Merkwürdige Kritiken hat Oliver Stones „Platoon“ bewirkt. So schrieb „Cinema“, „[...] gerade aus der bloßen Beschränkung auf die Oberfläche des Krieges“ resultiere „die Fragwürdigkeit des Films. Hinter dem schockierenden Dokumentarismus von 'Platoon' dräuen still und unauffällig patriotische Rehabilitation und konservativ-katholische Rückendeckung. Oliver Stone erteilt dem schlechten Gewissen der Amerikaner eine nachträgliche Absolution.“ In welchem Film war der Autor dieser Zeilen? Das Lexikon des internationalen Films sieht in „Platoon“ eine Heroisierung der gefallenen Opfer“ (freilich nur der amerikanischen!)“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ fragt sich und uns, ob Stones Streifen der „Versuch einer psychologischen Nulllösung des Vietnam-Problems: die endgültige Abrüstung der Entrüstung im Kino“ sei. Der Film gewähre „jeder Interpretation Raum, er verklebt nur als Pflaster die Wunde Vietnam. Aber Heilung?“. Stone war in Vietnam; er hat dort 1967/68 gekämpft.
Chris Taylor (Charlie Sheen, dessen Vater Martin 1979 in „Apocalypse Now“ den Captain Benjamin Willard gespielt hatte) erinnert sich; aus dem Off hört man ihn seine Briefe nach Hause vorlesen. Briefe über seine Erfahrungen in Vietnam. Sie kommen an, ca. 30 junge Soldaten aus kleinen Orten, von denen niemand jemals gehört hat. „They’re the unwanted. Yet they’re fighting for our society and our freedom“, heißt es in einem der ersten Briefe. Chris, ein 19jähriger College-Student aus der Mittelklasse, der sich freiwillig gemeldet hat, weil es seine patriotische Pflicht sei. Bald bekommt er zu hören, er gehöre nicht hier her.
Chris lernt sie kennen, die kampferprobten älteren Vietnamsoldaten. Sergeant Barnes (Tom Berenger) zum Beispiel, dessen vernarbtes Gesicht nicht nur davon zeugt, wie viele Schlachten er schon geschlagen hat. Barnes hat im Laufe der Zeit fast jegliches Gefühl für andere verloren. Oder Sergeant Elias (Willem Dafoe), das Gegenstück von Barnes, der seine Verzweiflung über das, was er gesehen hat, durch Drogenkonsum vergessen machen will. Weiter Sergeant O’Neill (John McGinley), ein ekelhafter Arschkriecher, Lieutenant Wolfe (Mark Moses) und King (Keith David), der ständig die Tage zählt, bis er nach Hause darf.
Die 25. Infanterie, zu der sie alle gehören, befindet sich 1967 irgendwo in der Nähe der kambodschanischen Grenze. Der Vietcong scheint sich überall verborgen zu halten. Der Dschungel, die Malaria, Tretminen, unterirdische Verstecke und Gänge, die der Vietcong gebaut hat, der Verdacht, dass die Einwohner jedes Dorfes mit den Nordvietnamesen sympathisieren, machen für Taylor und die anderen Vietnam zur Hölle.
Eines Tages entdecken Barnes und Elias ein Dorf, in dem es verhältnismäßig viel Reis gibt und Waffen versteckt wurden. Als Barnes vom Dorfältesten wissen will, warum hier Waffen gelagert seien, behauptet der Mann, der Vietcong sei schon Wochen nicht mehr hier gewesen. Barnes erschießt seine Frau, gibt den Befehl, das Dorf niederzubrennen, will alle Einwohner töten. Als einige aus der Truppe ein Mädchen vergewaltigen wollen, geht Chris dazwischen. Elias kann schließlich verhindern, dass weitere Bewohner ermordet werden. Die Hütten allerdings brennen die Soldaten ab. Elias droht Barnes, den Mord an der Frau des Dorfältesten zu melden.
