Als „weiblicher Brokeback Mountain“ wird der neue Film von Sijie Dai vom deutschen Verleih angekündigt und auch in ersten internationalen Kritiken liest sich diese Bezeichnung oft. Sie bietet sich natürlich an, denn ähnlich wie bei Ang Lees Film steht auch im Zentrum von „Die Töchter des chinesischen Gärtners“ eine homosexuelle Liebe, die aufgrund der Umgebung von Anfang an ohne reelle Chance ist. Doch ebenso wie Lee geht auch Sijie Dai darüber hinaus und präsentiert einen Film voll romantischer Kraft. Trotz der Ähnlichkeiten sollte man den Vergleich allerdings nicht zu oft bemühen, denn die berührende und dramatische Liebesgeschichte ist sicher kein nachgeschobener Versuch, vom Erfolg des populären, dreifachen Oscar-Gewinners zu profitieren.
Wegen eines sechswöchigen Praktikums beim berühmten Botanikprofessor Chen (Ling Dong Fu) verschlägt es die Waise Li (Mylène Jampanoï) in dessen unglaublich großen und schönen Garten auf einer Insel. Schnell merkt sie, dass es für sie kein leichtes Leben geben wird, denn Chen ist streng und bei den kleinsten Fehlern unerbittlich. Doch dessen Tochter An (Xiao Ran Li) erweist sich als Lichtblick. Die sonst nur Bezug zu ihrem Vater habende junge Frau freundet sich schnell mit Li an. Nach und nach wird die Beziehung immer zärtlicher und bald wissen beide, dass das Gefühl zwischen ihnen weiter als Freundschaft geht. Doch eine solche Beziehung muss im China des Jahres 1980 geheim bleiben. Als Gefahr und Chance gleichzeitig erweist sich plötzlich Ans tumber Bruder Dan (Wei-chang Wang), ein Soldat, der für einen mehrtägigen Fronturlaub aus Tibet nach Hause kehrt. Plötzlich zeigt Vater Chen Wohlwollen gegenüber seiner jungen Praktikantin, denn er glaubt, endlich eine Ehefrau für den Sohn gefunden zu haben. An ist über die Pläne des Vaters weniger begeistert und zeigt bei den – allerdings sehr plumpen – Flirtversuchen ihres Bruders Eifersucht. Doch dann glaubt sie genau dieses als Chance für die geheime Beziehung nutzen zu können. Wenn Li Dan heiraten würde, könnte sie für immer bei ihr im Garten bleiben, denn Dan darf als niederer Dienstgrad keine Familie mit nach Tibet nehmen. Li lässt sich überzeugen und trifft damit eine fatale Entscheidung.
Sijie Dai, dem mit der Verfilmung seines eigenen Romans „Balzac und die kleine chinesische Schneiderin“ in Deutschland einen großen Arthouseerfolg landete und für den Golden Globe nominiert war, packt für seinen neuesten Film ein heißes Eisen an. Die Idee für das Projekt kam ihm vor einigen Jahren, als er in der Zeitung von zwei Frauen las, die in China hingerichtet wurden, weil sie eine homosexuelle Beziehung hatten und dadurch den Vater der einen getötet hätten. Diesen Fall rekonstruiert er allerdings nicht, sondern nimmt nur den kleinen Zeitungsausschnitt als Aufhänger für eine eigene, fiktive Geschichte. Trotz des dramatischen Endes dessen Eintritt von Anfang an gewiss ist, setzt er dabei erst einmal auf Romantik und dreht einen der schönsten Liebesfilme der letzten Jahre. Mit gekonntem Blick zeigt er die langsame Annäherung der beiden Frauen, von der ersten Berührung, über den ersten Kuss, bis zur Vereinigung ihrer Liebe. Dabei gelingt es ihm, sowohl romantische als auch mal erotische Bilder auf die Leinwand zu bannen, sich dabei aber nie der Gefahr auszusetzen, voyeuristisch zu sein. Ähnlich wie in Brokeback Mountain spielt es kaum eine Rolle, dass die Liebenden das gleiche Geschlecht haben. Das wundervolle Setting inmitten des riesigen Gartens trägt ein übrigens dazu bei, dass „Die Töchter des chinesischen Gärtners“ schon zu diesem frühren Zeitpunkt ein hervorragender Film ist.
