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    Dahomey
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Dahomey

    Die Restitutions-Debatte in ihrer ganzen Komplexität – und in nur 60 Minuten

    Von Michael Meyns

    Restitution. Selten hat sich ein Begriff so schnell ins Bewusstsein der Öffentlichkeit eingeschrieben wie dieser. Er bezeichnet die Rückgabe von Raubkunst, von Objekten, Kunstwerken, Artefakten, die vor allem während der Kolonialzeit aus jenen Ländern nach Europa gebracht wurden, die man heute als globalen Süden bezeichnet. Eins davon war das Königreich von Dahomey, das auf dem Gebiet des heutigen Staates Benin, in Westafrika liegt. Hierhin restituierte der französische Staat 26 Kunstwerke, ein Prozess, den die senegalesisch-französische Regisseurin Mati Diop beobachtete. Das Ergebnis ist der Dokumentarfilm „Dahomey“, dem das Kunststück gelingt, in knapp 60 Minuten zwar nicht alle, aber doch sehr viele Aspekte der komplizierten Debatte um Restitution und Dekolonisierung anzureißen.

    „Mein Name ist Nr. 26“, spricht eine dunkle Stimme aus dem Off, hinein ins Dunkel der Leinwand. Wer da spricht ist eine der Statuen, die am 9. November 2023 nach 130 Jahren im Exil, in der Gefangenschaft, die Reise von Paris nach Cotonou antraten, nicht die Hauptstadt des Benin, aber das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Landes. Die Sprache, die die Statue spricht, heißt Fon, eine der wichtigsten Sprachen Westafrikas, die lange Zeit dem Englischen und Französischen – den Sprachen der Kolonialherren – untergeordnet war. Die Worte selbst wiederum stammen von Makenzy Orcel, einem Schriftsteller aus dem karibischen Staat Haiti, in dem fast alle Einwohner*innen Nachfahren von Sklaven sind, die einst aus Afrika in die neue Welt verschleppt wurden. Schon diese Hinweise deuten an, mit welcher Komplexität Mati Diop das Thema Restitution angeht, das seit einigen Jahren im Westen und in Afrika, bei den ehemaligen Kolonialherren und in den ehemaligen Kolonien, intensiv und kontrovers diskutiert wird.

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    Nur eine von zahlreichen Statuen, die einst von den Kolonialmächten geraubt wurden

    Den Ausgangspunkt für die in „Dahomey“ gezeigte Restitution liegt im Jahr 2017, als der französische Präsident Emmanuel Macron in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, eine Rede hielt, in der er die unkomplizierte Restitution vieler Kunstwerke versprach – eine Ankündigung, der er erstaunlicherweise sehr schnell Taten folgen ließ. So konnte etwa Nr. 26, eine fast lebensgroße, 220 Kilogramm schwere Statue aus Holz und Metall, die einen der Könige von Dahomey zeigt, in ihre Heimat zurückkehren.

    Ganz vorsichtig heben die Arbeiter die Statue an, packen sie geradezu in Watte, bevor es per Flugzeug zurück nach Afrika geht. Dass die unfreiwillige Reise der Sklaven viel weniger komfortabel ablief, schwingt immer mit, angedeutet durch die bloße Nummer, denn auch die Sklaven wurden damals nur als Gegenstände betrachtet. Sie wurden in die Frachträume der Sklavenschiffe gepfercht, in tiefer Dunkelheit, auf die Diop immer wieder anspielt. Lange Schwarzblenden ziehen sich durch den Film, oft „spricht“ Nr. 26 aus der Dunkelheit – eine tatsächliche, aber auch eine symbolische Dunkelheit, aus der die restituierten Kunstwerke nun befreit werden.

    Bloße Symbolpolitik – oder steckt mehr dahinter?

    Aber sind sie das wirklich? Und mit welchem Zweck? In Cotonou werden die Kunstwerke im Präsidentenpalast ausgestellt, eine Riege von Honoritäten und später auch Bürgen zieht an ihnen vorüber und bewundert sie. Gilt ihre Bewunderung damit auch dem Präsidenten von Benin, Patrice Talon? Diese Frage stellt zumindest einer der Diskutierenden in den Raum, die Mati Diop organisiert hat. Vor allem junge Beniner*innen kommen hier zu Wort, zeigen sich einerseits begeistert über die Rückführung der Kunstwerke, andererseits enttäuscht darüber, das von mindestens 7.000 gestohlenen Werken gerade einmal 26 restituiert wurden. Ist das nicht nur Symbolpolitik, mit der Politiker wie Macron ihr Image in der (westlichen) Öffentlichkeit aufpolieren wollen?

    Das ist es zweifelsohne, aber eben doch auch viel mehr. In einigen der schönsten Momente des Films sieht man junge Beniner, Arbeiter mit Helm, die beim Aufbau der Statuen helfen, später dann Kinder, die die Kunstwerke begutachten: Mit großen Augen sehen sie die spektakulären, wunderbar geschnitzten Statuen an, so als würden sie zum ersten Mal verstehen, welche großen Werke ihre Vorfahren geschaffen haben.

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    Die Rückkehr der Kunstwerke löst viel Freude aus – aber auch heftige Diskussionen

    In den Schulen, so heißt es während der Diskussion, wurde den Beninern oft nur erzählt, dass viele Gegenstände gestohlen wurden. Aber dass dies nicht einfach nur Sachen waren, sondern großartige Kunstwerke, die in wichtigen Museen der (westlichen) Welt ausgestellt und bewundert werden, das wurde meist verschwiegen. Insofern wird Afrika mit der Restitution von Kunstwerken nach Benin, Nigeria, Kamerun und vielen anderen Ländern auch ein Teil der eigenen Geschichte zurückgegeben. Wie sie damit umgehen, das ist eine interessante Frage, denn die Antworten werden ambivalent sein – so viel deutet Mati Diop in ihrem zwar kurzen, aber reichen Dokumentarfilm „Dahomey“ pointiert an.

    Fazit: Die Restitution von 26 Kunstwerken nach Benin bildet den Ausgangspunkt von Mati Diops Dokumentarfilm „Dahomey“, in dem die senegalisch-französische Regisseurin die Komplexität der Debatte in gerade einmal 68 Minuten auf den Punkt bringt.

    Wir haben „Dahomey“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo der Film als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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