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    Die rote Flut
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,0
    schlecht
    Die rote Flut
    Von Johannes Pietsch

    Es gibt Jugendsünden, die so mancher liebend gerne ungeschehen machen würde und sich doch kaum aus seiner Biographie ausradieren lassen. Ein Augustus wurde erst zum Friedenskaiser des goldenen römischen Zeitalters, nachdem er jahrelang einen blutigen Bürgerkrieg zunächst gegen die Cäsar-Mörder Cassius und Brutus und dann gegen Marcus Antonius geführt hatte, während dessen sogar der große Staatsmann und Redner Cicero sein Leben lassen musste. Der Franke Chlodwig brachte zunächst sämtliche Konkurrenten um die Ecke, um anschließend die Herrschaft der Merowinger über halb Europa zu begründen und zum Christentum überzutreten. Und als der heilige Augustinus noch nicht als Bischof von Hippo am „De civitate die“ schrieb, führte er in Thagaste ein ausschweifendes Leben und zeugte einen unehelichen Sohn. Was sich jedoch eine ganze Riege später sehr erfolgreicher Hollywooddarsteller nebst einigen ebenfalls recht namhaften Charaktermimen in diversen Nebenrollen im Jahr 1984 leistete, ist durch keine jugendliche Verblendung zu erklären. John Milius’ „Die rote Flut“ gehört mit Abstand zum untersten Schubladeninventar, welches der zu Beginn der 80er Jahre tobende Kalte Krieg der Reagan-Ära hervorgebracht hat. Aufgemacht als aprilfrisch-adrettes Teenie-Pfadfinder-Abenteuer mit Weltkriegskulisse predigt das Machwerk antikommunistische Propaganda, wie sie hohlköpfiger kaum daherkommen könnte.

    In den frühen 80er Jahren strotzte das Action-Kino nur so vor nationalpatriotischen Gewaltphantasien unter Sternenbanner-Flagge. George Pan Cosmatos Rambo II hielt ebenso wenig mit seinem bluttriefenden Vietnam-Revanchismus hinter dem Berg wie Chuck Norris mit seinen drei „Missing In Action“-Machwerken. John Milius, Brutalo-Revanchist von Gottes oder besser Reagans Gnaden und Nazi-Devotionalien-Sammler, setzte dem filmischen Hurra-Patriotismus dieser Ära dann allerdings eindeutig die olivgrün karierte Seppelmütze auf: In „Die rote Flut“ entwirft er tatsächlich eine Kitsch-Vision vom Dritten Weltkrieg als romantisch-verklärtes Western-Abenteuer vor malerischer Bergkulisse, faschistoide Schlagseite inbegriffen.

    Schaut man sich den Film mit den Augen des Betrachters im 21. Jahrhundert an, so wirkt er von der ersten Minute an wie ein seltsam verklärter Blick durch einen Zeittunnel zurück in die Ära der frühen 80er, in die Zeit des NATO-Doppelbeschlusses und Raketenstationierungen in der Bundesrepublik, an Cruise Missile und Pershing zwo, an NATO und Warschauer Pakt, an ein geteiltes Deutschland und den Krefelder Appell, an die großen Herbstmanöver und die Friedensmärsche.

    Schon der Beginn macht auf geradezu schreiend komische Weise deutlich, wie Deutschland von besonders reaktionären Kreisen der USA in der damaligen Zeit gesehen wurde. In ein paar Schlagzeilen skizziert der Film dem Zuschauer die politische Großwetterlage zu Beginn der Handlung: In Deutschland (West!) haben die Grünen die Wahl gewonnen, darauf sofort alle amerikanischen Nuklearwaffen abgebaut und sind mit Mann und Maus und Sack und Pack aus der NATO ausgetreten. Man erinnere sich: Zum damaligen Zeitpunkt regierte in Wirklichkeit der geradezu devote USA-hörige Bundeskanzler Kohl („Wir wollen den Sozialismus bekämpfen zu Lande, zu Wasser und in der Luft.“), und die tatsächliche grüne Partei war gerade einmal vier Jahre alt! Zugleich – so weiter im Film - kippen zahlreiche Nachbarstaaten der USA durch Revolution in den Kommunismus, in der Sowjetunion herrscht Hunger, und Kuba rüstet massiv gegen den bösen kapitalistischen Erzfeind im Norden: beste Voraussetzungen also für den Dritten Weltkrieg.

