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    Psycho
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Psycho
    Von Ulrich Behrens

    Wer „Psycho“ einmal in seinem Leben gesehen hat, wird den Film nie wieder vergessen – würde ich mal ganz forsch behaupten. Warum? Zum einen ist es Hitchcock hier noch effektiver gelungen, sein Publikum zu manipulieren. Andererseits knüpft die Handlung genau an Ängste an, die uns letztlich irgendwo alle bewegen: Opfer oder möglicherweise auch Täter eines Verbrechens zu werden, die Angst davor, in eine Situation zu geraten, die wir nicht mehr mit dem eigenen Willen meistern können, in der wir von einer Sekunde auf die andere völlig abhängig werden und in der es um Leben und Tod geht – ganz unabhängig von der konkreten Geschichte, die „Psycho“ erzählt, und der Zeit, in der der Film spielt.

    Marion Crane (Janet Leigh) und Sam Loomis (John Gavin) sind ein Paar – aber ein mittelloses. Da bietet sich Marion eine Gelegenheit, schnell zu Geld zu kommen. Ihr Chef hat ihr nämlich 40.000 Dollar anvertraut, die sie auf der Bank einzahlen soll. Doch Marion entschließt sich, mit dem Geld Phoenix so rasch wie möglich zu verlassen. Auf ihrer planlosen Flucht gerät sie nachts in ein abgelegenes Motel, das der junge Norman Bates (Anthony Perkins) leitet: „Bates Motel ... Twelve cabins, twelve vacancies.“ Bates erscheint Marion sympathisch. Er erzählt ihr, dass er mit seiner Mutter in dem viktorianischen Herrenhaus nebenan wohne. Marion spürt, dass seine Mutter wohl eine eigenwillige und Bates gegenüber dominante Frau sein muss.

    In der Nacht kommen Marion Zweifel an dem, was sie getan hat. Soll sie das Geld nicht lieber zurückgeben? Vor dem Schlafengehen will sie noch schnell duschen. Da betritt eine offenbar weibliche Person ihr Zimmer und tötet Marion unter der Dusche mit etlichen Messerstichen. Norman entdeckt die Leiche Marions und wirkt entsetzt. Er beseitigt sämtliche Spuren im Zimmer, packt Marions Leiche und ihre Sachen in ihr Auto und versenkt es in einem nahe gelegenen Teich.

    Marions Chef hat inzwischen den Privatdetektiv Milton Arbogast (Martin Balsam) beauftragt, nach ihr und dem Geld zu suchen. Arbogast trifft zunächst auf Sam und Marions Schwester Lila (Vera Miles) und verspricht sie zu informieren, sobald er etwas in Erfahrung gebracht habe. Seine Ermittlungen führen ihn bald zu „Bates Motel“, in dem er jedoch keine Spuren von Marion entdecken kann. Als er allerdings Norman Bates auf seine Mutter anspricht, reagiert dieser gereizt und fordert Arbogast auf zu gehen. Der erzählt Sam und Lila von seiner Begegnung mit Bates und kehrt – neugierig wie ein Privatdetektiv nun mal ist – heimlich in das Motel zurück. Als er in das Herrenhaus eindringt und die Treppe hinauf geht, erscheint wiederum die unheimliche Frau und sticht Arbogast mit dem Küchenmesser nieder.

    Nachdem sie von Arbogast nichts mehr gehört haben, entschließen sich Lila und Sam, zum Motel zu fahren. Sie geben sich als geschäftsreisendes Paar aus. Dann erzählen sie dem Sheriff (John McIntire) von ihrem Verdacht gegen Bates und seine Mutter. Doch der hält es für ausgeschlossen, dass Bates mit irgendeinem Verbrechen zu tun haben könne. Und seine Mutter sei schon vor Jahren gestorben. Sie habe sich zusammen mit ihrem Liebhaber getötet. Sam und Lila sind entsetzt und kehren zum Motel zurück ...

    Hitchcocks Manipulationen des Publikums in „Psycho“ sind eine Meisterleistung: Falsche Fährten, Mitleid mal für die eine, mal für den anderen, Horror, Sympathie-Wechsel usw.

    Schon die Anfangsszene führt uns dies vor. Marion und Sam treffen sich in der Mittagspause zum Liebesspiel. Sam mit freiem Oberkörper, Marion „halb-puritanisch“ in einen BH „verpackt“ ist diese Szene doch mehr als eindeutig. Sie erzeugt Mitleid mit einem verzweifelten Paar, das sich liebt, aber aus Geldnöten nicht in der Lage ist, einen gemeinsamen Hausstand zu gründen. Dadurch dass Marion das Geld ihres Arbeitgebers entwendet, verhindert Hitchcock eine völlige Identifizierung mit den beiden Figuren, auch wenn der Diebstahl einer zwar nicht zwingenden, aber nachvollziehbaren Logik folgt. Hitchcock dehnt diese Geschichte bis zur Ankunft Marions im Motel weidlich aus. Marion scheint einerseits jetzt entschlossen, das Geld wieder zurückzugeben, andererseits schürt Hitchcock auch Vermutungen, sie könne sich das nochmal überlegen, weil Bates doch wirklich ein netter, sympathischer Kerl ist.

    Dann schlägt Hitchcock brutal zu. Der Mord unter der Dusche beendet Marions Leben und mit ihm jegliche Erwartungshaltung bezüglich ihrer Zukunft. Doch nicht nur das. Bates säubert das Bad, gründlich, penibel, schafft Marions Leiche, ihre Habseligkeiten und zuletzt auch das in Papier eingewickelte Geld in das Auto und versenkt es im Teich. Man wartet förmlich darauf, dass das Auto ganz unter der Wasseroberfläche verschwindet, wie Bates, denn es entsteht plötzlich eine gewisse Form von Mitleid mit diesem jungen Kerl, der eine ganz schreckliche Mutter haben muss.