Durch den Auftritt von Dan bekommt der Film eine neue Richtung. Die bezaubernden Szenen zwischen Li und An gibt es nach wie vor, doch zwei weitere Elemente mischen sich hinein. Das heftige Werben von Dan verschärft die Dramatik, kommt die junge Liebe doch nun ernsthaft in Gefahr und muss gerade nach der Hochzeit einige Belastungsproben aushalten. Gleichzeitig wird dieser Dramatik aber durch das Einfügen von humorvollen Szenen noch etwas die Wirkung genommen. Die tollpatschigen Annäherungsversuche von Dan wirken hier als wunderbare Auflockerung und gipfeln schließlich in dem wohl unromantischsten Liebesbrief aller Zeiten. Durch das Entschärfen der Dramatik zu diesem Zeitpunkt kann Sijie Dai gegen Ende umso wirkungsvoller den Zuschauer mit auf den Leidensweg der beiden Protagonistinnen nehmen und schafft im Finale eine wahre Gänsehautatmosphäre, die sicher dem ein oder anderen auch eine Träne entlocken wird.
Neben der hinreißenden Geschichte und der prächtigen Bebilderung sind es vor allem die beiden Hauptdarstellerinnen, welche die Klasse des Films ausmachen. Dabei ist Mylène Jampanoï eher zufällig zum Projekt gekommen. Die Französin mit chinesischen Wurzeln überzeugte sowohl in Die purpurnen Flüsse 2 als auch in dem in Deutschland zu Unrecht nur auf DVD erschienenen Polizeidrama „36 tödliche Rivalen“ in kleinen Nebenrollen und katapultiert sich mit „Die Töchter des chinesischen Gärtners“ nun zumindest in Frankreich direkt ins Rampenlicht. Für sie hat Sijie Dai sogar extra das Drehbuch umgeschrieben und ihrem Charakter russische Wurzeln gegeben, so dass ihr Aussehen glaubhaft ist. Eigentlich war die schöne Xun Zhou, Hauptdarstellerin von Dais vorangegangenem Film „Balzac und die kleine chinesische Schneiderin“, für die Rolle vorgesehen, doch sie sagte kurzfristig ab. Man munkelt, dass die chinesische Regierung starken Druck auf die in ihrem Heimatland unglaublich populäre Actrice ausgeübt hat, um so dem Projekt zu schaden. Auch Sijie Dai bekam diesen Gegenwind zu spüren. Chinesische Produzenten wollten das Risiko etwaiger Strafen nicht eingehen und verweigerten die Zusammenarbeit. Eine Drehgenehmigung bekam der Regisseur auch nicht und musste daher nach Vietnam ausweichen. Umso bewundernswerter ist das Mitwirken von Xiao Ran Li. Diese ist in ihrer chinesischen Heimat ein großer TV-Star und ging daher mit der Auswahl ihrer ersten großen Kinorolle ein enormes Risiko ein.
Sijie Dai, der schon seine ganze Karriere mit Widerständen der Regierung kämpft und deswegen - obwohl er China nach eigener Aussage über alles liebt - in Frankreich leben und arbeiten muss, hat es trotz aller Steine, die ihm in den Weg gelegt wurden, geschafft, einen unglaublich romantischen, gefühlvollen, mit einer kleinen Prise Humor versehenen und gegen Ende dramatischen Film abzuliefern. Bleibt nur zu wünschen, dass dieses großartige Werk nicht nur international Erfolg erlangt, sondern auch den Weg vorbei an den chinesischen Zensoren findet, um die dortige Bevölkerung ähnlich zu berühren, wie er es sicher im Westen, vor allem in Frankreich und Deutschland, schaffen wird.