Betrachtet man die Geschichte des zeitgenössischen Horrorfilms, so ist dabei schon seit langer Zeit eine im stabilen Turnus von zehn Jahren wiederkehrende Wellenbewegung zu finden, die häufig Themen und Motive der vorangegangenen Dekade aufgreift und rekapituliert. Das Archetypen-Repertoire des Genres ist begrenzt, und so weist jede Amplitude nicht nur ihre typischen Merkmalsausprägungen, sondern auch in nicht unbeträchtlichem Maße den Hang zu Remakes und Wiederholungen auf. Dabei waren die 80er Jahre die Ära der großen (einstigen) Horror-Avantgardisten, die aus Klassikern der 50er Jahre eigenständige und wegweisende Werke schufen, so wie John Carpenters „The Thing“ und David Cronenbergs „Die Fliege“. Nachdem das Genre mehrere Jahre im tiefsten Dornröschen-Dasein geschlummert hatte, erlebten die 90er Jahre ihr großes Horror-Revival im Schlepptau von „Scream“, Wes Cravens genial-ironischer Zerpflückung des Slasher-Movies und des Killer-as-Cypher-Prinzips mit all seinen Gesetzmäßigkeiten, Regeln und Formen, die damit zur kommentierten Parodie des gesamten (zum großen Teil von Craven mitgeprägten) 80er-Jahre-Horror avancierte. Doch die „Scream“-Welle verebbte auf Grund ihres doch recht begrenzten erzählerischen Bewegungsspielraums schnell, und in den Folgejahren mäanderte das Horror-Genre ziel- und orientierungslos zwischen groß budgetiertem Special-Effects-Spektakeln („Die Mumie“), reichlich witzlosen Neuauflagen altbekannter Stoffe („Wes Craven's Dracula“) und vielen wirklich abgrundtief schlechten Filmen („Die eiskalte Clique“, „Deep In The Woods“, „Valentine“, „D-Tox", „Ghost Ship" oder als wirklich grotesker Negativ-Höhepunkt der deutsche Genre-Beitrag „Swimming Pool", keinesfalls zu verwechseln mit dem gleichnamigen Ozon-Film) herum.
Doch mittlerweile kündigt sich mit mehreren aufwendigen Produktionen und großformatigen Remakes bekannter B-Movie-Klassiker eine neue Morgendämmerung des Genres an. Während Ronny Yu in „Freddy Vs. Jason" die beiden ergrauten 80er-Jahre-Ikonen des gepflegten Teenager-Schlachtens aus dem Dämmerschlaf holte und ihnen ein reichlich unharmonisches Tète-à-Tète ermöglichte, feierte in Rob Schmidts „Wrong Turn" der dreckige, gliedmaßen-zerlegende Metzel-Horror eines Sean S. Cunningham oder eines Tony Maylam („The Burning“) fröhliche Urständ. An den bislang größten Namen wagte sich Werbefilmer Marcus Nispel, als er mit seinem Remake von Tobe Hoopers 1974 gedrehtem „Texas Chainsaw Massacre" den legendären Kettensägen-Killer Leatherface in eine erstaunlich unironische neue Runde des fidelen Teenager-Zerlegens schickte. Mit Nispels überraschend gelungener und für den Massengeschmack ungewöhnlich harter und blutiger Neuverfilmung wurde zugleich die Marschrichtung für das erste große Horror-Revival des 21. Jahrhunderts zementiert: Aufgemacht im Hochglanz-Format eines A-Movies, insbesondere in Technik, Effekten und Ausstattung, dafür weg von der Ironie und dem satirischen Unterton der Post-Scream-Ära, zurück zu wesentlich mehr Härte, größerem Body-Count und wesentlich höherem Blutzoll. Markantestes Beispiel dieser Welle dürfte „28 Days Later" sein, Danny Boyles Überraschungs-Schocker über eine Seuche, die die Bevölkerung Englands in rasende Monster verwandelt.
