Wer hätte 1966 schon gedacht, dass sich eine kleine, trashige Science-Fiction-Serie, in der seltsam gewandete No-Name-Schauspieler durch Pappkulissen stolpern, zu einem der langlebigsten Phänomene der Popkultur erheben wird? Wohl nicht einmal Begründer Gene Roddenberry selbst. Fünf weitere Fernsehserien und zehn Kinomissionen später steht nun nicht weniger als die Zukunft des gesamten „Star Trek“-Universums auf dem Spiel. Und wer sitzt beim heißerwarteten Reboot am Steuer? Ausgerechnet J.J. Abrams, der visionäre Co-Schöpfer der TV-Mystery-Serie „Lost“. Das Problem: Bis zum Projektstart war der Regisseur kein ausgemachter Trekker und hatte mit den kultigen Weltraum-Abenteuern nicht sonderlich viel am Hut. Doch die Bedenken der Fangemeinde sind unbegründet. Abrams‘ Version von „Star Trek“ ist modern und herrlich altmodisch zugleich. Sein „Die Zukunft hat begonnen“ ist ein spektakulärer, bombastischer Sci-Fi-Kracher, der den Geist einer Hommage atmet und den Eindruck erweckt, als hätte Abrams nie etwas anderes als „Star Trek“ gemacht.
In einer fernen Zukunft: Im ländlichen Iowa entwickelt sich der junge James Tiberius Kirk (Chris Pine) zu einem Draufgänger à la James Dean, der keiner Barschlägerei aus dem Wege geht und am liebsten mit dem Kopf durch die Wand marschiert. Captain Pike (Bruce Greenwood), ein alter Freund von Kirks Vater George (Chris Hemsworth), der vor 25 Jahren bei einem tödlichen Aufeinandertreffen mit einem romulanischen Weltraumkreuzer ums Leben kam, rät dem Heißsporn Kirk, sich der Akademie der Sternenflotte der Föderation anzuschließen. Und tatsächlich versucht der Frauenheld sein Glück. In dem kauzigen Arzt Dr. Leonard „Pille“ McCoy (Karl Urban) findet er sogar gleich einen neuen Kumpel. Auf der Akademie macht sich Kirk mit seiner direkten Art viele Feinde. Bei einer Übungsaufgabe, durch die er sich mogelt, gerät er mit dem Halb-Vulkanier Commander Spock (Zachary Quinto), aneinander. Die beiden entwickeln sich zu erbitterten Rivalen, müssen ihre Feindseligkeiten jedoch aufgeben, als die U.S.S. Enterprise vom Stapel läuft und Captain Pike bei einer Mission von dem romulanischen Outlaw Nero (Eric Bana) gefangen genommen wird…
Nach dem Auslaufen der Serie „Star Trek – Das nächste Jahrhundert“ ersetzte die „Next Generation“-Crew 1994 die Mannschaft um Kirk, Spock und „Pille“ (Star Trek – Der Film, Der Zorn des Khan, Auf der Suche nach Mr. Spock, Zurück in die Gegenwart, Am Rande des Universums, Das unentdeckte Land) beim Treffen der Generationen auch im Kino. Nach drei weiteren Filmen (Der erste Kontakt, Der Aufstand, Nemesis) musste auch Patrick Stewart alias Captain Jean-Luc Picard abdanken. „Star Trek – Die Zukunft hat begonnen“ wagt nun den Neuanfang und erzählt die Vorgeschichte zur Ur-Serie „Raumschiff Enterprise“, die in 79 Folgen über die Mattscheibe flimmerte.
Filmstarts-Bericht- und Bildergalerie zur Deutschland-Premiere
Warum Paramount gerade J.J. Abrams (Mission: Impossible 3, Alias) ausgesucht hat, um einem der größten Franchises der Kinogeschichte frisches Blut einzuflößen, leuchtet sofort ein. Der New Yorker ist unvorbelastet, hat aber bei „Lost“ schon eindrucksvoll aufgezeigt, dass er nicht nur neue Welten, sondern ganze Dimensionen erschaffen kann. Abrams bringt vor allem eine neue Sicht auf „Star Trek“ in das Projekt mit ein. Als eine seiner ersten Amtshandlungen listete der Regisseur mit seinem Autorenduo Roberto Orci und Alex Kurtzman (Mission: Impossible 3, Die Insel, Transformers) alle Attribute auf, die die Fans in einem „Star Trek“-Film sehen wollen… und vieles davon findet sich auch im Film wieder, so dass die neue Version zwar sehr wohl einen eigenständigen Blickwinkel verfolgt, aber auch die liebgewonnenen Elemente der Vergangenheit nicht unter den Tisch fallen lässt. Abrams und sein Team gehen sogar noch einen Schritt weiter: Sie besinnen sich weniger auf den philosophischen und politischen Unterbau (dafür bleibt in weiteren Abenteuern noch genügend Raum), den besonders „The Next Generation“ verfolgt hat, und gehen zurück zu den Ursprungsjahren, in denen „Star Trek“ noch richtig schön trashig war. Wenn die Beziehungen der altbekannten Charaktere untereinander ausgelotet werden, wirkt der neue Film mitunter gar wie eine Weltraum-Soap-Opera. Die Maxime von einer utopischen Zukunft, in der alle Menschen sozial gleichgestellt und Armut und Kriege abgeschafft sind, ist aber weiterhin präsent.
