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    Indiana Jones und der Tempel des Todes
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Indiana Jones und der Tempel des Todes
    Von Christian Horn

    Eine Gretchenfrage unter Kinoliebhabern ist die Bestimmung des besten Teils der „Indiana Jones“– Trilogie. Dabei gibt es zwei konkurrierende Lager: die einen geben ihr Votum für Indiana Jones und der letzte Kreuzzug ab, die anderen bevorzugen den zweiten Teil „Indiana Jones und der Tempel des Todes“. Als Faustregel gilt dabei, dass die Anhänger des dritten Teils den Zweiten am schlechtesten finden, ihn manchmal sogar gar nicht mögen. Einigkeit hingegen herrscht darüber, dass die Abenteuerfilme um Indiana Jones zu den besten Unterhaltungsfilmen aller Zeiten gehören, denen der Alterungsprozess nicht schadet, sondern gut tut; denn die unzähligen Plagiate über „Quaterman“ und „Crocodile Dundee“ bis hin zu Lara Croft: Tomb Raider führen uns immer wieder vor Augen, mit wie viel Kinomagie Indiana Jones uns verwöhnte. Die beginnt bei der Besetzung von Harrison Ford und endet nicht bei John Williams’ mitreißendem Titelthema, bei dem man am liebsten aus dem Kinosessel direkt in die Leinwand springen möchte. Welcher Teil ist also der Beste? Ich plädiere für „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ und möchte auch erklären warum.

    Wo ist der Diamant? – Wo ist das Gegengift?

    Schon die Eröffnungssequenz könnte kaum spektakulärer sein; Spielberg wirft uns direkt in die Handlung und tritt von Anfang an das Gaspedal voll durch. Kaum ist die wilde Schlägerei mit Schusswechsel im Shanghaier Restaurant, bei der die Sängerin Willie (Kate Capshaw) kurz und knackig als Charakter eingeführt wird, beendet, schon stürzen beide zusammen mit Indys jugendlichem Begleiter Shorty in einem Flugzeug über Indien ab – und können sich durch einen Sprung mit einem Gummiboot in letzter Sekunde retten. Am schneebedeckten Boden aufgeschlagen beginnt eine rasante „Schlittenfahrt“ im gelben Gummiboot (im Hintergrund explodiert das Flugzeug), haarscharf an Nadelbäumen vorbei und direkt eine Klippe runter in einen wilden Fluss, der auch sogleich einen Wasserfall offenbart. Puh! Und jetzt trennen uns nur noch wenige Augenblicke von der Bekanntschaft eines alten Inders, der Indiana Jones davon unterrichtet, dass im Palast von Pankot böse Mächte ihr Unwesen treiben. Auf Elefanten wird die Reise angetreten, und vorbei an riesigen Vampirfledermäusen und der Begegnung mit einer Schlange führt der Weg direkt in den Palast. Beim Schmaus werden uns Speisen wie „Schlange a la Surprise“, eine Augensuppe und das legendäre „Affenhirn auf Eis“ serviert.

    Und im Palast nimmt der Film erst so richtig an Fahrt auf: ein dunkler Gang, in dem sich das Ungeziefer nur so tummelt, eine gruselige Messe mit Herz rausreißen und Feuergrube, der schwarze Schlaf des Kalima, versklavte Kinder, eine halsbrecherische Lorenfahrt durch die Katakomben des Tempels und der Showdown auf der Hängebrücke. Wenn Indy auf der Brücke mit seinem Schwert zum Zerschlagen der Seile ansetzt und Shorty noch kurz davon unterrichtet, dass es gleich abwärts geht, ist das ganz großes Kino; vergleichbar mit John McClanes Sprung vom Hochhaus in Stirb langsam. „Ein Teufelskerl!“ schießt es uns durch den Kopf und schon reißt die Brücke auseinander – das ist die pure Magie des Kinos.

