Hollywood-Remakes erfolgreicher asiatischer Genrefilme sieht man normalerweise mit eher geringen Erwartungen entgegen, die rhetorische Frage „Musste das sein?“ im Kopf schon vorformuliert. Aber mal angenommen, der herausragende Hongkong-Cop-Thriller Infernal Affairs von Wai Keung Lau wäre die Vorlage, die Hauptrollen hätten Leonardo DiCaprio, Matt Damon und Jack Nicholson übernommen, Michael Ballhaus wäre Kameramann, und weil der bekanntlich am liebsten mit Scorsese arbeitet, würde der gute Marty die Regie machen. Die Nebenrollen noch nebenbei mit Martin Sheen, Mark Wahlberg und Alec Baldwin besetzt, und für die angemessene musikalische Untermalung sorgt Howard Shore. In diesem Fall wären die Erwartungen an das Remake ein wenig nach oben zu korrigieren. Schön, dass es diesen Film wirklich gibt. Auch schön, dass er standesgemäß großartig geworden ist.
Martin Scorsese bewegt sich mit „Departed: Unter Feinden“ wieder in dem Genre, das immer noch gewissermaßen den Kern der Marke Scorsese ausmacht: harter Thriller mit gesellschaftlichem Tiefgang. Dass früher alles besser war, insbesondere die Filme von Martin Scorsese, lässt sich selbstverständlich auch weiterhin wohlfeil behaupten.
Der Film spielt in Boston. Die Cops kämpfen gegen die Iren-Mafia. Es geht um harte Kerle, die lieber nicht ein Produkt der Gesellschaft sein möchten, sondern es vorziehen, die Gesellschaft zu ihrem Produkt zu machen. So formuliert es Gangsterboss Costello (Jack Nicholson) gleich zu Beginn. Costello scheint es in gewisser Weise geschafft zu haben, die Antagonisten Billy (Leonardo DiCaprio) und Colin (Matt Damon) werden tragisch daran scheitern. Billy hat seine Laufbahn als Polizist noch gar nicht angetreten, da schicken ihn seine Vorgesetzten Queenan (Martin Sheen) und Dignam (Mark Wahlberg) schon wieder zurück auf die andere Seite des Gesetzes. Dorthin, wo jemand mit seinem gesellschaftlichen Hintergrund sich normalerweise aufzuhalten hätte. Er soll als verdeckter Ermittler in Costellos engsten Umkreis gelangen, und er löst diese Aufgabe mit Bravour. Sein Gegenstück Colin wurde schon als Kind von eben jenem allmächtigen Costello für die Mafia rekrutiert (inhaltlich eine Parallele zu GoodFellas, allerdings völlig anders in Szene gesetzt). In seinem Auftrag macht er steil Karriere bei der Polizei. Er schafft es in eine Luxuswohnung mit Aussicht auf die goldene Kuppel des Parlamentsgebäudes, bleibt seiner Vaterfigur aber immer verpflichtet und versorgt ihn mit Informationen über die Pläne seiner Feinde. Durch die Arbeit des jeweils anderen wird die Luft für die beiden Maulwürfe Billy und Colin nun langsam, aber stetig immer dünner. Zudem – das ist die eine von zwei dramaturgischen Zuspitzungen gegenüber dem asiatischen Original - gibt es eine Verbindung zwischen ihnen, von der sie nichts ahnen: Madolyn (Vera Farmiga), die einzige (!) Frau in diesem Film. Sie ist Psychologin. Was sonst? Mit Colin will sie eine Beziehung aufbauen, betrügt ihn aber schließlich mit Billy, nicht ahnend, dass Colin sie mit seiner ganzen Existenz betrügt.
Dieser Film ist in jeder Hinsicht hervorragend. Von der atemberaubenden Einführung der Figuren in den ersten 15 Minuten (oder war es eine ganze Stunde, nur man hat es nicht bemerkt?) bis zum konsequenten Endpunkt der Geschichte (wenngleich letzterer bei „Infernal Affairs“ etwas mehr überzeugt). Was aber den stärksten, weil direktesten Eindruck macht, sind ohne Zweifel die Leistungen der Schauspieler.
Man glaubt es kaum, aber es gibt da auch zwei nicht ganz so bekannte Namen. Vera Farmiga ist eine hervorragende Charakterdarstellerin und stellt das in der Rolle der sensiblen Madolyn erneut unter Beweis. Ray Winstones Gesicht hat sich, wer Sexy Beast oder The Proposition gesehen hat, wahrscheinlich schon gemerkt. Winstone gibt einen derartig feisten Costello-Gehilfen, dass es eine reine Freude ist, ihn neben Nicholson agieren zu sehen. Einem mal wieder klassisch fiesen Nicholson, unnachahmlich zum Beispiel dann, wenn er langsam Verdacht schöpft (to smell a rat), beziehungsweise eine Verräter-Ratte riecht. Phantastisch auch der talentierte Mr. Damon als Colin: Jungenhafter Karrieristencharme, halb Mittel zum Erfolg, halb echte Kindlichkeit, die dem Tempo der Karriere nicht mehr ganz hinterherkommt, gerade die entscheidende Spur zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein zu viel, die ganze Zeit das Gefühl beim Zuschauer: Ja, ich kenn diese Typen!, aber niemals Karikatur. Wie Colin schließlich merkt, dass er den Krieg zwischen Cops und Gangstern nicht mehr kontrollieren kann, die Dinge, die er für sicher hielt plötzlich wegbrechen, er am Ende nur noch um seine Existenz kämpft, und in dem Moment, als er gewonnen hat, schon weiß, dass er verloren hat. Das spielt Damon so spannend und komplex, wie es im Drehbuch angelegt ist.
