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    Mystic River
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Mystic River
    Von Carsten Baumgardt

    Mit seinen letzten beiden Regie-Arbeiten („Blood Work", „Ein wahres Verbrechen“) legte Altstar Clint Eastwood solide, gute Filme vor, musste aber an der Kinokasse Flops hinnehmen. Mit seinem 24. Werk, dem aufwühlenden Schuld- und Sühne-Drama „Mystic River“, kehrt der 73-Jährige wieder in die Erfolgsspur zurück. Das meisterhafte Thriller-Drama besticht durch herausragende Darstellerleistungen, eine stimmige Milieuzeichnung und einen sich stetig steigernden Spannungsbogen. „Mystic River“ wird schon jetzt als aussichtsreicher Oscarkandidat gehandelt.

    In der Jugend waren Jimmy (Sean Penn), Dave (Tim Robbins) und Sean (Kevin Bacon) dicke Freunde. Nach einem traumatischen Erlebnis – Dave wurde von der Straße weg entführt und brutal von zwei Männern vergewaltigt – ist nichts mehr wie es war. 25 Jahre später ist ihre Freundschaft längst vergessen, als sich ihre Wege im gleichen heruntergekommenen Vorort von Boston wieder kreuzen. Jimmys 19-jährige Tochter Katie (Emmy Rossum) wird nach einer durchzechten Barnacht brutal ermordet. Die Ermittlungen in diesem Fall leitet Sean, der es bei der Polizei zu etwas gebracht hat, mit seinem Partner Whitey (Laurence Fishburne). Während die Ermittler dem Täter langsam näher kommen, sinnt der schockierte Jimmy auf Rache und stellt mit seinen Kumpanen eigene Nachforschungen an, um den Cops zuvorzukommen. Dave, der in der Bar zu den letzten gehörte, die Katie lebend gesehen haben, gerät ins Visier der Polizisten. In der Mordnacht kam er mit Stichverletzungen nach Hause – er beschwört, dass er von einem Räuber überfallen wurde. Die Schlinge um Daves Kopf zieht sich immer enger zu – er verstrickt sich in Widersprüche, selbst seine Frau Celeste (Marcia Gay Harden) bekommt langsam ihre Zweifel an Daves Unschuld...

    Clint Eastwood ist nicht mehr der Jüngste. Diesem Umstand zollt er Tribut. Nein, nicht dass er weniger akribisch und besessen arbeitet, aber der Schauspieler, Regisseur (Oscar für „Erbarmungslos") und Komponist verzichtet inzwischen wie bei „Mitternacht im Garten von Gut und Böse" (1998) darauf, auch die Hauptrolle zu übernehmen und überlasst das Feld nun anderen. Bei der Auswahl seiner Schauspieler bewies er ein feines Händchen. Die überragende Leistung seines Casts ist einer von mehreren Trümpfen, die „Mystic River“ zu bieten hat. An erster Stelle zu nennen sind Sean Penn („Ich bin Sam", „Sweet And Lowdown“, „Der schmale Grat“) und Tim Robbins („Startup", „Mission To Mars“, „Arlington Road"). Penn kann die ganze Bandbreite seines großen Talents ausspielen, besticht als schwer angeschlagener Vater, dessen Tochter ermordet wurde, durch eine emotionale Meisterleistung. Die Zerrissenheit und Wut seines Charakters Jimmy überträgt sich nahtlos auf die Zuschauerreihen – so intensiv agiert Penn. Es liegt förmlich in der Luft, dass er zur tragischen Figur werden könnte. Nicht weniger eindrucksvoll ist der Auftritt von Tim Robbins, der erstmals seit langem wieder in einer bedeutenden Rolle zu sehen ist. Als Junge brutal missbraucht, ist er für den Rest seines Lebens gekennzeichnet. Auch wenn ihm die Familie Halt zu geben scheint, bleibt immer der Zweifel, ob er Jimmys Tochter im Affekt nicht doch getötet hat. Robbins wandelt durch „Mystic River“ wie ein lebenslang geprügelter Hund. Mit schleppendem Gang und ausdruckslosem Gesicht liefert er das Pendant zu Penns explosivem Charakter.

    Das Heer der Nebendarsteller hat Eastwood ebenfalls bestens im Griff. Kevin Bacon („24 Stunden Angst", „Hollow Man“, „Sleepers“) und Laurence Fishburne („Matrix", „Matrix Reloaded", „Matrix Revolutions") bilden ein überzeugendes Cop-Gespann, während Laura Linney („Tatsächlich Liebe", „Das Leben des David Gale" „The Truman Show") und vor allem Marcia Gay Harden („Pollock", „Space Cowboys“) als Jimmys bzw. Daves Ehefrauen glänzen können. Zudem erwähnenswert ist die eindringliche Vorstellung von Tom Guiry als Freund der getöteten Katie.

    Eastwood, der sich fast ausschließlich an Romanverfilmungen macht, nutzt auch hier (Buchvorlage „Spur der Wölfe“: Daniel Lahanes) die Vorteile dieses Vorgehens. Der Film basiert auf einer sorgsam konstruierten Handlung, die den Charakteren viel Spielraum zur Entfaltung lässt. In gemächlichem Tempo steigert sich die Spannung und das Knistern auf der Leinwand von Minute zu Minute – bis zum Höhepunkt. Die Schlüsselstelle zeigt Eastwood als grandios montierte Schnitt-Gegenschnitt-Sequenz. Schuld und Sühne, die stetig pulsierende Gier nach möglicher Selbstjustiz erreichen ihren spannungsgeladenen Höhepunkt. Da Eastwood noch nie für glattgebügeltes Mainstream-Kino stand, fängt er damit natürlich nicht bei „Mystic River“ an. Der Film transportiert ein großes Maß an Tragik und Leid, das von den Schauspielern „sichtbar“ gemacht wird.

    Das Grundgerüst der Handlung ist zwar als Thriller angelegt, aber mit zunehmender Dauer dominiert das Drama. Ganz nebenbei liefert „Mystic River“ noch eine genaue Milieustudie des unterprivilegierten Vorort-Bostons und ein stimmiges Charakter-Psychogramm gleichermaßen. Sean/Bacon hat es als einziger geschafft, nach oben zu kommen, während Dave/Robbins und Jimmy/Penn immer noch in der gleichen Gegend wohnen.

    Zu bemängeln gibt es an „Mystic River“ wenig. Die Episode mit Kevin Bacon - der von seiner Frau verlassen wurde und verzweifelt versucht, sie zurück zu bekommen – wirkt besonders gegen Ende überflüssig. Der Film ist durch und durch düster und konsequent pessimistisch, sodass der Handlungsstrang zuletzt nicht in diese Stimmung passt und den Rhythmus stört. Mut zum Pathos zeigt Eastwood bei Laura Linneys Reaktion in der Schlussszene – allerdings ist dieser Dialog mit Sean Penn dennoch stimmig, weil er dem Milieu gerecht wird.

    So ist Clint Eastwood mit „Mystic River“ ein mitreißendes Alterswerk gelungen – eine feine, exzellente Arbeit, die aus dem Einheitsbrei der Hollywood-Produktionen deutlich herausragt. Düster, moralisch und unmoralisch zugleich, glaubhaft und packend – großes Kino eben. In den USA war „Mystic River“ ein Erfolg, bleibt zu hoffen, dass das deutsche Publikum dem Film die nötige Beachtung schenkt. Spätestens bei der Oscarverleihung wird „Mystic River“ erneut Aufmerksamkeit bekommen. Denn Sean Penn oder Tim Robbins werden sich sicherlich in den Nominierungslisten wiederfinden.

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