James Bond ist zurück. Die zweitlängste Pause der erfolgreichsten und langlebigsten Filmreihe der Welt liegt hinter uns. Wer von den letzten Bond-Filmen wenig begeistert war, sie vielleicht sogar für seicht und unglaubwürdig gehalten haben mag, wird eine angenehme Überraschung erleben. Martin Campbells knallharter Agenten-Action-Thriller „Casino Royale“ übertrifft die hohen Erwartungen und glänzt mit einem - wider allen Spekulationen - exzellent besetzten Daniel Craig in der Doppel-Null-Rolle. Die raue Neuorientierung des Franchise ist mit mehr als Bravour geglückt.
Der Film öffnet ungewohnt. Wo ist die berühmte „Gunbarrel“-Sequenz? Warum ist alles schwarz-weiß? Zunächst macht sich Verunsicherung beim Bond-Kenner breit. Völlig unbegründet. In der Eröffnungssequenz wird gezeigt, wie der junge Commander James Bond (Daniel Craig) sich seine Meriten für die Doppel-Null-Abteilung des MI6 verdient: durch zwei reinrassige Auftragsmorde. Das ist nicht der Bond, den wir bis jetzt kannten. Nichts da mit Gentlemen-Agenten und dergleichen. Es geht sofort hart zur Sache. Schon in den ersten Minuten zeigt sich der raue Grundton, der nun vorherrschen wird: Du bist allein, du hast keine Freunde, du kannst niemandem trauen.
Dann der musikalisch druckvoll untermalte Vorspann, gefolgt von Bonds erstem Auftrag als Doppel-Null-Agent, einem Job in Madagaskar, der völlig aus dem Ruder läuft und den er in den Sand setzt. Doch Bond zeigt latent insubordinative Tendenzen und macht auf eigene Faust weiter. Die Spur führt schließlich zu LeChiffre (Mads Mikkelsen), einem besessenen und genialen Spieler, der in Montenegro im Titel gebenden Casino Royale Geld für terroristische Aktivitäten gewinnen muss, weil es ihm sonst selbst an den Kragen gehen wird. Bonds neuer Auftrag: ihn beim Spiel besiegen, um LeChiffre wiederum unter Druck setzen zu können. Als Quasi-Babysitterin für Bond und das ihm zur Verfügung gestellte Spielgeld in Millionenhöhe wird ihm – zunächst sehr zu seinem Missfallen – die attraktive Vesper Lynd (Eva Green) zur Seite gestellt. Man mag sich nicht besonders, auch wenn eine unterschwellige Spannung zwischen den beiden herrscht. Doch sie raufen sich zusammen und werden von ihren Gegnern heftig unter Wind genommen. Nur unter Überwindung erheblicher Widerstände gelingt es Bond immer wieder, zur rechten Zeit den Weg an den Spieltisch zurück zu finden. Eine wahre Poker-Schlacht entbrennt, und wer am Ende gewinnt, sollen nicht nur die Spielkarten entscheiden….
Nach der sechsjährigen Pause zwischen „Lizenz zum Töten“ und „GoldenEye“ sind die zurückliegenden vier Jahre die längste Unterbrechung, die man dem Franchise bisher zugemutet hat. Viel ist passiert. Nach dem überladenen Effektgewitter in „Stirb an einem anderen Tag“ war den Produzenten trotz des starken Einspiels sonnenklar, dass sie etwas unternehmen mussten. Das hämische Gelächter, welches der unsichtbare Aston Martin im letzten Teil provoziert hatte, muss in ihren Ohren mehr als wehgetan haben. Was also tun? Sich auf alte Tugenden besinnen. Zurück zu den Wurzeln, zurück zu den Romanen. Das hatte schon zwei Mal funktioniert, als die Serie zu sehr ins Fantastische abzugleichen drohte, nämlich nach „Man lebt nur zweimal“ und „Moonraker“. Die Serie musste neu ausgerichtet werden, neu geerdet. Und nach dem letzten Versuch, die Abenteuer von James Bond glaubwürdiger wirken zu lassen („In tödlicher Mission“), muss ihnen auch klar gewesen sein, dass der Leading Man neu besetzt werden musste, denn ein Neustart mit einem eingeführten Darsteller ist nur schwer zu bewerkstelligen. Deshalb hatte der allseits sehr beliebte Pierce Brosnan gegen seinen Willen den Smoking einzumotten (und durfte im Gegenzug seine jahrelange Rohkostdiät aufgeben – Mahlzeit). Doch mit einem hatten die Verantwortlichen nicht gerechnet: dass ihre neue Wahl auf einen derart massiven Widerstand stoßen würde, und zwar noch bevor ein einziger Meter Film gedreht worden war.