Einen echten Coup landete Abrams mit der Besetzung der neuen „Enterprise“-Crew: Ausnahmslos alle Schauspieler passen perfekt in ihre Rollen. Dass der charismatische Heroes-Bösewicht Zachary Quinto als Spock optimal besetzt ist, war schon vorher klar. Aber warum ausgerechnet Chris Pine, der bisher mit Ausnahme von Smokin‘ Aces lediglich durch schwache Teenie-Filmchen (Zum Glück geküsst, Plötzlich Prinzessin 2) auffiel, den Kirk spielen durfte, erschloss sich vielen nicht. Doch das Misstrauen ist nicht gerechtfertigt – im Gegenteil: Pine gibt wider Erwarten einen phantastischen Kirk, der sich als klares Zentrum von „Star Trek“ herauskristallisiert. Spock wird hingegen zunächst als Kirks Gegenspieler aufgebaut und nicht unbedingt mit den allergrößten Sympathiewerten ausgestattet. Dieser Konflikt, der aus dem Buddy-Genre übernommen ist, verschafft dem Film Reibungsfläche und Antrieb gleichermaßen.
Auch die weiteren „Star Trek“-Figuren sind exzellent gecastet. Karl Urban ( Herr der Ringe – Die zwei Türme) ist als „Pille“ McCoy unterhaltsam, Zoe Saldana (8 Blickwinkel, Fluch der Karibik) als Uhura unglaublich sexy, John Cho (Harold And Kumar, American Pie) als Sulu zurückhaltend-cool, Simon Pegg (Hot Fuzz, Shaun Of The Dead) als Scotty kauzig und Anton Yelchin (Alpha Dog, Charlie Bartlett) punktet als Chekov mit einem augenzwinkernden russischen Akzent. Schwachpunkt in der Besetzung ist überraschenderweise Eric Bana (München, Troja, Black Hawk Down), der als romulanischer Bösewicht Nero recht blass bleibt. Der formal größte Star des Films und seine Romulaner-Kumpanen wirken mit ihren fancy Körperbemalungen, als würden sie frisch aus einem zweitklassigen Tattoo-Studio in Los Angeles kommen. Bana verpasst dem Film keine eigene Note, bleibt daher austauschbar. Eine besondere Überraschung hält Abrams für „Star Trek“-Fans noch in Beziehungsangelegenheit bereit... Doch die größte Besetzungsüberraschung gelang Abrams mit „Star Trek“-Legende Leonard Nimoy (Die Körperfresser kommen), dessen Rolle weit über ein Cameo hinausgeht.
Filmstarts-Special: Das „Star Trek“-Lexikon
Die Handlung selbst ist schlicht und kommt ohne allzuviel Schnörkel aus. Abrams beschränkt sich bei seiner Hommage aber nicht nur auf „Star Trek“, er zitiert auch fröhlich-frech aus Konkurrenzproduktionen wie zum Beispiel Das Imperium schlägt zurück (Eiswüste, Aufbruch der Rekruten). Mitunter weht sogar ein Hauch von Verhoevens Starship Troopers herein. Dafür sind die Szenen in der Sternenflotten-Akademie in San Francisco eine wundervolle Reminiszenz an Star Trek - Zurück in die Gegenwart.
Ein Schwerpunkt der Inszenierung liegt auf den spektakulären Actionszenen, die Abrams extrem rasant umsetzt. Und nicht nur das: „Star Trek“ war nie physischer als in der Neustart-Version, die Arbeit der Ton-Ingenieure ist wirklich herausragend. Die Action fällt so pompös aus wie der aufbrausende Score und hält den Adrenalinpegel auf hohem Niveau. Logischerweise ist „Star Trek – Die Zukunft hat begonnen“ mit einem Budget von geschätzten 150 Millionen Dollar auch der technisch mit Abstand beste Film der Reihe. Die Spezialeffekte sind auf dem neuesten Stand und vermitteln perfekt die gigantischen Dimensionen der Weltraumschlachten. Dazu ist das Tempo durchgängig hoch. Bereits in der Eröffnungsszene, die direkt steil nach vorn geht, gibt Abrams die Schlagzahl vor. Zudem hat er die Gabe, mit einer kleinen Einstellung viel zu erklären. Wenn er den jungen Kirk (Jimmy Bennett) charakterisiert, lässt er ihn einfach in Iowa mit einem gestohlenen Auto zu Beastie Boys‘ „Sabotage“ über eine staubige Piste auf einen Abgrund zurasen. Das reicht, um die Figur greifbar zu machen.
Fazit: J.J. Abrams ist im Schnelldurchlauf vom „Star Trek“-Novizen zum Meister aufgestiegen. Sein „Die Zukunft hat begonnen“ ist gewiss nicht visionär, aber unglaublich gutes, sehr charmantes Entertainment, das extrem rockt. Abrams bewahrt klug den Trash-Appeal der Anfangsjahre, mischt ein bisschen Weltraum-Soap bei und klotzt ansonsten, bis die Phaser glühen. Der „Star Trek“-Neustart ist perfekt geglückt, Abrams‘ Film kann sich selbst mit den besten Werken der Reihe (Der Zorn des Khan, Zurück in die Gegenwart und Der erste Kontakt) spielend messen. Mission accomplished. Next one, please.