Der Franzose Eric-Emmanuel Schmitt steht mit seinen Büchern seit Jahren in den internationalen Bestsellerlisten weit oben. Auch sein Werk „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ war ein großer Erfolg und wurde überdies von den Kritikern mit Lob überschüttet. Francois Dupeyron, der sich für Regie und Drehbuch der Romanverfilmung verantwortlich zeigt, schaffte es, aus der Vorlange einen zumindest ebenso guten Film zu machen. Die FAZ schrieb sogar, nachdem Omar Sharif für seine Rolle als Lebensmittelverkäufer Monsieur Ibrahim in Venedig mit dem Publikumspreis für den besten Hauptdarsteller ausgezeichnet worden war, dass der Film „besser geworden [sei] als das Buch“.
Moses (Pierre Boulanger) lebt mit seinem verbitterten, depressiven Vater (Gilbert Melki) zusammen und führt ein ziemlich freudloses Leben. Der hormongeplagte Teenager plündert zunächst sein Sparschwein und erkauft sich die Liebesdienste der Bordsteinschwalben des Stadtteils. Als seine Ersparnisse aufgebraucht sind, zwackt er das Geld auch vom Haushaltsgeld des Vaters ab, indem er die nötigen Einkäufe nicht bezahlt, sondern im Lebensmittelladen der Rue Bleue stiehlt. Monsieur Ibrahim (Omar Sharif), der Ladeninhaber, der überall nur „Der Araber“ - was soviel heißt, wie auch nachts und am Sonntag geöffnet - genannt wird, auch wenn er eigentlich türkischstämmig ist, bemerkt dieses, ist ihm deshalb aber nicht böse. Vielmehr nimmt er sich des jüdischen Jungen an und führt ihn nicht nur in die hohe Kunst des Sparens ein – „Katzenfutterpastete“ anstatt Paté, aufgebackenes anstatt frisches Baguette und mit Wasser gestreckter Bordeaux für den Vater - sondern lässt ihn außerdem an seiner umfassenden Lebensweisheiten teilhaben, die er als Sufi (Anhänger des islamischen Mystizismus) aus den Lehren des Koran zieht. Er kennt das Geheimnis des Glücks und eröffnet so nicht nur Momo - nach seiner Auffassung ist Moses ein viel zu tragender Name für einen 13-jährigen Jungen - die kleinen und großen Freuden des Alltags und zeigt ihm eine neue, fröhlichere Welt.
Die Geschichte des frühreifen Moses und des moslemischen Gemischtwarenladenbesitzers spielt in einer liebevoll gestalteten Retrokulisse des Pigalle-Quartiers im Paris der 60er Jahre. Momo, gut verkörpert von dem Jungschauspieler Pierre Boulanger, durchlebt Tag für Tag dieselbe Alltagstristesse und hat zudem keinen, dem er sich anvertrauen, mit dem er sprechen kann. Sein Vater treibt ihn nur zur Hausarbeit an, kritisiert ihn und vergleicht ihn immer wieder mit seinem älteren Bruder, der in den Augen des Vaters ein mustergültiger Sohn zu sein scheint. Verständlich, dass Momo, der seinen Bruder und seine Mutter noch nie zu Gesicht bekommen hat, auch in seinem Vater keine Vertrauensperson sehen kann.
Diese soll er jedoch in dem alten Monsieur Ibrahim finden, der stets ein offenes Ohr für die Probleme des Jungen hat und ihn beiläufig in philosophisch-religiöse Gespräche verwickelt. Omar Sharif, welcher durch seine Rollen in „Dr. Schiwago“ und „Lawrence von Arabien“ zu Weltruhm kam, feiert mit seiner Darstellung des Monsieur Ibrahim ein spätes aber furioses Comeback. Die Lebenserfahrung und Herzenswärme des türkischen Händlers scheinen ihm ins Gesicht geschrieben zu sein. In seinen Augen scheint der Zuschauer förmlich Güte, Vertrauen und Nächstenliebe ablesen zu können. Die detailverliebte, stilechte Kulisse wird immer wieder von zeitgenössischer Musik durchflutet, die Momo zur Aufmunterung hört. Hierbei handelt es sich um Schlager aus einer einstigen französischen Hit-Radiosendung, welche eine Mischung aus amerikanischen Rock ’ n Roll und der französischen Variante Yeye spielte. Die Songs passen hervorragend ins Bild und tragen zur fröhlichen Stimmung, die in dem Film vorherrscht, maßgeblich bei. Der Akzent des Films liegt trotz der beiden Religionen, die sich hier begegnen, nicht auf einer Versöhnung jüdisch-muslimischer Differenzen, sondern auf der Suche nach der Lebensfreude. Wahrscheinlich wären sowohl Buch als auch Film bei einer Fixierung auf den Religionskonflikt zu einer modernen Geschichte frei nach Lessing geworden. Trägt doch Monsieur Ibrahim trotz der Tatsache, dass er den Koran als Quelle seines Glaubens ansieht, klare Züge von Nathan dem Weisen. Ibrahim ist gläubiger Moslem, vertritt aber die Meinung, dass keine der drei großen Religionen einen Absolutheitsanspruch stellen sollte und dass gelebte Toleranz und Nächstenliebe wichtiger sind als der Legalismus der Strenggläubigen. Doch dem sich aufdringenden religiösen Konfliktpotenzial wird fast keine Beachtung geschenkt, es fällt einfacheren Problemen und dem Harmoniestreben des Films zum Opfer.
Nach Ibrahim ist jedes Leben - und sei es noch so trist - mit Freude zu füllen, der Schlüssel zum Glück geht über Selbstvertrauen und über das menschliche Lächeln. Mit einem Lächeln, dass erfährt Momo, ist alles im Leben etwas einfacher und sind auch schwere Zeiten besser zu meistern. Sicherlich kann man Ibrahims Lebensweisheiten nicht als falsch degradieren, man mag aber eine gewisse Beliebigkeit an ihnen kritisieren. „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ ist ein kleiner, amüsanter und zuweilen auch nachdenklicher Film, der zu Toleranz, Großzügigkeit und vor allem zu einer optimistischen Lebenseinstellung aufruft.