Im Jahr 2001 sorgte der Director’s Cut von William Friedkins Horror-Klassiker „Der Exorzist“ für Aufsehen. Nicht etwa, dass die um elf Minuten verlängerte Version viel spektakulärer oder besser war als das Original, aber das Warner Studio freute sich über ein US-Einspiel von 40 Millionen Dollar. Der Clou dabei: Die Restaurierung des Urmaterials und der Neuschnitt kostete nur eine Million Dollar. Beschwingt durch diesen Riesenreibach liefen die Gehirne der professionellen Erbsenzähler auf Hochtouren und das weitere Unheil nahm seinen Lauf. Eine dritte Fortsetzung zu drehen, kam nicht in Frage, deswegen entschied das Studio, ein Prequel in Auftrag zu geben. Dabei ist die abenteuerliche Produktionsgeschichte von „Exorzist: Der Anfang“ wesentlich interessanter als der Film, der in den USA gnadenlos verrissen wurde. Obwohl die Vorgeschichte zum Hauptcharakter Pater Merrin viele Schwächen hat, ist es Regisseur Renny Harlin doch zumindest gelungen, eine stimmige Atmosphäre aufzubauen.
Der ehemalige Pater Lankester Merrin (Stellan Skarsgard) hat nach tragischen Ereignissen während des Zweiten Weltkriegs seinen Glauben verloren und arbeitet mittlerweile als Archäologe. Im Jahr 1949 lässt sich der desillusionierte Ex-Priester für eine mysteriöse Expedition in Kenia anheuern - er soll in einer im Wüstensand vergrabenen byzantinischen Kirche nach einer Reliquie suchen. An seine Seite bekommt er den jungen Theologen Pater Francis (James D’Arcy), der die Ausgrabungen beobachten soll. Die Eingeborenen in dem angrenzenden Dorf sind in heller Aufruhr. Keiner will in die teilweise freigelegte Kirche einsteigen. Sie haben Angst, weil sie glauben, der Ort sei vom Bösen besessen. Zahlreiche Menschen kamen schon auf geheimnisvolle Art und Weise ums Leben oder verfielen dem Wahnsinn. Merrin glaubt nicht an die Geschichten und sucht bei der Ärztin Dr. Sarah Novack (Izabella Scorupco) Unterstützung. Dazu fühlen sich beide zueinander hingezogen. Als der kleine Joseph (Remy Sweeney), ein Sohn eines einheimischen Übersetzers, Symptome von Besessenheit zeigt und sein Brüder von Hyänen zerfleischt wird, spitzt sich die Situation zu und Panik macht sich breit...
Eines vorweg: Die katastrophalen Ereignisse im Vorfeld der Produktion von „Exorzist: Der Anfang“ sind allemal kurzweiliger als der Film. Hier kommen Freunde leichter Unterhaltung auf ihre Kosten. Kurz vor dem Drehstart des Projekts schmiss der vorgesehene (und inzwischen verstorbene) Regisseur John Frankenheimer samt Hauptdarsteller Liam Neeson das Handtuch. „Taxi Driver“-Autor Paul Schrader („Auto Focus“) sprang in die Bresche, dazu wurde der Schwede Stellan Skarsgard als neuer Vater-Merrin-Darsteller verpflichtet. Für ein Budget von 30 Millionen Dollar drehte Schrader seine Version der Geschichte ab. Produzent James S. Robinson war nach Sichtung der Fassung entsetzt - zu wenig Action und Gewalt. Schrader wollte eher auf die psychologischen Aspekte der Geschichte eingehen - und wurde trotz fertigen Films gefeuert. Nun kam der Mann für’s Grobe ins Spiel. Dem Finnen Renny Harlin wurden noch einmal knapp 50 Millionen Dollar bereit gestellt, um eine komplette Neuversion zu filmen. Einige der Darsteller wie Stellan Skarsgard blieben gleich an Bord - andere, die keine Zeit mehr hatten, wurden ersetzt. Schrader, der stocksauer war, hat durchgesetzt, dass seine Version demnächst auf DVD erscheinen soll.
Die Regie an Grobschlächter Renny Harlin zu übertragen, kann als filmische Notbremse angesehen werden. Die besseren Tage („Stirb langsam 2“, „Cliffhanger“) des Actionspezialisten sind längst vorbei. Vielmehr steht sein Name für große Katastrophen. Mit dem sündhaft teuren Totalflopp „Die Piratenbraut“ trieb er die renommierte Produktionsfirma Carolco in den Bankrott. Dazu zählt sein PS-Monsterfilm „Driven“ zu den übelsten Werken, die je die Produktionshallen Hollywoods verlassen haben. Kurzum: Harlins Ruf ist mehr als ramponiert. Mit „Mindhunters“ schaffte er es immerhin wieder auf solides Terrain, was sich mit „Exorzist: Der Anfang“ nur ansatzweise fortsetzt.
