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    Ein ungezähmtes Leben
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Ein ungezähmtes Leben
    Von Jürgen Armbruster

    Lasse Hallström gehört zu einer vom Aussterben bedrohten Spezies. Der gebürtige Schwede ist nicht nur ein überdurchschnittlich guter Regie-Handwerker, sondern vor allem eines: Idealist. Bei all seinen bisherigen Filmen steht die Geschichte in Vordergrund. Geschichten über Menschen, die vom Schicksal in ungewöhnliche (und doch alltägliche) Situationen gedrängt werden. Sein neuestes Drama „Ein ungezähmtes Leben“ führt diesen eingeschlagenen Weg konsequent fort.

    Seit dem Tod seines Sohnes lebt der in die Jahre gekommene Eigenbrötler Einar Gilkyson (Robert Redford) vollkommen zurückgezogen auf seiner Ranch irgendwo in den Bergen Wyomings. Seine Aufmerksamkeit gilt einzig der Pflege seines schwer verletzten Freundes Mitch (Morgan Freeman). Eines Tages sollte sich das Leben der beiden Männer grundlegend ändern. Wie aus dem Nichts steht Einars Schwiegertochter Jean (Jennifer Lopez) vor der Tür. Seit der Beerdigung seines Sohnes hatten sie einander nicht mehr gesehen. Sie ist auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Ex-Freund Gary (Damian Lewis) und wusste nicht, wo sie sonst hin sollte. Bei ihr ist ihre 11-jährige Tochter Griff (Becca Gardner), Einars Enkeltochter, von deren Existenz dieser bislang nicht einmal etwas wusste…

    Die Karriere von Lasse Hallström begann in den 70er Jahren als Regisseur diverser Musikvideos der schwedischen Erfolgsgruppe ABBA, der er 1977 mit „ABBA: Der Film“ auch ein filmisches Denkmal setzte. Damit prägte er maßgeblich den Stil einer ganzen Generation. In den vergangenen Jahren hat sich Hallström den Ruf eines exzellenten Regisseurs für einfühlsame Dramen erarbeitet. Filme wie „Gilbert Grape“, Gottes Werk und Teufels Beitrag, Chocolat (sein größter kommerzieller Erfolg – Einspiel weltweit: 152 Mio Dollar, 3 Mio Besucher in Deutschland) und Schiffmeldungen wurden von Kritikern gefeiert und fanden vor allem beim anspruchsvolleren Kinopublikum Anklang.

    „Ein ungezähmtes Leben“ setzt diese Tradition fort. Mit seiner für ihn typischen Behäbigkeit inszeniert Hallström mit viel Feingefühl die Geschichte einer Gruppe von Außenseitern. Dabei versteht er es geschickt, sein Publikum bei der Stange zu halten. Immer dann, wenn „Ein ungezähmtes Leben“ zu langatmig zu werden droht, streut er neue Details in die Handlung ein und gibt Erklärungen für jene Dinge, die zuvor nur angedeutet wurden. Wie es zum Tod von Einars Sohn kam, welche Rolle Jean dabei spielte oder wie genau sich Mitch so schwer verletzte. Auch wenn das Drehbuch von Mark Spragg und Virginia Korus Spragg im Großen und Ganzen in vorhersehbaren Bahnen verläuft, wird durch diesen simplen Trick für Spannung gesorgt.

    Dies ist auch ein Verdienst des glänzenden Ensembles. Robert Redford (Der Clou, Die Unbestechlichen, Spy Game, Anatomie einer Entführung) gibt in der Rolle des mürrischen alten Mannes, dem es nicht gelingt, den Tod seines einzigen Sohnes zu überwinden, eine der eindringlichsten Vorstellungen seit langem ab. Dass Schauspieltitan Morgen Freeman (Erbarmungslos, Die Verurteilten, Million Dollar Baby, Batman Begins, Sieben) wie eigentlich immer eine absolute Offenbarung ist, dürfte niemanden mehr wirklich verwundern. Dass (Achtung!) Jennifer Lopez (Manhattan Love Story, Wedding Planner, Genug, Das Schwiegermonster) in einem Charakterfilm zu überzeugen weiß und von Giganten wie Redford und Freeman nicht vollkommen an die Wand gespielt wird, hingegen schon. Die junge Newcomerin Becca Gardner müht sich nach Kräften und hat auch einige starke Szenen, wenn ihr von Redford oder Freeman die Bälle zugespielt werden, wirkt mitunter aber auch recht hilflos. Ansonsten wären da noch Damian Lewis (Dreamcatcher) als fieser Ex-Freund und Josh Lucas (Stealth, Sweet Home Alabama), die allerdings beide weitestgehend konturlos bleiben.

    Der große Schwachpunkt von „Ein ungezähmtes Leben“ ist eine typische Lasse-Hallström-Krankheit. Mitunter wirkt der Film zu selbstverliebt. Vieles wird angerissen, aber nur wenig konsequent zu Ende gebracht. Dieses Dilemma war bereits insbesondere bei Schiffsmeldungen deutlich zu erkennen. Doch diese Schwächen werden durch Hallströms unwiderstehlichen Stil und die starken Hauptdarsteller locker wieder wettgemacht. Die wundervollen Bilder von Kameramann Oliver Stapleton („Ein Sommernachtstraum“, Gottes Werk und Teufels Beitrag, Casanova) und die fast schon brillante musikalische Untermalung von Deborah Lurie („Imaginary Heros“) runden den starken Gesamteindruck ab. Es ist beruhigend zu wissen, dass es noch Regisseure gibt, die mit einem für ihre Verhältnisse eben nur gewöhnlichen Film immer noch weit Überdurchschnittliches abliefern. „Ein ungezähmtes Leben“ ist ein Film über Vergebung, Trauer, Wut, Liebe, Freundschaft und Toleranz, der hiermit allen Freunden ruhiger Programmkinofilme wärmstens ans Herz gelegt sei.

    Eine interessante Randnotiz: „Ein ungezähmtes Leben“ wurde bereits vor zwei Jahren gedreht und staubte seither in den Archiven von Miramax vor sich hin. Mit der Qualität des Films hat dies allerdings wenig zu tun, eher mit den Macken der Weinstein-Brüder. Das allmächtige Produzenten-Gespann lieferte sich hinter den Kulissen einen Machtkampf mit Lasse Hallström. Hallström wurde bereits 2002 massiv unter Druck gesetzt, als er das Angebot hatte, für Dreamworks Catch Me If You Can zu inszenieren. Als dann auch noch bekannt wurde, dass Hallström nach vier Miramax-Filmen („Gottes Werk und Teufels Beitrag“, „Chocolat“, „Schiffsmeldungen“, „Ein ungezähmtes Leben“) zu Disney wechseln und dort Casanova unter seine Fittiche nehmen würde, legten die Weinsteins kurzerhand sein letztes Projekt auf Eis. Erst 2005, also zwei Jahre später, wurde der Film heimlich, still und leise quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit einem verschwindend geringen Marketing-Budget in die amerikanischen Kinos gebracht... und floppte schwer.

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