Dann Leonardo DiCaprio. DiCaprio war schon immer ein mitreißendes Erlebnis, mit seiner Rolle neben Johnny Depp und Juliette Lewis in Lasse Hallströms „What’s Eating Gilbert Grape“ 1993 angefangen. Dennoch hat man das Gefühl, dass er mit jedem Film, den er zusammen mit Martin Scorsese dreht (der nächste ist schon angekündigt), besser und besser wird. Die Tragik des von ihm verkörperten Billy liegt darin, dass er aus seinem Milieu raus wollte, sich aber in einer Situation wiederfindet, in der er aus jeglicher sozialen Bindung raus ist, ohne jede Sicherheit, völlig verloren. Nur zwei Menschen kennen seine Identität, Quenam und Dignam, die ihn als Werkzeug ansehen und Guter-Bulle-böser-Bulle mit ihm spielen (allein wie Martin Sheen und Mark Wahlberg dieses Paar verkörpern, würde übrigens auch schon fast ausreichen, selbst einen schlechten Film noch zu retten). Gleichzeitig ist er direkt beteiligt an Costellos Verbrechen und seine Mitschuld wächst mit jedem weiteren gescheiterten Versuch, den Gangsterboss zu verhaften. DiCaprio ist Billy, ist die Identifikationsfigur in diesem Film, ist reine Anspannung, den ganzen Film durch zwischen Explosion und Insichzusammenfallen. Billys Präsens und die Hilflosigkeit dahinter werden DiCaprio unvermeidbar seine dritte Oscarnominierung einbringen.
In der Figur Billys und der Art, wie DiCaprio sie darstellt, zeigt sich auch besonders deutlich die Daseinsberechtigung des Remakes. Denn die Akzente sind in „Departed“ und „Infernal Affairs“ grundsätzlich anders gesetzt. „Infernal Affairs“ steht seinen Figuren distanzierter gegenüber. Die genau konstruierte Geschichte und ihre allgemeingültige Moral werden in den Vordergrund gestellt. „Departed“ dagegen ist rau und dicht und stürzt sich in die Psychologie seiner Figuren. Weil das so gut gelingt, ist es der packendere Film, der seine zweieinhalb Stunden Länge mühelos füllt. Was den Schluss anbelangt, hat „Departed“ allerdings im direkten Vergleich das Nachsehen. Einerseits direkter und deshalb härter und lakonischer als sein Vorbild, bekommt Scorsese andererseits doch Angst vor der eigenen Courage und verschafft den emotional geklatschten Zuschauern in letzter Sekunde noch eine eher billige Erleichterung. Konsequent ist auch dieses Ende, aber im Vergleich zu „Infernal Affairs“ fällt es ab und wäre aus künstlerischer Sicht nicht zwingend nötig gewesen. Hier darf spekuliert werden, ob es Testvorführungen mit verschiedenen Schlussvarianten gab, und man sich schließlich für die im ersten Augenblick dann doch noch irgendwie trostreichere Variante entschieden hat.
Von diesem Kritikpunkt abgesehen, noch kurz ein paar Selbstverständlichkeiten, die bei den meisten anderen Filmen nicht selbstverständlich wären. „Departed“ ist überragend gut photographiert. Man könnte einzelne Szenen hervorheben, z.B. wie Costello den Film buchstäblich eröffnet, gleich als bestimmender Mittelpunkt mit den Zuschauern ins Geschehen und dabei selbst erst langsam aus dem Schatten tritt. Wirklich gut ist aber, wie der Tonfall der Geschichte und die durch die Bilder transportierte Atmosphäre eine Einheit bilden. Kein Element drängt sich unnötig in den Vordergrund. Das gilt ganz allgemein, nicht nur für die Kamera: Die Spannung entsteht aus der Situation der Figuren und wird durch die genretypischen filmischen Mittel nur unterstützt. Die Dialoge sind scharfzüngige Filmdialoge, natürlich kein realistisches Sprechen, aber eben nicht aufgesetzt. Die Musikauswahl, vom leitmotivisch gebrauchten, mit treibenden Gitarrenriffs unterlegtem irischen Folk-Crossover bis hin zum Pink-Floyd-Soft-Rock zur Liebesszene, sitzt passgenau. Ja, auch letzterer, weil er gerade nicht verkitscht, sondern nüchtern den mäßig romantischen Charakter kommentiert, zumindest wenn man mit einem Ohr auf den Text achtet.
Scorsese hat zusammen mit seinem Dream Team einen beeindruckenden Thriller auf aufregende Weise und in fast jeder Hinsicht überzeugend neu verfilmt. Absolut standesgemäß, also großartig.