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    Coma
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Coma

    Die Träume meiner Tochter

    Von Kamil Moll

    Was genau heißt eigentlich „Coma“? In einer Szene des gleichnamigen Filmexperiments von Bertrand Bonello („Zombi Child“), der seine Weltpremiere in der Encounters-Sektion der Berlinale feierte, wird auf die ursprünglich griechische Bedeutung verwiesen: ein Zustand tiefen Schlafs. An einer anderen Stelle erzählt ein Serienkiller davon, wie er jemanden schlägt und so in ein Koma versetzt – einen Zustand tiefer Bewusstlosigkeit. „Coma“, das sind hier aber vor allem die Träume von Bonellos 18-jähriger Tochter Anna (gespielt von Louise Labèque), die während eines Lockdowns in der Covid-Pandemie allein in ihrem Zimmer sitzt und sich eine andere, virtuelle Welt vorstellt. Woran sie dabei denkt, will der Film zu Bildern machen.

    Zu Beginn erklärt der Regisseur – so wie in diesem Film überhaupt viel zu viel erklärt werden wird – in Untertiteln, die von verzerrten und verwischten Szenen aus seinem Film „Nocturama“ von 2014 begleitet werden, wie er schon vor Jahren einmal einen Kurzfilm drehte, den er an seine Tochter adressierte: Ein Filmprojekt, das damals scheiterte, stürzte Bonello in eine tiefe Krise, die er dadurch zu überwinden hoffte, dass er zu seiner Tochter über sich selbst sprach. 2020 kam dann wieder ein Filmprojekt Bonellos nicht zustande, eine großformatige Science-Fiction-Geschichte mit Léa Seydoux und Gaspard Ulliel in den Hauptrollen. Diesmal ist das Scheitern jedoch durch eine Krise bedingt, die globale Auswirkungen hat und nicht nur Dreharbeiten zum Stehen bringt. Bonello beginnt daraufhin, sich die Zeit zu überbrücken, indem er seinen Alltag während der Pandemie filmisch festhält – und switcht dann im Laufe der Zeit den Fokus von sich auf das Leben und die Gedanken seiner Tochter, womit wir bei „Coma“ angekommen sind.

    Bertrand Bonello wendet sich den Träumen seiner Tochter zu - landet dabei aber doch enttäuschend schnell immer wieder bei sich selbst.

    So ganz klar macht „Coma“ dem Zuschauer aber leider nie, ob die dargestellten Träume wirklich die des jungen Mädchens sind oder nicht doch eher Projektionen des Vaters, der auf diese Weise über Isolation und Einsamkeit in der Pandemie reden möchte und über Strategien, damit umzugehen. Dadurch hinterlässt der Film meistens einen deutlich überfrachteten Eindruck, ist halb Essay, halb eine dicht zusammengedrängte Sammlung bisweilen charmant umgesetzter Ideen, die als einzelne Filmminiaturen aber möglicherweise besser funktioniert hätten.

    Verbunden und kommentiert werden die einzelnen Traumsequenzen durch Patricia Coma (Julia Faure), eine Bloggerin, die einen YouTube-Channel für besseres Leben betreibt. Inspiriert von ihren Videos, besorgt sich Anna ein elektronisches Spielzeug, mit dem sie durch mechanische Reaktionen auf Farbfelder, die in einer bestimmten Reihenfolge aufleuchten, einen katatonischen, gedankenlosen Zustand erreichen kann – eine hypnotische Trance, durch die Annas Träume für den Zuschauer sichtbar werden. In ihrem Puppenhaus beginnen sich die Plastikfiguren durch Stop-Motion zu bewegen und führen an Seifenopern erinnernde Minidramen auf.

    Zu dick aufgetragen

    In einem Wald trifft Anna zudem auf verstorbene oder verschollene Menschen. Selbstgespräche verwandeln sich in animierte Sequenzen. Wenn Anna im Freien spazieren geht, beobachtet und kommentiert der Film sie über Überwachungskameras. Überzeugend ist „Coma“ allerdings immer dann, wenn Bonello eher kleinere, weniger aufwendig konzipierte Ideen inszeniert: In einem Zoom-Meeting treffen sich Anna und ihre Freundinnen, um sich gemeinsam über ihre liebsten Serienmörder zu unterhalten. Plötzlich wird eines der Mädchen von etwas nicht Sichtbarem aus dem Bild gezogen und ihre Kamera fällt aus – für einige Minuten verwandelt sich der Film so in die launig-komische Lo-Fi-Version eines Desktop-Horrorfilms wie „Unknown User“.

    Letztlich aber wird „Coma“ von halbgaren, zu dick aufgetragenen Einfällen dominiert, auch weil er seiner Hauptfigur nur selten tatsächliche Freiräume lässt. Selbst einen etwas schwerfälligen Kommentar zu Klimawandel und globaler Erwärmung lässt sich Bonello am Ende nicht entgehen. Übrig bleibt vor allem eine Erkenntnis: An das noch junge Genre des persönlichen Pandemie-Films werden wir uns, gerade im Festivalkontext, wohl leider für einige Zeit gewöhnen müssen.

    Fazit: In seinem neuen Film möchte Bertrand Bonello die Träume seiner Tochter zum Leben erwecken, versteigt sich aber meistens in halbgaren, zu dick aufgetragenen Einfällen, die nur gelegentlich einen eigenen Charme entfalten können.

    Wir haben „Coma“ im Rahmen der Berlinale 2022 gesehen, wo er in der Sektion Encounters gezeigt wurde.

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