    Bereits am Schauplatz wird deutlich, dass der zweite Indy der exotischste der Reihe ist. Während der Vorgänger und auch der Nachfolger überwiegend in Wüsten- und Stadtgebieten spielen, steht der Tempel des Todes mitten im indischen Busch. Und „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ ist klar der düsterste Teil der Reihe mit den meisten Horror- und Gruselelementen; der Priester des Tempels ist mit Sicherheit der diabolischste Gegenspieler Indiana Jones’ und sogar Indy selbst wird für kurze Zeit zu einem Fiesling. Spielberg selbst hält ihn für den schwächsten der Reihe, weil er ihm zu dunkel geworden ist, mit zu wenig Humor und auch ein bisschen zu schnell. Aber gerade deswegen bringt der mittlere Sprössling die kinematographische Wunderformel der Indiana Jones-Filme am prägnantesten auf den Punkt, es gibt alles was Indy ausmacht in atemloser Abfolge: Action & Abenteuer, Humor, Spiritualität, Ekeleffekte, (Selbst-)Ironie.

    Und trotz der raschen Abfolge verliert der Film nicht seinen Charme oder wird gar seelenlos, was in erster Linie an Harrison Fords (Firewall) Omnipräsenz in Verbindung mit Spielbergs (München, Krieg der Welten) geschickter Inszenierung liegt. Bei der Befreiung der versklavten Kinder genügt ein dezenter Zoom auf Indiana Jones im vernebelten Todestempel, um den Mythos des legendären Abenteurers ins Hirn der Zuschauer zu brennen. Und trotz der vielen Spezialeffekte wird der Film nicht oberflächlich, sondern in seinem Charme sogar verstärkt. Die Tricks sind nämlich noch handgemacht, die rasante Lorenfahrt etwa ist ein Zusammenschnitt aus Close Ups der Darsteller und Aufnahmen eines Miniaturtunnels, dessen Wände aus bemalter Alufolie modelliert worden sind – Hut ab! Und das Zerreißen der Brücke am Ende konnte nur einmal gefilmt werden; wäre die Aufnahme schief gegangen, hätte man das Ganze vergessen können. Das waren noch glorreiche Zeiten der Spezialeffekte, als diese in einem kreativen Prozess und nicht in Mikrochips entstanden sind!

    Vielfach kritisiert wird die Frau an Indys Seite, die Nachtclubsängerin Willie, gespielt von Kate Capshaw. Durch ihr Kreischen und Quengeln wird sie aber auch zu einem Spiegelbild des Zuschauers. Wer würde sich nicht vor einer Suppe aus Augen, einem Gewimmel aus ekelhaftem Ungeziefer und einem Typ, der anderen das Herz aus dem lebendigen Leib rausreißt, ekeln? Und die hyperaktive Art Willies passt sich in den auch sonst überdrehten Film durchaus ein. Als ihr Gegenpol kommt der junge Shorty Round, gespielt von Ke Huy Quan ins Spiel, den Indy als halb verhungertes Straßenkind aufgesammelt hat und der ihm seitdem treu zur Seite steht. Shorty stellt ein jugendliches Spiegelbild von Indiana Jones dar: in einer Szene macht er im Hintergrund Indys Haltung nach und bei seinem Ausbruch aus der Sklavenkolonne stellt er wahre Indy-Qualitäten unter Beweis. Zu guter letzt ist es ihm zu verdanken, dass Indy aus dem schwarzen Schlaf erwacht und wieder ein ganzer Held sein darf.

    Aufgrund seiner atmosphärischen und narrativen Dichte wird „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ zum wahnwitzigsten Abenteuer von Indiana Jones, wobei die Vorzüge der beiden anderen Teile nicht vergessen werden sollen. Jäger des verlorenen Schatzes hat die stimmigste Anfangsequenz und Indiana Jones und der letzte Kreuzzug erstens Sean Connery, zweitens den besten Humor und drittens den meisten Tiefgang. Da George Lucas den heutzutage angesagten, billig wirkenden Computer-Effekten scheinbar gänzlich verfallen ist, muss man sich richtige Sorgen um den für nächstes Jahr angesetzten vierten Indiana Jones machen. Die Magie der bisherigen Trilogie, die unbestritten die drei besten Abenteuerfilme der Filmgeschichte umfasst, wird er nur sehr schwer erreichen können.

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