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    Megalomaniac
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Megalomaniac

    Die superbrutale Antwort auf Netflix‘ "Dahmer"

    Von Thorsten Hanisch

    True-Crime-Stoffe erfreuen sich zwar seit einigen Jahren wieder großer Beliebtheit, lösen aber inzwischen oft auch hitzige Debatten aus. Zuletzt war das 2022 bei der Netflix-Serie „Dahmer: Monster – Die Geschichte von Jeffrey Dahmer“ der Fall. Die Vorwürfe sind dabei meist ähnlich: Das Leid der Opfer wird sensationslüstern und voyeuristisch ausgeschlachtet – und statt ihnen stehen die Täter*innen im Rampenlicht, weil von ihnen eben nicht selten eine große Faszination ausgeht.

    Die belgische Produktion „Megalomaniac“ um die Kinder des Schlächter von Mons wirkt nun wie der Versuch einer Antwort auf den True-Crime-Hype. Als solche überzeugt das Horror-Drama über weite Teile, ist dann aber im Finale plötzlich doch arg in seine Gewaltbilder verliebt und zudem inhaltlich wenig durchdacht. Sehenswert ist der Film aber allein schon wegen Eline Schumacher, die in ihrer ersten Hauptrolle ganz groß auftrumpft.

    „Megalomaniac“ begeistert mit einer gnadenlos guten Hauptdarstellerin - Eline Schumacher!

    Martha (Eline Schumacher) lebt kein schönes Leben. Sie hat nicht nur psychische Probleme, sondern wird als Putzkraft in einem Handwerkbetrieb auch noch tagtäglich von ihrem Kollegen Luc (Pierre Nisse) beschimpft und immer wieder vergewaltigt, während der Vorarbeiter Jérôme (Wim Willaert) die Geschehnisse aus Angst ignoriert. Ihrem Bruder Felix (Benjamin Ramon), mit dem sie zusammenwohnt, erzählt sie davon nichts.

    Felix ist zwar der Patriarch im Haus und führt sich entsprechend auf, aber eben auch ihr einziger Halt. Eines Tages entdeckt Martha, dass der Bruder ein Serienkiller ist. Die beiden sind nämlich die Kinder des Schlächter von Mons und Felix ist offenbar in die Fußstapfen des Vaters getreten. Aus dem anfänglichen Schrecken wird eine Faszination, die Martha schließlich dazu bringt, es ihrem Bruder gleichzutun…

    Ein wahrer Fall – und viele kreative Freiheiten

    Der belgische Horrorthriller vermischt True Crime mit Fiktion. Auf Tatsachen basiert der Hintergrund. Als „Schlächter von Mons“ wurde von den Medien Tatsächlich wurde ein Serienkiller, der zwischen Januar 1996 und Juli 1997 fünf Morde in und um die Hauptstadt der wallonischen Provinz Hennegau beging, von den Medien auf den Namen „Schlächter von Mons“ getauft. Der Täter zerstückelte seine Opfer mit großer Präzision und verpackte die Überreste in Kunststoffsäcken, die an Straßenrändern oder Kanalböschungen abgestellt wurden. Alle Opfer hielten sich häufig in der Nähe des Bahnhofs von Mons auf und hatten familiäre oder finanzielle Probleme. Während der Ermittlungen gab es zwar eine ganze Menge Tatverdächtige, aber niemandem konnte etwas nachgewiesen werden. Der Fall ist bis zum heutigen Tag unaufgeklärt.

    Die eigentliche Geschichte ist also komplett erfunden und wird zudem mit einem leicht fantastischen Touch erzählt. So werden die Geschehnisse immer wieder von surrealen, symbollastigen Bildern durchbrochen, in denen der Vater als geisterhaft-monströse Erscheinung zu sehen ist. Karim Ouelhaj ist offenbar wenig dran interessiert, in die Psyche seiner Protagonist*innen abzutauchen und etwa die Kindheitsereignisse als Ursache anzuführen. Stattdessen verweist der Regisseur vielmehr auf ein strukturelles Problem als Keimzelle der Gewalt – nämlich auf das sich von Generation zu Generation fortschreibende Patriarchat. Marthas Arbeitskollege ist zwar kein Killer und Felix tut Martha keine Gewalt an, dennoch findet sich eine direkte Verbindungslinie zwischen den Männern: Beide fühlen sich der Frau übergeordnet – der Film heißt dementsprechend „Megalomaniac“, also „größenwahnsinnig“.

    Die Gewalt bricht ohne Vorwarnung, aber dafür umso heftiger los!

    Felix führt sich in seiner Beziehung zu Martha auf wie Despot, sie darf nicht widersprechen und ihm nicht in die Augen schauen. Luc wiederum behandelt Martha ebenso als Objekt, geht halt nur noch einen Schritt weiter. Die Trennlinie ist jedenfalls äußerst dünn. Es ist schade, dass das Drehbuch nicht näher auf die Beziehung zwischen den drei Arbeitskollegen eingeht, denn patriarchalische Strukturen bedeutet natürlich auch immer Gewalt unter Männern. So wird nie so recht klar, wieso sich Jérôme, der Älteste der drei, nicht einzugreifen traut.

    Um in dieser Welt zu überleben, bleibt Martha, fantastisch gespielt von Eline Schumacher, die selbst in ihren monströsesten Momenten noch tiefe Menschlichkeit durchschimmern lässt, nichts viel anders übrig, als selbst „männlicher“ zu werden. Das heißt, mit Gewalt nach Dominanz zu streben und das mit allen Mitteln. Die Figur wird trotz ihrer Tragik dabei aber nie zur klassischen Antiheldin, sondern bleibt ambivalent: So sehr man Verständnis für ihre Entwicklung hat, so sehr fremdelt man mit ihr.

    Gewalt ja – aber nicht als billiges Spannungsmittel

    Der wohl größte Unterschied zu den True-Crime-Kollegen ist die Verwendung von Gewalt: Die Zusammentreffen zwischen Täter und Opfer werden hier nicht zur (billigen) Spannungserzeugung genutzt – stattdessen bricht die Gewalt stets unvermittelt, brachial und extrem brutal los und wirkt deswegen ungemein realistisch, zumal Ouelhaj nur soviel zeigt, wie unbedingt nötig ist, und sich nicht übermäßig an expliziten Details ergötzt.

    Was so aber leider nur bis zum Finale gilt, denn das zieht „Megalomaniac“ leider doch arg runter. Es soll nicht gespoilert werden, deswegen nur so viel: Der Schluss ist inhaltlich nicht wirklich stimmig, zudem möchte man meinen, der Regisseur hätte seine Haltung plötzlich noch einmal komplett über den Haufen geworfen. Das bis dahin eher ruhige, in erlesenen Bildkompositionen eingefangene Horrordrama überrascht urplötzlich mit Wackel-Kamera und in Zeitlupe herumspritzendem Blut. Es sind nur ein paar Minuten, aber ein paar Minuten, die den ganzen Film mit runterziehen.

    Fazit: „Megalomaniac“ wirkt wie der Versuch, auf die erfolgreiche, aber zu Recht kontrovers diskutierte True-Crime-Welle mit einem Gegenentwurf der etwas anderen Art zu antworten. Das gelingt, aber leider nur fast – ein dem Rest des Films komplett entgegenlaufendes Schock-Finale zieht das belgische Horrordrama leider deutlich runter.

     

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