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    Manodrome
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Manodrome

    Incel – Der Film

    Von Björn Becher

    Man mag es heute kaum glauben, aber der Begriff „Incel“ wurde ursprünglich von einer Frau geprägt, die eigentlich nur helfen wollte. Eine kanadische Studentin eröffnete bereits Ende der 1990er mit einem Internetforum einen Austauschort für Menschen jeglichen Geschlechts, die unfreiwillig sexuell enthaltsam (=involuntary celibate) leben. Aber dann wurden das Forum und der Begriff schnell von misogynen Männern gekapert, die in selbstbestimmten Frauen und einer „woken“ Gesellschaft den Grund sehen, dass sie nicht das bekommen, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht. Nach mehreren Amoktaten 2018/2019 fand der Begriff aus den hasserfüllten Ecken des Internets dann schließlich auch seinen Weg in die breite Öffentlichkeit.

    In seinem zweiten Spielfilm „Manodrome“, der zugleich sein erster in englischer Sprache ist, rückt der südafrikanische Regisseur John Trengove („Die Wunde“) nun einen solchen Incel in den Mittelpunkt. Doch trotz interessanter Ansätze, die sich vor allem dann offenbaren, wenn er Leerstellen und Widersprüche zulässt, überzeugt sein Drama nicht. Nach und nach verrennt sich Trengove dann doch in zu vielen Klischees, die er speziell in einer besonders missratenen Szene sogar ausgesprochen platt aneinanderreiht. Da hilft auch das Wachrütteln mit einigen kurzen, so intensiven wie blutigen Schockmomenten nur bedingt...

    Ralphie (Jesse Eisenberg) ist fest entschlossen, sich nicht mehr unterkriegen zu lassen.

    Ralphie (Jesse Eisenberg) ist gefrustet von einem Leben, das ihm seiner Meinung nach zu wenig bietet. Als Uber-Fahrer verdient er nach dem Verlust seines alten Jobs längst nicht genug – zumal Freundin Sal (Odessa Young) hochschwanger ist und so noch einmal zusätzliche Kosten anfallen. Im Fitnessstudio pumpt er sich zwar auf, doch trotz seines breiten Kreuzes duckt und kauert er sich bei jeder Konfrontation weg. Da macht ihn sein Steroide-Dealer Jason (Philip Ettinger) mit dem charismatischen Dan (Adrien Brody) bekannt, der eine besondere Gemeinschaft von Männern um sich geschart hat.

    Die Mitglieder der Gemeinschaft entsagen allesamt dem Sex – denn das sei die stärkste Waffe der sie laut ihrer Meinung kontrollierenden und unterdrückenden Frauen: „Drei Jahre enthaltsam, die letzten zwei Wochen freiwillig“, gibt einer zu Protokoll. Gegenseitig bestärken sie sich darin, dass die Welt ihnen gehört. Ralphie fühlt sich in dieser Gemeinschaft nach und nach immer mächtiger. Er fängt an, Sal zu ignorieren. Aber so richtig mächtig fühlt er sich vor allem, wenn er die Pistole aus Dans Schreibtischschublade in der Hand hält...

    Prototyp eines Incels

    Es gibt eine Szenenabfolge in „Manodrome“, die sehr gut das Problem des Films umreißt: In „seiner“ Muckibude muss Ralphie machtlos mitansehen, wie eine Gruppe Schwarzer Bodybuilder die Musik ändert. Direkt danach fährt er an seiner alten Arbeitsstelle vorbei, wo er selbst zwar entlassen wurde, aber ein (natürlich Schwarzer) Mann weiter einen Job hat. Und anschließend muss der Uber-Fahrer auch noch ein schwules Paar befördern, das auf der Rückbank knutscht. Im Schnelldurchlauf unterstreicht Trengove hier Ralphies Hass auf die Welt: Nicht nur Sexismus, auch Rassismus und Homophobie sind Teil des Programms – wie es sich für einen richtigen Parade-Incel eben gehört.

