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    Argylle
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Argylle

    Eine anonyme Autorin mischt die "Kingsmen" auf

    Von Lutz Granert

    Es kommt nicht häufig vor, dass noch vor Veröffentlichung eines Spionageromans schon dessen Verfilmung verkündet wird – besonders wenn es sich dabei um das Debüt einer bis dahin gänzlich unbekannten Autorin handelt. So war das Erstaunen in Hollywood groß, als „Kingsman: The Secret Service“-Regisseur Matthew Vaughn im August 2021 von seiner literarischen Entdeckung berichtete. Er habe in dem ihm vorliegenden, frühen Manuskriptentwurf der Autorin Ellen Conway das originellste Spionage-Franchise seit Ian Flemings Agentenabenteuern um James Bond gewittert, wird der Filmemacher zitiert.

    Die Aufmerksamkeit der Medien für „Argylle“ war ihm damit gewiss. Es handelte sich aber tatsächlich um einen metareflexiven Marketing-Gag. Denn Ellen, oder kurz: Elly Conway ist der Rollenname der Autorin der titelgebenden Romanreihe im Film – und zugleich der Autorenname des gleichnamigen (echten) Romans zum Film, der im Januar in der Penguin-Randomhouse-Verlagsgruppe veröffentlicht wurde. Wer tatsächlich hinter dem Pseudonym steckt, ist bis heute ungeklärt. Die von ihren Fans in den sozialen Medien angestoßene Theorie, dass – wegen einiger mehr oder weniger direkter Anspielungen auf ihren Geburtstag, Musikvideos oder die (vermeintlich eigene) schottische Faltohrkatze – Sängerin Taylor Swift sich bei „Argylle“ schriftstellerisch ausgetobt hat, wurde von Matthew Vaughn dementiert.

    Wie dem auch sei: Die turbulente Agentenkomödie „Argylle“ macht genau da weiter, wo die „Kingsman“-Reihe aufgehört hat. Zwar wurde auf trockenen britischen Humor und coole Gimmicks weitgehend verzichtet, doch dafür sorgt Matthew Vaughn in „Argylle“ mit einer guten Portion durchgeknalltem (Wahn-)Witz und zahlreichen Wendungen über gute zwei Stunden für gewitzte Unterhaltung.

    Universal Pictures
    Der nächste James Bond? Henry Cavill als Geheimagent Argylle

    Die Spionage-Romane der zurückgezogen lebenden Elly Conway (Bryce Dallas Howard) rund um die Abenteuer des fiktiven Geheimagenten Argylle (Henry Cavill) sind allesamt Bestseller. Da ihr das Ende des fünften Bandes jedoch Probleme bereitet, will die Autorin dafür ihre Mutter (Catherine O'Hara) besuchen. Doch im Zug trachten ihr mehrere Passagiere nach dem Leben, die sich als echte Spione entpuppen.

    Zusammen mit ihrem Sitznachbarn Aidan Wilde (Sam Rockwell), ebenfalls Spion, gelingt ihr die Flucht. Aidan offenbart Elly, dass sie mit ihren detailreich recherchierten und spannend geschriebenen Romanen näher an der Realität ist als ihr lieb sein kann. Denn die in ihrem letzten Buch beschriebene Masterdatei mit gesammelten Informationen zu Agenten-Identitäten existiert tatsächlich und hat die Begehrlichkeiten mehrerer Geheimdienste geweckt...

    Agentenabenteuer mit Augenzwinkern

    Das ist jedoch nur der Auftakt einer abenteuerlichen Verfolgungsjagd, die – wie es sich für ein anständiges Agentenabenteuer gehört – einmal um den halben Globus führt. Das wäre ein alter (Schlapp-)Hut, wenn Matthew Vaughn und sein Autor Jason Fuchs („Wonder Woman“) nicht einige spleenige Charaktere auffahren würden. Auch wenn man Bryce Dallas Howard („Jurassic World – Ein neues Zeitalter“) die verängstigt-verstockte Katzen-Mutti eher abnimmt als die schlagfeste Action-Heldin, zu der sie zunehmend mutiert, so stimmt einfach die Chemie zwischen ihr und Beschützer Sam Rockwell („Jojo Rabbit“) als vertrotteltem Agenten, der zunehmend seine Gefühle für Elly entdeckt. Nach seinem Auftritt mit denkwürdigem Sprachfehler im ersten „Kingsman“-Teil ist in dem hochkarätigen Ensemble auch Samuel L. Jackson („Killer’s Bodyguard“) wieder mit von der Partie. Abgesehen von ein paar Dialogzeilen darf er allerdings nicht mehr tun, als in seiner zum Man-Cave umgebauten Kommandozentrale während der Live-Übertragung eines Basketballspiels Popcorn knuspernd auf den Upload der Masterdatei zu warten – eine fast schon sträfliche Unterforderung.

