Nichts ist so, wie es scheint. Diese These des Philosophen Ludwig Wittgenstein gilt bei der schwedischen Komödie „Verschwörung im Berlin-Express“ von Peter Dalle nicht nur für Handlung und Charaktere, sondern auch für den optischen Stil: Ein in jeglicher Hinsicht auf „alt“ getrimmter Streifen, der eine Hommage an den Film Noir sein will, muss sich konsequenter Weise mit dem farblosen Filmen auseinandersetzen und sollte sparsam umgehen mit Computereffekten. Heraus kommt ein unterhaltsames, stellenweise sehr amüsantes Stück Kino, für das der Zuschauer eine gehörige Portion Schadenfreude und Zynismus mitbringen sollte. Leider liegt das Hauptproblem in der Laufzeit – hier kommt es zum Ende hin vermehrt zu Wiederholungen. Variierte Gags sollen Running Gags sein, werden es aber nicht.
Der Arzt Henry (Magnus Roosmann) möchte das Leben seiner Frau Karin (Kristina Törnqvist) „abkürzen“. Für ihn eine reine Hilfestellung, sei sie doch furchtbar von Migräne geplagt und würde ohnehin stetig verbitterter und unerträglicher. Ihm selbst soll dabei seine Geliebte und baldige neue Frau Marie (Anna Björk) zur Seite stehen. Der Plan: Die mit einer Überdosis ihres Kopfschmerzmittels vollgepumpte Karin wird von Marie mit einem Schubser aus dem fahrenden Zug befördert. Doch durch diverse Zufälle und natürlich die titelgebende Verschwörung verläuft alles völlig anders als geplant. Henry ist selbst an Bord des Zuges statt in Stockholm und die Dose der verstärkten Tabletten wandert durch den Vollidioten Gunnar (Gustav Hammarsten) in die falschen Hände...
Wenn hier bewusst die Verschwörung gleich zu Anfang gezeigt wird, so müsste der Zuschauer bereits wissen, dass es sich natürlich lediglich um ein Trugbild handelt. Fast der gesamte Film spielt im Zug und wechselt zwischen den Abteilen und Wagons, um die parallel und ineinander verlaufenden Storyteile zu zeigen. Da gibt es Marie und Schwarzfahrer Henry, die direkt im Abteil neben Opfer Karin sitzen, die sich mit einer selbsternannten „alten Schachtel“ anfreundet sowie ein alt gewordenes schwules Pärchen mit sonderbaren Gewohnheiten. Dann wäre da noch Gunnar, der das sehr wahre Sprichwort „Das Gegenteil von gut’ ist gut gemeint’“ in Perfektion ins reale Leben bringt. Nach und nach verstümmelt er einen unheimlich lebensfrohen Kriegsveteranen – dabei will er ihm stets bloß helfen. Auch auf die üblichen Reisegefährten wirkt sich seine Hilfsbereitschaft nicht gerade positiv aus.
Gunnar soll der Running Gag des Film sein, der furiose Einstieg wird aber durch Übertreibung der Zufälle mehr und mehr auf ein niedriges Niveau geebnet. Am Ende wartet der Zuschauer bei ihm nur noch auf die nächste ungeschickte Aktion und das meiste davon ist vorhersehbar. Trotzdem sorgt er für die meisten Lacher und zudem spielt ihn Gustav Hammarsten so herrlich naiv, dass es eine Freude ist. Überhaupt grenzt das Schauspiel an vielen Stellen an eine Parodie. Magnus Roosmann spielt seinen mordslustigen Arzt oft selbstironisch und zeigt dabei ähnliche Mimik und Züge wie der fantastische Alec Baldwin. „Verschwörung im Berlin-Express“ gibt lediglich vor ein Thriller wie „Mord im Orient-Express“ oder etwa die ganz große Hommage an seine Vorbilder zu sein. Letztlich bedient er sich diesen zwecks Parodierung und erreicht damit genau den beabsichtigten Effekt: Er wird zur reinen Komödie.
Denn die mehrmals zitierte These von Ludwig Wittgenstein trifft auch auf das Genre zu. Wo alles nach einem spannenden Krimi und Verschwörung aussieht, gibt es eigentlich nur eine funktionierende Komödie. Die Charaktere von Drehbuchautor und Regisseur Peter Dalle sind gut angelegt. Die Rolle des merkwürdigen Schaffners, der immer und überall dabei zu sein scheint, übernahm er direkt selbst – eine gute Entscheidung. Sein „Gespräch“ mit Karin zählt zu den heimlichen Höhepunkten des Films. Dass alles nicht ernst zu nehmen ist, zeigt sich in einer Szene, in der die Rollen des abgeklärten Arztes Henry und seiner nervösen Zukünftigen Marie ausgetauscht werden. Sie ist plötzlich zu allem bereit und fest entschlossen, dem Opfer Karin die Tablette ins Cognac-Glas zu schmuggeln. Er zittert jedoch innerlich und fragt, ob sie das „auch schaffe“. Situationskomik vom feinsten.
Leider sind nicht alle Teile derart gut geraten, sondern flachen entweder ab oder bieten schlicht keine Komik. Das schwule Pärchen etwa, das mehr Geschäftsmann und Diener gleicht, verschenkt sein Potenzial in den ersten beiden Szenen. Ab und an erscheinen die Gags zu gewollt komisch und so ist das Grundproblem jeder Komödie erreicht: Die Gagquote muss stimmen. Hier reicht sie locker für eine solide Wertung, mehr kann aber nicht drin sein. Für eine richtig gute, müsste das Potenzial für ein zweites Mal schauen auch größer sein, doch wenn ein Film sich zu sehr und nicht immer gut selbst wiederholt, kann das nicht gegeben sein.
Wer sich für eine in Schwarz-Weiß gefilmte und mit vielen absichtlich deutlich überholten Tricks versehene Komödie interessiert, der ist mit Sicherheit im richtigen Film. Er wird gut unterhalten und kann am Ende lächelnd den Kinosaal verlassen, wenn er sich darauf einstellt hat, kein Meisterwerk zu sehen zu bekommen. „Verschwörung im Berlin-Express“ ist eine nette Komödie, der im letzten Drittel die Puste langsam ausgeht, die aber allerhand kleine Überraschungen und leider ein etwas aufgesetztes Ende bietet. Spannung wird ohnehin nur bedingt aufgebaut, genretechnisch aber ein logischer Schluss.