kämpferherz besaß, wählten die Leser des Ring Magazines von 2001 bis 2003 gleich drei Mal hintereinander jeweils eine seine Boxschlachten zum Kampf des Jahres.
Obwohl es also nicht um die übermenschlich Großen des Boxsports geht, hat „The Fighter" einen hervorragend geeigneten Protagonisten zu bieten. Mickey Ward ist der Anker des Films. Durch Mark Wahlbergs im besten Sinne stoisches Spiel erhält das Drama seine Erdung und es ergibt sich ein perfektes Gleichgewicht im Zusammenspiel mit den anderen Darstellern, die aufgedreht, extrovertiert und (über-)emotional agieren. Die Rolle des cracksüchtigen Ex-Boxers ist dabei wie gemalt für Schauspielextremist Christian Bale („The Dark Knight", „The Prestige"). Wie schon in „The Machinist" nahm der Star für seine Rolle in beunruhigendem Maße ab und ließ sich für „The Fighter" zudem die Haare ausdünnen, um dem echten Dicky Eklund noch ähnlicher zu sehen. Das metamorphosische Schauspiel Bales besitzt Ereignischarakter. Er spielt dieses hypernervöse Wrack mit unbändiger Energie – mit ausgemergeltem Körper, rauem Slang, ein Ritter in trauriger Gestalt. Diese wohlkalkulierte Freakshow ist so überragend, dass er normalerweise seine Kollegen in Grund und Boden spielen würde. Doch das ist in „The Fighter" nicht der Fall, weil Bales außergewöhnliche Tour de Force nie die Handlung überlagert.
Ähnlich wie Christian Bale bewegen sich auch Melissa Leo („Frozen River", „Betty Anne Waters"), Amy Adams („Junebug", „Sunshine Cleaning") und Mark Wahlberg („Die etwas anderen Cops", „Departed: Unter Feinden") auf Oscar-Niveau. Leos Auftritt strotzt nur so von Energie und Verve. Ihre Alice ist eigentlich eine Landplage, die es aber im Grunde nur gut meint mit ihrem Sohn. Leo spielt diese Figur aus dem einfachen Malochermilieu so präzise, dass nie auch nur ein Hauch von sozialer Folklore aufkommt. Amy Adams ist bereits als eine der besten Schauspielerinnen ihrer Generation etabliert – mit „The Fighter" baut sie diesen Status weiter aus. Ihre Klasse lässt sich auch an Kleinigkeiten ausmachen. Zu Beginn hat sie etwa eine kurze Szene mit Wahlberg in einer Bar, in der sie arbeitet. Ein knapper Dialog, ein paar zaghafte Gesten und danach ist völlig klar und überzeugend für das Publikum zementiert, dass die beiden ein Paar werden. Darüber hinaus glänzt auch Jack McGee („The International", „21") als Mickeys Vater George, der sich zunehmend gegen seine herrische Gemahlin auflehnt.
Der athletische Wahlberg ist für Sportfilme wie gemacht. Deshalb produzierte er „The Fighter" auch mit und erfüllte sich so selbst seinen Wunsch, die Geschichte auf die Leinwand zu bringen. Bereits in „Unbesiegbar" spielte er ein reales Vorbild, den Footballer Vince Papale, der in Philadelphia aus der Arbeiterklasse zu einem lokalen Helden aufstieg. Die Ringszenen, die erst nach einer Stunde einen größeren Raum in der Dramaturgie des Films einnehmen, sind von David O. Russell packend inszeniert. Wahlberg ist körperlich in Topform und bringt realistisch einen Boxer auf die Leinwand. Wards Kampf (auf Youtube anschauen) in London gegen Shea Neary (Anthony Molinari) um den WBU-Weltmeistertitel im Light Welterweight generiert Gänsehautmomente – ebenso wie zuvor sein spektakulärer Durchbruchskampf gegen Alfonso Sanchez (auf Youtube anschauen). Allerdings schleichen sich im letzten Drittel dann doch noch einige Konventionen des klassischen Sportfilms ein, die „The Fighter" zuvor noch erfolgreich umschifft hatte.
David O. Russell ist im Arbeitermilieu trittsicher und authentisch. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Kameraarbeit von Hoyte Van Hoytema („So finster die Nacht") stimmig ist und der Regisseur größtenteils an Originalschauplätzen in Lowell drehte. In einer Welt, in der eine Kellnerin mit abgebrochenem Collegestudium der White-Trash-Familie der Wards so suspekt ist, dass sie sie nicht nur als „MTV-Girl" verspotten, sondern aus ihrer Verunsicherung heraus offen anfeinden, findet der Regisseur immer den passenden Ton, was auch für den stimmungsvollen Soundtrack (Whitesnakes „Here I go again" wird später zu Wards Einlaufmusik) gilt. Ursprünglich sollte Darren Aronofsky „The Fighter" inszenieren – bevor er mit „The Wrestler" einen artverwandten und ähnlich überragenden Film ablieferte. So hatte Aronofsky den Kopf frei für „Black Swan", einer der Hauptkonkurrenten von „The Fighter" in der aktuellen Award-Saison.
Fazit: „The Fighter" ist großes Schauspielerkino, das zwar zweifellos auf die Oscar-Saison ausgelegt ist, dem dieses Schielen auf das Hollywood-Gold aber nie schadet. Regisseur David O. Russell bereichert das furiose Charakterdrama zudem mit pointierten Kampfszenen, die für stete Adrenalinschübe beim Betrachter sorgen.