Was für Namen da in den Ring geworfen worden waren! Hugh Jackman (hätte der Serie bestimmt gut getan), der von Regisseur favorisierte Ewan McGregor (hätte der Serie mit Sicherheit nicht gut getan) und viele mehr. Stattdessen fiel die Wahl auf den bis dahin nur wenig bekannten Daniel Craig (Layer Cake, München, Road To Perdition). Und der wurde postwendend von allen Seiten mit Schmutz beworfen. Zu blond, zu hässlich, zu weibisch, sogar die Fähigkeit, mit einer Gangschaltung umzugehen, wurde ihm abgesprochen (alles dummes Zeug, das nur nebenbei). Und ist er nun ein guter James Bond?
Ja. Und wie. Craigs Performance ist exzellent.
Daniel Craig ist hart, kantig, sportlich und machmal sogar lässig-zynisch. Diesem Mann nimmt man den harten Hund ab. Es geht hier nicht – wie bei den Vorgängern – um die Frage, ob er in der Lage ist, die Action glaubwürdig rüberzubringen, sondern vielmehr darum, ob der Neue die anderen Qualitäten, die James Bond ausmachen, darstellen kann, nämlich Stil, Eleganz und Coolness. Und er kann. Craig muss den Vergleich mit seinen Vorgängern nicht scheuen. Im Gegenteil. Dieser Film wäre mit Brosnan kaum möglich gewesen.
Es wird hier nicht etwa einfach ein neues Bond-Abenteuer mit einem neuen Hauptdarsteller erzählt. Nein, der Charakter wird gänzlich neu interpretiert. Als hätte man auf einen Reset-Knopf gedrückt, schildert der Film, wie der junge Commander James Bond zu seiner Doppel-Null kommt und seinen ersten wirklich großen Auftrag erhält. Woher stammt seine Vorliebe für Wodka-Martini? Für maßgeschneiderte Anzüge? Für schickte Sportwagen? Der Film beantwortet es. Alles, was bisher aus dem Leben des James Bond bekannt gewesen ist, wird vom Film ignoriert. Es gibt praktisch keine technischen Gimmicks. Q fehlt ebenso wie Moneypenney. Die einzige aus der Stammbesetzung, die es in den neuen Film geschafft hat, ist Judy Dench als „M“, und das ist gut so, denn die herzlich-spröde Beziehung zwischen ihr und Bond gibt seinem Handeln den richtigen emotionalen Backround. Und am Erstaunlichsten: Zum ersten Mal wird Bond als dreidimensionaler Charakter und nicht als Superpolizist behandelt. Wir erfahren Dinge über seine Herkunft, seinen Werdegang und sehen, dass auch er Fehler macht und verlieren kann.
Bond wird mehr als Schlagetot, denn als smarter Agent eingeführt. Wir lernen den neuen Bond als einen Mann kennen, dem es nichts ausmacht zu töten. Er steht diesen Dingen völlig emotionslos gegenüber. Genau das qualifiziert ihn nach seiner Meinung für die Doppel-Null-Abteilung. Gefühle sind ihm prinzipiell fremd. Diese Qualitäten wird er sich erst über den Film aneignen. Und das tut er, von allem mit Hilfe seiner Leading Lady, der spröden, aber wunderschönen Vesper Lynd. Damit ist ein radikaler Bruch zu den früheren Bond-Interpretationen geschehen. Seit Roger Moore hatten die Darsteller Bond zwar als Profi gesehen, aber dennoch als einen Mann, der zwar fähig war zu töten, es aber im Grunde verabscheut. Das ist jetzt Geschichte. Das Gegenteil ist eingetreten. Neu ist auch, dass Bond nicht als praktisch unverwundbar gezeigt wird. Nein, wenn er geschlagen wird, blutet er (und das nicht zu knapp). Auf dem Höhepunkt des Films gerät Bond sogar in eine für ihn ausweglose Lage. Genau das hatte Sean Connery immer an den Bond-Filmen kritisiert: Solche Situationen gab es für Bond nicht, er hatte immer ein Ass im Ärmel, mit dem er entkommen konnte. Das ist jetzt abgestellt worden. Herausgekommen ist etwas, das einen überrascht: ein wirklich spannender Film.