Das Geschrei in den USA um den Film war groß, wenn auch übertrieben. Die Liste der Schwächen ist lang, aber es ist längst nicht alles so mies, wie es gemacht wurde. Das größte Plus von „Exorzist: Der Anfang“ ist die makellose, fiebrige Atmosphäre in der afrikanischen Gluthitze, die von Kameramann Vittorio Stararo mit düsterer Optik eingefangen wird. Die Hauptdarsteller Stellan Skarsgard („King Arthur“, „Dogville“, „Ronin“) und Izabella Scorupco („Die Herrschaft des Feuer“, „GoldenEye“, „Vertical Limit“) sind sehr bemüht, aus dem maximal mittelprächtigen Drehbuch von Alexi Hawley, Caleb Carr und William Wisher das beste herauszuholen. Immerhin bekommt Pater Merrin einen recht glaubwürdigen Hintergrund verpasst, warum er seinen Glauben verloren hat. Es lässt sich jedoch darüber streiten, ob es wieder einmal die Nazi-Schergen sein mussten, die für das Böse stehen. Das ist wenig originell, aber es funktioniert wenigstens, um seine Zweifel nachvollziehbar zu machen. Während sich Skarsgard wacker schlägt, fällt auch die Polin Izabella Scorupco nicht negativ auf und harmoniert ansprechend mit dem Schweden. Der Brite James D`Arcy (aus „Master And Commander“) komplettiert das gut besetzte Hauptdarsteller-Trio und wirkt als junger Kirchenvertreter glaubhaft.
Dem Wunsch des Produzenten nach mehr Horror- und Schockelementen kam Regisseur Harlin ohne zu zögern nach, übertreibt es damit aber, indem er seine Mittel zu oft wiederholt. Irgendwann nervt es einfach, wenn abermals Raben an zerfledderten Leichen herumknabbern. Die Inszenierung hat über weite Strecken Schwächen, Harlin gelingt es nicht, der Geschichte durchgehend Spannung zu entlocken und setzt lediglich auf seine Atmosphäre und den recht passablen Gore-Gehalt. Erst im Finale bekommt er wieder die Kurve und fährt alles auf, was zu einem standesgemäßen Exorzismus gehört – inklusive des Linda-Blair-Gedächtnis-Make-Ups der besessenen Person. Erst in dieser Phase schafft es der Film, für Gänsehaut zu sorgen. Zuvor wird diese mehr durch die grottenschlechten, peinlichen CGI-Effekte ausgelöst. Die Killerhyänen sind armselig animiert, selbst Fliegenschwärme, die digital mehr als dösig wirken, wurden nicht herkömmlich gefilmt, sondern per Animation erzeugt. Die digitalen Wüsten- und Todes-Panoramen zu Beginn sowie das computerisierte Kairo sind ebenfalls von lausiger Qualität und weisen mehr Videospielcharakter auf, anstatt an einen professionellen Kinofilm zu erinnern.
Im Jahr 1973 schockierte die vulgäre Sprache von „ficken“ und „vögeln“ die Betrachter. Da dies heutzutage keinen mehr hinter dem Ofen hervorlockt, haben die Drehbuchautoren im Finale noch einen drauf gepackt (Luzifer zu Merrin: „Du willst deinen Schwanz in ihren saftigen Arsch stecken“), was nicht nötig gewesen wäre und die beabsichtigte Wirkung zudem verfehlt. Mehr Schweinereinen bedeuten nicht gleich eine Steigerung des Effekts - mehr Subtilität (ein echtes Fremdwort für Renny Harlin) wäre hier angebracht gewesen.
An der Kinokasse kam Harlins Version übrigens besser weg als erwartet. Das befürchtete Totaldesaster blieb aus, „Exorzist: Der Anfang“ spielte in den USA immerhin mittelprächtige 42 Millionen Dollar ein, sodass nach der weltweiten Auswertung sowie den Einnahmen aus DVD und TV eine ausgeglichene Bilanz stehen dürfte. Das Prequel kann sich zwar mit William Friedkins Maßstäbe setzendem Original nicht ansatzweise messen, weist aber zumindest einen Hauch von krudem B-Movie-Charme auf, der über viele Schwächen hinwegsehen lässt.