    Und der passiert auf ganz beschauliche Weise in einer typischen amerikanischen Kleinstadt, als eines schönen Tages ein Haufen sowjetisch-kubanischer Fallschirmjäger vom blauen Himmel schwebt, ein paar Zivilisten über den Haufen schießt und das Städtchen en passant in Beschlag nimmt. Widerstand wird im Keim erstickt, auch vom amerikanischen Militär ist nichts Nennenswertes zu sehen. Ein paar Wochen später ist der Dritte Weltkrieg so gut wie gelaufen, der Großteil der USA besetzt und die inneramerikanische Front im Stellungskrieg erstarrt. Im Rest der Welt sieht’s noch heimeliger aus: In Europa hat man sich mit den Russen arrangiert, und die Chinesen haben dank massierten Wasserstoffbombeneinsatzes nicht mehr allzu viel zu melden. Ach ja, so schön kann Weltkrieg sein.

    Tja, wären da nicht so ein paar aufsässige Radau-Kids, natürlich Mitglieder des örtlichen Football-Teams aus besagter amerikanischer Kleinstadt, die sich vor den Invasoren in die Berge geflüchtet haben und nun nichts Besseres im Sinn haben, als Russen und Kubanern mal so richtig auf die Nerven zu gehen. Alles natürlich im Namen amerikanischster Ideale wie Freiheit, Ehre, Demokratie und Menschenrechte, zu deren Verteidigung sich Ober-Footballer Jed (Patrick Swayze) zunächst mal zum Mini-Gröfaz der Gruppe aufschwingt und allen ihm zuwider laufenden Meinungen selbige ordentlich geigt. Wie schön, dass ihm die schnuckelige Toni (Jennifer Grey) nicht ins Wort fällt, sondern nur mit schmachtenden Augenaufschlägen bedenkt – Dirty Dancing meets World War II. Tatsächlich dürfen die Kiddies anschließend unter dem martialischen Namen „Wolverines“ massenhaft sowjetische Elitesoldaten abschlachten, Konvois überfallen und gegnerische Waffenlager plündern.

    Die schwer bewaffneten und mit allem erdenklichen Kriegsmaterial ausgerüsteten Besatzungstruppen sind selbstverständlich völlig machtlos, wenn ihnen der pubertierende Partisan aus dem Dickicht des Waldesgrüns heimleuchtet. Zwischendurch gibt’s ein bißchen uramerikanischen Einwanderer- und Indianer-Mystik-Nonsens, wenn beispielsweise der Jungspund der Gruppe auf der Jagd sein erstes Wild erlegt und nun dessen Blut zu trinken hat („Du musst das tun, damit seine Kraft in Dich übergeht!") Herrlich, so schön und romantisch hatten es unsere Großväter auf dem Russlandfeldzug bestimmt auch. Da kommen Jugenderinnerungen und die letzten Mahlzeiten gleichzeitig wieder hoch.

    Die Schurken, die es im Dutzend billiger niederzumachen gilt, dürfen im Gegenzug so richtig deftig böse sein. Wer in der Besatzungszone nicht pariert, wird ins Umerziehungslager gesteckt, zu welchem passenderweise das uramerikanischste Etablissement umfunktioniert wurde, das sich denken lässt: ein Autokino. Auf der Leinwand läuft sowjetische Propaganda, und von sämtlichen Wänden grinst Lenin auf den unterjochten Mr. Babbitt herab.