    Absolut liebenswert sind die Auftritte der beiden grobschlächtigen Romanfiguren in den zahlreichen Film-im-Film-Momenten: DCEU-Superman Henry Cavill verkörpert den breitschultrigen Agenten Argylle mit Bürstenhaarschnitt und ebenso einfältiger wie unbedarfter Miene, während Ex-Wrestler und Actionstar John Cena („Freelance“) seinen ungleich tumberen und betont hölzernen Sidekick gibt, der die feindliche Agentin Lagrange (Popstar Dua Lipa) von ihrer Flucht auf dem fahrenden Motorrad abhält, indem er sie einfach am Schlafittchen packt und von der Maschine pflückt. Beide ziehen ihre Klischeefiguren mit einer ordentlichen Portion Selbstironie genüsslich durch den Kakao.

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    Auch Mega-Popstar Dua Lipa ist als feindliche Agentin Lagrange mit von der Partie

    Dabei gehört es zum Konzept, dass in „Argylle“ die Grenzen zwischen Roman-Fiktion, Ellys eigener Wahrnehmung und dem eigentlichen Geschehen im Film immer mehr verwischen. Von einem Wimpernschlag zum anderen verwandeln sich Ellys reale Gegenüber in die Romanfiguren ihrer Fantasie – ein mittels Blende umgesetztes und auch erzählerisch relevantes Stilmittel, auf das wiederholt zurückgegriffen wird. Langsam, aber stetig dreht Jason Fuchs den zunächst stringent erscheinenden Verfolgungsplot auf links – und führt in zahlreichen Wendungen (manchmal allerdings auch mit einem Haken zu viel) das Publikum gehörig an der Nase herum. Dabei hält er sich augenzwinkernd an das im Film wiederholt auftauchende Credo: „The greater the spy, the bigger the lie“.

    Neben dem spielfreudigen Ensemble, einigen Twists, landschaftlich hübschen Schauplätzen (gedreht wurde u.a. in Griechenland und auf Teneriffa) und ein paar herzigen Momenten mit Katze Alfie, welche die schweißtreibende Hatz größtenteils aus dem Guckloch in Ellys Rucksack verfolgt, kann „Argylle“ vor allem mit einigen regelrecht wahnwitzigen Actionszenen punkten. Eine brachiale Verfolgungsjagd über die Dächer eines griechischen Dorfs bildet dafür nur den halsbrecherischen Auftakt. Wenn Elly im gelben Abendkleid und Aiden in Zeitlupe und mit beeindruckender Choreografie durch knallbunte, dichte Rauchgranatenwolken tanzen, während sie feindliche Schergen erschießen, ist das schon jetzt eine der einprägsamsten und witzigsten Szenen des noch jungen Kinojahres 2024. Umso mehr wird der Bogen dann jedoch überspannt, wenn Vaughn und Fuchs nur wenige Minuten später versuchen, dieses Highlight mit einem improvisierten Eiskunstlauf auf Rohöl im Bauch eines Tankers zu toppen – was in aller Absurdität aber tatsächlich nur noch unfreiwillig komisch ausfällt.

    Kommt "Argylle 2"?

    Wenig überraschend ist, dass sich „Argylle“ durch eine Mid-Credit-Szene sämtliche Optionen für Fortsetzungen oder Ableger offen lässt, die weiterhin mit der Buch-im-Film-Idee spielen werden. Kein Wunder: Immerhin griff Apple für das dritte Prestigeprojekt nach „Killers Of The Flower Moon“ von Martin Scorsese und Ridley Scotts „Napoleon“ abermals tief in die Tasche: Die Produktionskosten von „Argylle“ sollen sich auf schätzungsweise 200 Millionen Dollar belaufen haben (weswegen Apple TV+-Abonnent*innen die Agentenkomödie erst einige Monate nach der Kinoauswertung streamen können). Die Investition hat sich aber gelohnt, denn das Ergebnis ist kurzweiliges und actionreiches Popcorn-Kino. Dem Franchise steht also nichts mehr im Wege – ganz egal, wer nun genau eigentlich der Autor (oder die Autorin) ist.

    Fazit: Eine clever konstruierte Geschichte und beeindruckende Star-Power gehen in „Argylle“ Hand in Hand. Auch wenn Matthew Vaughn und Autor Jason Fuchs hin und wieder ein paar alberne Ideen zu viel aus dem Hut zaubern, unterhält die Agentenkomödie bestens.

    PS: Alfie wird von Chip gespielt, der Katze des Ehepaars Matthew Vaughn und Claudia Schiffer. Doch damit nicht genug Privates im Film: Wer bei einem Gespräch im Londoner Hotelzimmer von Ellys Mutter genau hinschaut, entdeckt auf dem Kaminsims im Hintergrund ein Buch über das ehemalige deutsche Supermodel.

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