    Dabei ist die Mordszene unter der Dusche – 45 Sekunden lang – in ebenso peinlicher Genauigkeit gedreht wie die anschließende Reinigungsszene. Die Mordszene wurde aus siebzig Kamerapositionen gedreht, mit einem Double. Von Janet Leigh sind nur Hände, Schultern und Kopf zu sehen. Teilweise wurden einzelne Momente in Zeitlupe aufgenommen. Der saubere und technisch brillante Schnitt ermöglichte den Eindruck eines wirklichen Mordes. Die Musik Bernard Herrmanns klingt einem noch jahrelang in den Ohren. Die Szene zeigt teilweise, wie das Wasser aus der Dusche (in Richtung Zuschauer) herunter prasselt, sich mit dem Blut vermischt, dann den Abfluss, in dem diese Mischung verschwindet wie das Leben aus Marions Körper, den Duschvorhang, an den sie sich krallt, als ob sie damit ihr Leben mit letzter Kraft festhalten wollte. „Hinterher gibt es“, so Hitchcock, „je weiter der Film fortschreitet, immer weniger Gewalt, denn die Erinnerung an diesen ersten Mord reicht aus, um die späteren Suspense-Momente furchterregend zu machen.“

    Gerade hat man den armen Bates noch bedauert, geschieht ein weiterer Mord, der an Arbogast. Beide Morde erscheinen übrigens – zumindest unterbewusst – als Sühne für das gestohlene Geld. Marion hat es gestohlen und auch Arbogast interessiert sich weniger für die verschwundene Frau als für die 40.000 Dollar. Doch wie hat Hitchcock diesen Mord gedreht? Arbogast stirbt auf der Treppe des Herrenhauses, das er betreten hatte, um hinter das Geheimnis von Bates Mutter zu kommen. Hitchcock ließ die Kamera nicht hinter die „Mörderin Mutter“ stellen, sondern Russell filmte diese Szene von oben. Hätte er dem Zuschauer den Rücken „der Mörderin“ gezeigt, hätte man Verdacht geschöpft. Doch durch das Filmen von oben hintergeht Hitchcock das Publikum ein weiteres Mal. Es erscheint nicht so, als wolle er das Gesicht der Mörderin verstecken. Diese Einstellung – das arglose Opfer und „die Mörderin“ vor der Treppe in Großaufnahme – ermöglichte noch etwas anderes: den plötzlichen Wechsel der Perspektive: erst diese Großaufnahme des Treppenhauses mit den beiden Figuren, dann die Großaufnahme von Arbogasts Gesicht.

    Immer noch Bedauern mit Bates? Doch dann geht das Wechselbad der Gefühle für das Publikum weiter. Die Polizei informiert Lila und Sam, dass Bates Mutter schon vor Jahren gestorben sei. Man rückt ab von der zeitweisen Sympathie für Bates. Das Publikum hat nur noch ein Interesse: Wer ist der Mörder? Ist es Bates? Aber was ist mit seiner Mutter? Ist sie wirklich tot? An die Stelle von begrenzter Sympathie, erst für Marion, dann für Bates, tritt jetzt das rein detektivische Interesse des Publikums, endlich zu wissen, was hier vor sich geht – nur, diese Serie von emotionalen Schwankungen, Schocks usw. ist, wie in fast keinem anderen Film Hitchcocks, auf eine unglaublich stringente und fast schon skrupellose Weise durchgeplant.

    Truffaut: „Die ganze Konstruktion des Films kommt mir vor, als steige man eine Art Treppe der Anomalie hinauf. Zuerst ein Beischlaf, dann ein Diebstahl, dann ein Mord, zwei Morde und schließlich Geisteskrankheit.“ Es ist nur der Film, die Technik, die Schnitte, die Fotografie, kaum die Story oder die Figuren, die aus „Psycho“ einen Suspense sondergleichen gemacht haben. Geschichte und Figuren, ja selbst die Psychologie in bezug auf Bates, sind dem völlig untergeordnet, lediglich Instrumente, auf denen Hitchcock spielt, um die Leiter des Suspense zu erklimmen und überraschende Wendungen herbeizuführen.

    Und doch kann dies nur seine volle Wirkung entfalten in Relation zu den verborgenen oder bewussten Ängsten des Publikums. Denn der psychopathische Mörder ist eine Realität; die seelischen Abgründe, die ins uns allen mehr oder weniger schlummern, sind Realität; die Angst davor, gegenüber einer vertrauten Person – sei es die Mutter wie im Film oder wer auch immer – etwas falsch zu machen, die Angst vor Liebesentzug, ist Realität. Und nicht zuletzt die Angst vor Entdecktwerden (im Film vor der Polizei) und die Angst, selbst unter bestimmten Bedingungen zu einem potentiellen Mörder zu werden, sind existent. Kaum ein Regisseur hat mit alldem derart skrupellos-schön gespielt wie Alfred Hitchcock in „Psycho“.

    Zitate aus: François Truffaut (in Zusammenarbeit mit Helen G. Scott): Truffaut / Hitchcock, München / Zürich 1999 (Diana-Verlag) (Originalausgabe: 1983), S. 240. Vgl. auch Beier/Seeßlen (Hrsg.): Alfred Hitchcock, Berlin 1999, S. 403 ff.

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