Der 2. November 1966. An diesem Tag brachte der junge Filmemacher Woody Allen seinen ersten Spielfilm „What’s Up, Tiger Lily“ in die US-Kinos. Nahezu exakt 40 Jahre später läuft mit der turbulenten Krimi-Komödie „Scoop“ der 37. Kinofilm des berühmtesten New Yorker Stadtneurotikers auf den deutschen Leinwänden an. Das Uhrwerk an Kontinuität des Jahrgangs 1935 hört immer noch nicht auf zu ticken. Obwohl seine zweite London-Arbeit weder in punkto Qualität noch Relevanz an sein Comeback-Wunderwerk Match Point heranreicht, taugt „Scoop“ als locker-leichte Unterhaltung für zwischendurch zweifelsohne.
Der erfolgreiche Londoner Journalist Joe Strombel (Ian McShane) kann es nicht fassen. Auf einem Schiff erfährt er von der Story seines Lebens. Doch die Sache hat einen Haken: Er ist tot und befindet sich auf der Überfahrt ins Jenseits - mit dem Sensemann am Ruder. Aber so schnell gibt ein Joe Strombel nicht auf. Er springt kurzerhand von dem Totenschiff und sein Geist schafft es so, mit der jungen Journalistik-Studentin Sondra Pransky (Scarlett Johansson), die gerade auf der Bühne des Magiers Sid Waterman (Woody Allen) in einem Zauberkasten eingesperrt ist, Kontakt aufzunehmen. Er trägt der Amerikanerin auf, den Fall des Tarotkarten-Mörders zu verfolgen. Unglaublich: Der steinreiche, attraktive britische Aristokrat Peter Lyman (Hugh Jackman) soll der Killer sein. Die überaus quirlige Sondra heftet sich mit widerwilliger Hilfe Watermans, der als ihr Vater auftritt, an die Fersen des Millionärs und verliebt sich zu allem Überfluss gleich in ihn - was gar auf Gegenliebe stößt, aber für ihre Ermittlungen nicht unbedingt förderlich ist...
In der Presse wird gern über die jeweilige Relevanz des aktuellen Woody-Allen-Werks debattiert. Mit Match Point zeigte er, wie überflüssig diese Diskussion ist, da der Meister schon noch kann, wenn er will. Und ansonsten dreht er halt jedes Jahr einen Film für sein spezielles Publikum, für das neues Material des New Yorkers generell relevant ist. Warum dieses Werk überhaupt entstand, daraus macht der Regisseur und Autor keinen Hehl. Allen: „Ich hatte Match Point’ mit Scarlett Johansson gedreht und wir hatten darüber gesprochen, einen weiteren Film zu machen. Scoop’ war eine Idee von mir, die uns beide Raum bot, also dachte ich, wir sollten das machen.“ Er sieht der junge Amerikanerin als seine neue Muse und legitime Nachfolgerin einer Mia Farrow oder Diane Keaton. Obwohl Johansson (Lost In Translation, Die Insel, The Black Dahlia, Prestige) als umtriebige, energiegeladene Nachwuchsjournalistin überzeugt, läuft ihr Allen in den gemeinsamen Szenen dennoch mit seinem unschlagbaren Wortwitz den Rang ab. Ob sie die großen Fußstapfen ihrer Vorgängerinnen wirklich ausfüllen kann, wird die Zukunft zeigen. Denn eines ist sicher: Es wird garantiert nicht die letzte Zusammenarbeit der beiden sein. Allen verehrt Johansson ebenso wie diese ihn schätzt.
Die Dialoge sind allgemein das größte Plus des Films – brillant wie eh und je, sprühen hier die Funken, dass es nur so eine Freude ist. Allen, der erstmals seit Anything Else, und zwei Filmen Pause (Melinda und Melinda, Match Point), wieder als Schauspieler dabei ist, überlässt den Jüngeren das große Feld. Johansson ist die bestimmende Figur, der gute Hugh Jackman (X-Men, Prestige) der Schlüssel der Handlung - Allen spielt nur die dritte Geige. Doch genau die bestimmt den Takt von „Scoop“. Die Schauspielleistungen, das gilt ebenso für den kantig-charmanten Ian McShane (Sexy Beast), sind durch die Bank überzeugend. Zwar macht sich Allen gar nicht die Mühe, eine halbwegs sinnvolle Erklärung für seine hanebüchene Geschichte zu geben, aber das spielt keine Rolle. Wer sich in der Welt des Woody Allen auskennt, wird dem Krimiplot jedoch schnell auf die Schliche kommen und wissen, wie die Dinge einzuordnen sind. Das geht zulasten der Spannung, wird aber vom furiosen Wortwitz wieder abgefedert.
Allens vorübergehender Wechsel von New York nach London, auch sein nächster Film Cassandras Traum (mit Ewan McGregor, Colin Farrell und Tom Wilkinson) wird hier spielen, hat sich erneut bezahlt gemacht. Kameramann Remi Adefarasin (Match Point, About A Boy, Reine Chefsache) leistet wieder tadellose Arbeit und zeigt ein romantisches, edles, pittoreskes London, das in seiner Weise als englisches Pendant zu New York gelten darf. Die musikalische Begleitung könnte traditioneller kaum sein, Tschaikowskys Nussknacker-Ballett und weitere klassische Stoffe unterstreichen den aristokratischen Ton, reflektieren aber dennoch das gepflegte Understatement der dargestellten Oberschicht.
Nach der brillanten, aber schweren Match Point-Hauptspeise serviert Woody Allen mit „Scoop“ leichte Hausmannkost - quasi das Dessert zu seinem Vorgängerfilm. Die britische Variation von „Manhattan Murder Mystery“ (1993) ist für Fans Pflicht, aber das gilt ohnehin für jeden seiner Filme. Wer mit dem Exzentriker bisher nichts anfangen könnte, wird seine Meinung auch nach „Scoop“ kaum ändern. Ein bisschen schade ist die Tatsache, dass Allen zur eigenen 40-Jahr-Feier nicht eine noch größere Nummer am Start hatte, aber die Spekulation darüber wird ihm genauso egal sein, wie das allgemeine Genöhle, ob er noch auf der Höhe der Zeit sei. Solange alle Werke mindestens so aussehen wie „Scoop“, ist alles in Ordnung...