Mit „Dawn Of The Dead“ steht nun das Remake des wohl am meisten wegweisenden und stilbildenden Horrorfilms der späten 70er Jahre ins Haus. „Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, kommen die Toten auf die Erde zurück“ – kaum ein Film dürfte so massiv und nachhaltig das gesamte Genre auf den Kopf gestellt und bis heute geprägt haben wie George A. Romeros abgründige Weltuntergangs-Parabel über die menschenfressenden Untoten, die in einem postapokalytischen Amerika eine kleine Handvoll Überlebender in einem Einkaufszentrum belagern. Denn auch wenn das Kino der späten 70er Jahre lebende Tote schon lange kannte, Romero selbst den Grundstein des modernen Zombiefilms zehn Jahre zuvor mit seinem Meisterwerk „Night Of The Living Dead“ gelegt und Amando Ossori bereits vier Mal seine reitenden Leichen auf die Menschheit losgelassen hatte, erst mit „Dawn Of The Dead“ avancierten die unbeholfen umherstaksenden, aber oft und gerne herzhaft zubeißenden Untoten zu den neuen Archetypen des Genres und der Begriff „Zombie“ zum Synonym für Horrorfilme, die statt Grusel, Spannung oder Angst zu erzeugen nur noch möglichst magenumstülpende Blut- und Eingeweide-spritzende Schreckensspektakel veranstalteten. Der Erfolg von „Dawn Of The Dead“, der weltweit fast 60 Millionen Dollar einspielte, löste nach 1979 eine schier unglaubliche Welle von Ekelfilmen aus, bei der sich vor allem italienische Regisseur wie Umberto Lenzi, Ruggero Deodato, Joe d’Amato alias Aristide Massaccesi, Bruno Mattei und Marino Girolami mit Zombie- und Kannibalen-Machwerken der wirklich alleruntersten Schublade hervortaten, damit die Negativ-Belegung des Begriffes Zombie für die Ewigkeit festzementierten und auch Romeros Werk in erheblichem Maße diskreditierten. Bis heute scheuen Horrorfilm-Produzenten den Begriff Zombie wie der Gehörnte des sprichwörtliche Weihwasser, und so kommt auch das Remake von George A. Romeros Klassiker unter dem englischen Originaltitel in die Kinos und nicht dem deutschen, der vor 25 Jahren vor allem im prüden (West-)Deutschland für einen kollektiv-entsetzen Aufschrei sorgte: „Zombie“
Das Remake, für das mit Zack Snyder wie bei „Texas Chainsaw Massacre" ein ehemaliger Werbe- und Videoclip-Regisseur verantwortlich zeichnet, orientiert sich inhaltlich nur peripher an der Romero-Vorlage von 1978. Gemein haben beide Filme das Einkaufszentrum als maßgeblichen Ort des Geschehens. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten schon beinahe: Lieferte George A. Romero mit den unbeholfen durch die Ladenzeilen des ehemaligen Kauftempels umhertapsenden Zombies als Metapher auf blinde, unpolitische Kaufhaus-Shopper eine brillante und nach wie vor brandaktuelle Satire auf die amerikanische Konsumgesellschaft im Zeitalter der politischen Senilität, so dient das Kaufhaus für Snyder als moderne Variante des klassischen Western-Forts, als modernes Alamo, in dem sich ganz im Stile von John Carpenters „Assault“, David Finchers „Panic Room" oder deren großem Vorbild, Gordon Douglas’ „Chuka“, eine kleine Gruppe Eingeschlossener der Belagerung durch eine überwältigend große Übermacht gesichts- und namenloser Feinden erwehren muss.
Schon zu Beginn setzt Snyder deutlich andere Akzente: Stieß George A Romero den Zuschauer bereits mit der ersten Minute in das brodelnde Chaos des Weltuntergangs – wenn auch nur indirekt, nämlich im Tohuwabohu einer Fernsehstation kurz vor der Einstellung des Programms – so gönnt Werbefilmer Snyder dem Publikum noch einen kurzen Hauch heiler Welt und gepflegter Vorstadt-Idylle voller gepflegter Rasen, weiß gestrichener Vorgartenzäune und symmetrisch angelegter Garageneinfahrten, in die Krankenschwester Ana (Sarah Polley) nach einem anstrengenden Arbeitstag zurückkehrt. Ein letztes Mal darf die Hauptfigur des Remakes noch eine geruhsame Nacht mit Ehemann und Tochter verbringen, bevor Snyder die Apokalypse mit einem wirklich perfiden Regieeinfall über seine ahnungslosen Opfer hereinbrechen lässt – der 11. September und die verlorene Unschuld Amerikas durch den völkerrechtswidrigen Irakkrieg werfen hier lange Schatten.