    Viel interessanter ist „Manodrome“ hingegen, wenn mal nicht alles ausbuchstabiert wird, der Regisseur Dinge offenlässt und mit einer unzuverlässigen Erzählperspektive spielt. Da bricht eine Szene, in der Ralphie sich mit einem anderen Mann auf der Toilette prügelt, genauso jäh ab wie jene Uber-Fahrt mit dem schwulen Paar, das plötzlich Todesangst bekommt, als ihr Chauffeur wie von Sinnen das Gaspedal durchdrückt. Passieren diese Szenen wirklich? Oder sehen wir nur, was Ralphie gerne tun würde, wenn er mehr Mumm hätte?

    Dad Dan (Adrien Brody) hat viele Männer um sich geschart, die meinen, dass die Welt ungerecht ist und ihnen gehört.

    Am interessantesten ist lange Zeit die Leerstelle rund um den Schwarzen Bodybuilder Ahmet (Sallieu Sesay), auf dem Ralphies Blick immer wieder für eine Sekunde zu lange hängen bleibt. Ist es Eifersucht auf einen Typen, der noch mehr Muskeln hat und mehr Kilo stemmt? Vielleicht aber auch Hass auf einen Konkurrenten, der sich in „seinem“ Fitnessstudio breitmacht und so verhält, als gehöre ihm der Laden? Oder schwingt hier auch eine gewisse homoerotische Spannung mit?

    Zu selten bleiben solche Fragen offen, am Ende bevorzugt Trengove einfache Antworten und auch klarere Bilder – was schon bei der Optik seiner Hauptfigur beginnt. Mit seinen roten Haaren erinnert Ralphie sicher nicht zufällig an jenen Amoktäter, der 2012 in einem Kino in Aurora zwölf Menschen ermordete und zahlreiche weitere verletzte. Auch die Treffen der Männergruppe um den von allen nur „Dad Dan“ genannten Anführer sind recht platt umgesetzt. Dass trotz des Aufsagens von simplen Sprüchen wie „Ich nehme mir, was mir ist, was mir immer war und mir immer sein wird“ die Faszination dieser Gruppe auf Ralphie nachvollziehbar bleibt, liegt fast nur an der Präsenz des starken Adrien Brody („Der Pianist“).

    Jesse Eisenberg und sein überraschend breites Kreuz

    Hauptdarsteller Jesse Eisenberg überrascht derweil vor allem mit seiner Physis. Man sieht, dass der sonst eher schmächtig erscheinende Charakterschauspieler mehrere Monate lang selbst täglich im Gym Gewichte gestemmt hat. Sein Spiel ist dagegen sehr oft angestrengt, viel zu selten subtil. Immer wieder versucht der „Batman V Superman“-Bösewicht jede unterdrückte Gefühlsregung in sein Minenspiel zu legen, lässt Ralphie wortwörtlich vor Wut auf die Zähne beißen.

    Unfreiwillig komisch wird es hingegen im Finale, wenn der einst vor allem wegen seiner imposanten Größe von 2,31 Meter zum NBA-Star avancierte rumänische Ex-Basketballer Gheorghe Mureșan aus dem Nichts für eine Gastrolle als Altenpfleger auftaucht. Immerhin erinnert der damit einhergehende abgefahrene Schlusspunkt noch einmal an die Stärken des Films – nämlich an jene Momente, in denen nicht so völlig überdeutlich ist, was Trengove genau erzählen will.

    Fazit: Jesse Eisenberg als aufgepumpter Incel in einem Drama, das immer dann zumindest ein wenig interessanter wird, wenn zur Abwechslung mal nicht nur die bei diesem Thema erwartbaren Erzählstationen abgeklappert werden.

    Wir haben „Manodrome“ im Rahmen der Berlinale 2023 gesehen, wo der Film in den offiziellen Wettbewerb eingeladen wurde.

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