Bei einer Großoffensive des Vietcong wird die US-Einheit zerrieben. Barnes findet Elias und schießt ihn nieder. In einem seiner letzten Briefe schreibt Chris: „We didn’t fight the enemy. We fought ourselves.“
Stone erzählt nach. Er erzählt die eigene Geschichte „seines“ Vietnam-Krieges, die seiner Generation. Stone dokumentiert. Die ca. 30 jungen Soldaten werden aus dem Flugzeug hinaus geworfen in eine Welt, in der es nur Krieg gibt. Chris Taylor (selten habe ich Charlie Sheen so überzeugend gesehen) glaubt, für sein Land zu kämpfen. Andere wollen nichts weiter als ihr Leben retten. Wieder andere werden mit ihrer Angst nicht fertig, erfinden Krankheiten, können plötzlich nicht mehr laufen. Oder zählen einfach die Tage bis zur Heimkehr. Alle aber werden im wahrsten Sinn des Wortes in diese Welt des Krieges, in der nichts anderes mehr existiert, hineingeworfen, so, als ob man sie in ein nach außen verdunkeltes Glas gesteckt hätte, in dessen Innerem die Flammen lodern. Kein Weg führt nach außen.
Wenn „We were soldiers“, der die Kinoleinwände verunstaltete, das Kampfgeschehen in Vietnam als reinigendes Stahlgewitter projiziert, in dem sich Mel Gibson als patriotischer Held, der seine Männer durch die Hölle führt und rettet, präsentiert, so dokumentierte Stone in „Platoon“ das genaue Gegenteil: das Stahlgewitter ist kein Stahlgewitter, sondern eine wirkliche Hölle, durch die hindurchgehend niemand gereinigt wird. Was am Ende bleibt, ist der Dreck, der erbärmliche menschliche Dreck, nicht nur Das-Sich-Schmutzig-Machen, das Andere-Beschmutzen, sondern der Tod als Sinn des Krieges. In „Platoon“ gibt es keinen falschen und erbärmlichen Heroismus und keine Helden à la Mel Gibson. Es gibt nur den Weg zum Kriegs-Kollaps, der nicht nur von Leichen, sondern auch vom Verlust der Humanität gepflastert ist.
Das Kampfgeschehen inszenierte Stone skrupellos-nüchtern. Da kommt kein Gefühl irgendeiner heimlichen oder unheimlichen Begeisterung auf. Es ist bis zum bitteren Ende ein wirklicher Gang durch die Hölle und kein glorifizierender Akt der nationalen Ehrenrettung. Die so unterschiedlichen Charaktere stoßen, je brutaler die Schlachten werden, umso brutaler aufeinander. Die einen sterben wie die Fliegen, die anderen bringen sich gegenseitig um, und am Schluss tötet Chris den zur skrupellosen Kriegsmaschine degenerierten Sergeant Barnes. Er hat doch keine sieben Leben, wie seine Sympathisanten von ihm immer behaupteten.
Stones „Platoon“ ist in erster Linie ein Vietnam-Film für Amerikaner, für die, die dort waren, und für die, die Vietnam klammheimlich noch immer für eine Großtat amerikanischer Politik halten. „Platoon“ ist schonungslos. Niemand kann dem inszenierten Kriegsgeschehen irgend etwas abgewinnen. es sei denn, er ist wirklich verrückt. Stone entzaubert, ohne etwas dazu sagen zu lassen, den Krieg von der verbreiteten Meinung, es gehe in ihm um die Verteidigung irgendwelcher Werte – es sei denn der des Krieges selbst. Krieg ist Kapitulation. Krieg ist der Tod jeglicher Kommunikation, Verständigung, die Negation nicht nur des Gegners, sondern auch des eigenen Subjektseins. Krieg ist der Versuch, Allmacht gegen wen auch immer durchzusetzen, der freiwillig nicht das Feld räumt. Die Soldaten in „Platoon“ haben dafür zu funktionieren.
In „Platoon“ geht es vordergründig „nur“ um amerikanische Soldaten. Tatsächlich geht es um jeden Soldaten, auch die des Vietcong, die im Film nur am Rande erscheinen. Ein vietnamesischer Film über den Krieg würde sicherlich ganz anders aussehen, weil Vietnam von den USA angegriffen wurde und noch heute unter den Folgen zu leiden hat. Es bleibt trotzdem eine Erkenntnis, die „Platoon“ nicht direkt vermittelt, sich aber aus dem Film ziehen lässt. Der Krieg ist kein Mittel der Politik, sondern die Kapitulation nach der Politik. Ist „Platoon“ Pflaster oder Heilung? Weder noch. Der Film ist Versuch einer skrupellosen Annäherung. Und hier wird „Platoon“ auch zu einer sehr persönlichen Angelegenheit, nämlich der von Oliver Stone selbst.