Zusammen mit einigen anderen Überlebenden sucht Ana nach einer chaotischen Flucht durch brennende und zerstörte Vorstädte, wunderbar von Matthew Leonettis Kamera aus der Raubvogelperspektive ins Visier genommen, Zuflucht in einem Einkaufszentrum, welches die kleine Gruppe binnen kurzer Zeit hermetisch nach außen abriegelt. „Mission: Impossible“-Star Ving Rhames tritt dabei als schlag- und schussfertiger Ordnungshüter Kenneth das Erbe der von Ken Foree verkörperten Figur des Polizisten Peter an. Im Einkaufszentrum selbst lauert nicht – wie im Original – die Gefahr in Gestalt unzähliger dort herumwankender Zombies, sondern vielmehr durch einige noch nicht infizierte, dafür aber umso aggressivere und schießwütigere Sicherheitsleute, was zwar diverse Auseinandersetzungen der Überlebenden untereinander, aber kein umfangreiches „Säubern“ des Kaufhauses von der ungeliebten Kundschaft wie im Original nach sich zieht. Einem übermäßigen Hang zu Political Correctness unterliegt Zack Snyder dennoch glücklicherweise nicht: So veranstaltet die kleine Schar während der Belagerung aus reiner Langeweile ein Zielschießen auf die Horden blutgieriger Matschgesichter vor den Toren des zur Festung ausgebauten Konsumtempels.
Überhaupt scheinen diese Zombies deutlich stärker von den sich in irrer Wut auf alles Lebende stürzenden Infizierten aus Danny Boyles „28 Days Later" inspiriert zu sein als von George A. Romeros schwerfällig und unbeholfen, mit stupid-verständnislosem Gesichtsausdruck dahintaumelnden sowie überwiegend lächerlich grün geschminkten Untoten. Zwar entspringt die Tricktechnik angenehmerweise nach wie vor klassischer Handarbeit, doch sind die Effekte state of the art und entsprechen und dem hohen Budget, so dass Zack Snyder seine Zombie-Kreationen in jedem beliebigen Grad der anatomischen Verunstaltung aufmarschieren lassen kann. Auch bei der Gewaltdarstellung ist der neue „Dawn Of The Dead“ eindeutig ein Kind seiner Zeit: Zwar spart Zack Snyder nicht mit zerschossenen Köpfen, aufgebissenen Halsschlagadern und abgerissenen Gliedmaßen, zeigt diese aber genau wie Danny Boyle nur in den von hektischer Bildführung und hypernervöser Kamera dominierten Action-Sequenzen. Völlig verzichten muss der Hardcore-Splatterfan auf das genüssliche Ausweiden menschlicher Opfer und das Verspeisen kompletter Organ-Sortimente, was George A. Romero 1978 speziell während des Schluss-Kampfes von „Dawn Of The Dead“ oftmals minutenlang in enervierender, nervenzermürbender Langsamkeit und in gnadenloser Großaufnahme zeigte.