    Würden die Bösewichter nun zu austauschbaren, gesichtslosen Gegenspielern wie die Indianer im Western oder die imperialen Sturmtruppen in „Star Wars“ degradiert, so würde das Ganze den Gesetzmäßigkeiten des klassischen Western, Kriegs- oder Abenteuerfilms gehorchen. Doch dummerweise gewährt uns der Kommunistenhasser John Milius diese Gnade nicht: Vereinzelt zeigen nämlich die ostzonalen Frontschweine ein sehr menschliches, geradezu mitleiderregend junges und hilfloses Antlitz.

    Und in diesen Momenten gerät „Die rote Flut“ zur wirklich widerwärtigen Farce, wenn der hasserfüllte Milius seine clerasilfrischen Partisanenkämpfer diese Gegner, gerade dann, wenn sie wehrlos sind, auch und erst recht abschlachten lässt. Ein gefangener Sowjetsoldat, der vergeblich an die Genfer Konvention erinnert, wird ebenso erbarmungslos dahingemeuchelt wie ein Verräter in den eigenen Reihen. Logisch, etwas anderes haben der Iwan und seine Sympathisanten auch nicht verdient. Und so richtig triefen darf das sternenbannerumflorte Pathos dann, wenn Partisan Jed und Bruder Matt ihren aufrechten Vater im Internierungslager besuchen. „Ihr dürft nie wieder weinen!“, herrscht der Patriarch, gespielt von Harry Dean Stanton, seine schniefenden Sohnemänner an. Natürlich nicht, nach einer solchen Gardinenpredigt setzt es erst recht Saures für die Russen.

    Eine ganze Riege späterer Top-Darsteller, die vor allem in den späten 80er und frühen 90er Jahren zu großer Bekanntheit gelangten, darf in „Die rote Flut“ als jugendliche Freiheitskämpfer die Kalashnikov und den Raketenwerfer schwingen, angeführt vom späteren Teenieschwarm-Dreigestirn Patrick Swayze, Charlie Sheen und C. Thomas Howell, dazu Swayzes „Dirty Dancing“-Partnerin Jennifer Grey und Lea Thompson, bestens bekannt als Michael J. Fox’ Mutter aus Zurück in die Zukunft. Weitere vertraute Gesichter im unrühmlichen Geschehen sind Charaktermime Harry Dean Stanton (Paris, Texas) und Powers Poothe (Dämonisch, Nixon).

    So verheerend das moralische Urteil über „Die rote Flut“ auch ausfallen mag, es war ein Film seiner Zeit, der exakt dem blühenden Nationalismus und Revisionismus der frühen 80er Jahre entsprach. Von Ronald Reagan wird kolportiert, er habe, nachdem er John Pan Cosmatos’ „Rambo II“ im Kino sah, den Journalisten diktiert: „Boy, I saw Rambo last night. Now I know what to do next time.“ Seien wir froh, dass er nur Rambo und nicht auch Milius’ „Die rote Flut“ gesehen hat.

    Nun könnte man über all diesen Unfug, den John Milius da vor über zwei Jahrzehnten mit seinem martialischen Pfadfinder-Weltkrieg aufgefahren hat, herzlich lachen, könnte sich kugeln über ein paar Football-Kids, die es mit Pfeil und Bogen mit Hunderten sowjetischer Elitesoldaten aufnehmen und dazwischen noch dämlich-martialische Sprüche aufsagen. Doch das Lachen bleibt einem mehr als einmal im Halse stecken, entdeckt man die unübersehbaren Parallelen von „Die rote Flut“ zur Gegenwart: Genau die Situation einer bis an die Zähne bewaffneten, quantitativ ebenso wie technisch haushoch überlegenen Invasionsarmee, die von ein paar unausgebildeten, aber zu allem entschlossenen Partisanen in die Knie gezwungen wird, ist es nämlich, in die sich ausgerechnet die Vereinigten Staaten mit ihrem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Irak gebracht hat.

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