Nach jahrzehntelangem Bemühen gelang es den Produzenten schließlich, die Rechte des allerersten Bond-Romans zu erwerben. Die waren in den 1950er Jahren für einen Spottpreis nach Amerika verkauft worden. Dort war ein kaum beachteter Schwarz-weiß-TV-Film mit Barry Nelson als Jimmy (!) Bond und Peter Lorre als LeChiffre entstanden. Später musste der Titel für eine unsäglich schlechte Bond-Parodie mit David Niven, Peter Sellers und Woody Allen herhalten. Jetzt also der dritte Versuch. Interessanter Weise hält sich der Film erstaunlich dicht an die Storyline des Buches, wie vergleichbar allenfalls in „Im Geheimdienst ihrer Majestät“ gesehen. Kenner werden überrascht sein, wie viel aus dem Buch auf der Leinwand zu sehen ist, wenn auch in aktualisierter Form.
Es wird deutlich an Härte zugelegt. Waren einige Teile der Serie durchaus Kinder-kompatibel, hat sich dies geändert. Es wird geschossen, geschlagen, geblutet und gefoltert. Insgesamt ist der Film seinem Grundton nach dem Bond-Klassiker „Liebesgrüße aus Moskau“ und den paranoiden „Bourne“-Filmen mit Matt Damon näher als seinen unmittelbaren Vorgängern. Aber so hat sich Ian Fleming die Welt von James Bond vorgestellt. Gerade die brutalste Szene stammt direkt aus seinem Buch. Es wird nicht gescherzt. Hier wird gestorben, mal langsam, meist schnell. Der schöne Schein der Locations trügt. Sie sind nur Fassade für ein mörderisches Spiel, bei dem es am Ende auf die eine oder andere Weise nur Verlierer gibt. Entscheidend ist, wer am Schluss noch steht.
Punkten kann der Film darüber hinaus mit einem wunderbar-fiesen Bösewicht. Mads Mikkelsens LeChiffre ist ein richtig guter Antagonist für Bond, viel besser als die sonst mehr oder weniger austauschbaren größenwahnsinnigen Superschurken. Das Besondere an diesem Charakter ist, dass es für ihn ebenfalls um das nackte Überleben geht. Er tritt nicht gegen Bond an, weil er es will, sondern weil er es muss. Sieg oder stirb gilt für ihn genauso wie für sein Gegenüber. Aus deutscher Sicht zu erwähnen bleiben die wenigen Szenen mit Ludger Pistor, der einen Schweizer Banker gibt und diesen mit angenehm unterschwelliger Komik rüberbringt, mag seine Figur auch nicht wirklich entscheidend für die Handlung sein.
„Casino Royale“ ist mit gut zwei Stunden und 20 Minuten der längste aller Bond-Filme, was vielleicht an Regisseur Martin Campbell („GoldenEye“, „Die Maske des Zorro“) liegen mag, der zwar in der Lage ist, ausgefeilte Geschichten mit knalliger Action zu inszenieren, es aber manchmal etwas zu genau wissen will, was auf Kosten der Laufzeit geht. Und das ist auch das einzige, was man dem Film entgegenhalten kann, nämlich dass er kurz vor dem letzten Akt deutlich an Tempo und Spannung einbüßt und auch schon mal hart am Kitsch entlang schrammt, was er aber zugegebenermaßen der Romanvorlage schuldet. Macht nichts, wir mussten so lange auf ein mitreißendes Bond-Abenteuer verzichten, dass wir dankbar sind über jede Minute.
Computergenerierte Bilder oder ähnlichen optischen Firlefanz sucht man vergebens. Alles handgemacht, so haben wir es gerne. „Casino Royale“ zeigt, was man mit einem üppigen Budget von 150 Millionen Dollar auf die Leinwand bringen kann. Und die Actionszenen – insbesondere die erste halbe Stunde – sind derart packend gemacht, dass man alle 007-Epigonen in Film und Fernsehen der letzten Zeit sofort vergisst. Vorbei sind auch die Zeiten der verunglückten Titellieder überschätzter Pop-Diseusen. Chris Cornells „You know my name“ ist ein waschechter Rocksong, der druckvoll nach vorne und gut ins Ohr geht und der härteren Gangart des Films entspricht. Die Titelsequenz, die er unterlegt, passt gut zum Filmthema und hebt sich visuell wohltuend von den Computertraumwelten der letzten Filme ab. David Arnolds Score ist ebenfalls klasse wie immer und erinnert nicht von ungefähr an die klassischen John-Barry-Scores.
Um es ganz unmissverständlich zu sagen: „Casino Royale“ ist ein exzellenter, mitreißender, ja sogar richtig spannender Film mit einem hervorragend besetzten Hauptdarsteller in Hochform. Lizenz erteilt.