Der Vorwurf des Plagiats kann allerdings trotz aller unübersehbaren Ähnlichkeiten zwischen „28 Days Later" und „Dawn Of The Dead“ gegen Zack Snyder nicht erhoben werden. Die in manischer Raserei tötenden Zombies gab es bereits Mitte der 80er Jahre in Dan O’Bannons „Return Of The Living Dead“ und in Lamberto Bavas beiden „Demoni“-Filmen, die die Untoten zunächst von einer Kinoleinwand herabsteigen und dann – welch visionäre, geradezu prophetische Allegorie auf die TV-Programme im Zeitalter der „Deutschland sucht den Superstar“-Apokalypse – aus einem Fernseher hervorkommen ließ. Aus jenem 1986 gedrehten „Demoni 2“ (der unsinnigerweise in Deutschland als erster von zwei „Dämonen“-Filmen veröffentlicht wurde) entliehen sich nebenbei sowohl Danny Boyle als auch Zack Snyder die Zombie-Szene in einer Tiefgarage. Vor George A. Romeros Original verbeugt sich das Remake vor allem mit den Cameos gleich dreier Darsteller von einst: Tom Savini, Make-up-Spezialist und Darsteller eines Motorrad-Rockers, darf anno 2004 als erbarmungsloser Gesetzeshüter im TV erklären, dass die Untoten nur durch einen Kopfschuss zu erledigen seien. Scott H. Reiniger kommt kurz als Armee-General ins Bild, während der 78er Hauptdarsteller Ken Foree als Fernseh-Prediger nichts Geringeres als die berühmte Tagline zum Besten geben darf: „When there's no more room in hell, the dead will walk the earth.“ Auch die wohl bedrückendste Szene des Originals, in der Ken Foree die Waffe schussbereit in der Hand vor seinem gestorbenen Freund Scott H. Reiniger sitzt und darauf wartet, dass dieser als Zombie erwacht, um ihm darauf in Großaufnahme den Schädel zu schießen, findet sich im Remake wieder, allerdings in abgeschwächter Form mit einer Nebenfigur und einem Schuss, den der Zuschauer nur aus dem Off hört.
Im Final Showdown verlässt Zack Snyder dann gänzlich die Vorlage und schwenkt mit „Dawn Of The Dead“ endgültig in die Pfade eines postapokalyptischen Endzeit-Western: Im Gegensatz zu Romeros Film, der einen Trupp marodierender und plündernder Motorrad-Rocker in die verbarrikadierte Shopping Mall eindringen lässt, damit schlagartig die trügerische Sicherheit vor den Monsterhorden zerstört und das gesamte Geschehen in einem fürchterlichen Gemetzel innerhalb des bisherigen Handlungsraumes enden lässt, verlassen Snyders Figuren in einem furiosen Schluss-Spurt des Films den Ort des Geschehens ganz im Stil von „Mad Max 2“ in zwei gepanzerten Fahrzeugen, was in einer höllischen Abwehrschlacht gegen die Zombie-Horden mündet. Der politische Subtext des independent entstandenen Romero-Films geht Zack Snyder indes völlig ab. Sein Remake ist auch kein Horror im eigentlichen Sinne, sondern ein harter, zynischer Action-Film, der angenehmerweise zu keiner Sekunde vorgibt, mehr sein zu wollen. Für Romero war „Dawn Of The Dead“ eine Parabel auf den Kapitalismus. „Das hässliche“, schrieb schon Friedrich Nietzsche, „ist die Betrachtungsform der Dinge unter dem Willen, einen Sinn, einen neuen Sinn in das sinnlos Gewordene zu legen“ Filmemacher wie Romero oder Sam Raimi, Stuart Gordon, Dario Argento und Roy Frumkes lehnten sich Ende der 70er und Anfang der 80er mit ihren filmischen Blut-Exzessen auf gegen eine heile Konsenskultur, die im Laufe des Zivilisationsprozesses den menschlichen Körper disziplinierte und die Selbstkontrolle zum Signum der Moderne machte. Solcherlei Provokation könnte Zack Snyder jedoch auch gar nicht mehr begehen, da die Tabubrüche von vor 25 Jahren längst zu gängigen Kino-Stilmitteln avancierten, die keinerlei moralischen Entrüstungssturm mehr entfachen können.
So ist dem ehemaligen Werbefilmer ein Remake gelungen, welches die Vorlage unter den Rezeptionsbedingungen des Kinopublikums von 2004 zitiert, ohne dessen Geist zu verraten. Zum Schluss kann sich Snyders „Dawn Of The Dead“ sogar eine im verwackelten Handkamera-Stil gedrehte Verbeugung vor Lucio Fulcis „The Dead Are Among Us“ von 1979, jenem zweiten großen Wegbereiter des 80er-Jahre-Splatter, leisten – „Blair Witch“ meets „Schreckensinsel der Zombies“!