„One Hour Photo“ ist ein stilles Meisterwerk und Regisseur Mark Romanek – sollte er dieses Niveau halten können – vielleicht der neuzeitliche Hitchcock. Mit einem sicheren Gespür für unsere heutige Zeit und die daraus resultierenden Ängste gelingt ihm ein Thriller, der mit einfachsten Mitteln einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Das liegt schlussendlich vor allem an der sensationellen Leistung von Robin Williams, der sich mit diesem Film endgültig in der Elite der Charakterschauspieler etabliert.
Seymor „Sy“ Parrish (Robin Williams) ist ein einsamer Mann. Durch seinen Job im Fotolabor einer Zweigstelle der Einkaufskette „SavMart“ hat er zwar Kontakt mit anderen Menschen, der jedoch meistens unpersönlich und oberflächlich bleibt. Bei genauerer Betrachtung ist er jedoch gar nicht einsam, denn durch seine Tätigkeit bekommt er all die persönlichsten Erinnerungen seiner Kunden zu sehen, nimmt an ihrem Leben teil, ohne dass sie es merken. Besonders fixiert ist er dabei auf Nina (Connie Nielsen) und Will Yorkin (Michael Vartan) sowie ihren Sohn Jake (Dylan Smith), eine für seine Begriffe perfekte Familie. Von jedem Film, den Nina zum Entwickeln vorbeibringt, macht er sich einen Abzug und studiert das Familienleben, als wäre es sein eigenes. Als er jedoch eines Tages beginnt, sich in das Leben der Yorkins einzumischen, gerät die kleine Traumwelt aus den Fugen ...
„Die Menschen machen niemals Fotos von den schrecklichen Dingen in ihrem Leben“ – dieser Satz aus der Eröffnungssequenz von Mark Romaneks neuestem Film zeigt uns, auf welch subtiler Ebene sich „One Hour Photo“ bewegt und auf dieser von der Ambivalenz des Lebens erzählt. Da stehen die Yorkins auf der einen und Seymor Parrish auf der anderen Seite; während die gutsituierte Familie den Angestellten eines Fotolabors nicht näher kennt und sich sogar über ihn lustig macht, sieht er selbst sich in seiner Vorstellung als „Onkel Sy“ und sammelt die Familienfotos der Yorkins so akribisch, als wären es seine eigenen.
Doch vordergründig geht es Romanek gar nicht um dieses Einzelschicksal, auch Sy ist eigentlich unbedeutend. Er will seinen Zuschauern vor Augen führen, wie trist, unpersönlich und grauenhaft unsere Welt ist. All das spiegelt die Filiale des „SavMart“ wieder, die grau in grau getüncht ist und abartig steril wirkt. Die Yorkins dagegen wohnen in einem modern eingerichteten, farbenfrohen Haus ... doch auch hier trügt der Schein und hinter der hübschen Fassade verbirgt sich manch dunkles Geheimnis.
Das symbolische Spielen mit Farbtönen ist jedoch bei weitem nicht alles, was „One Hour Photo“ zu bieten hat: Über den Dingen steht Robin Williams, ein Schauspieler, der schon früher bewies, dass er unzählige Gesichter hat, in Mark Romaneks aktuellem Film jedoch eine der eingängigsten Performances seiner Karriere präsentiert. Er spielt den verschlossenen und obsessiven Sy mit einem so beeindruckenden Feingefühl, dass sich der Zuschauer beim Verlassen des Saals gar nicht sicher ist, vor wem er eigentlich mehr Angst haben sollte.
Zum Glück ist sich Romanek der Wirkung Williams’ bewusst und lässt ihm ausreichend Raum. „One Hour Photo“ schockiert nicht durch perfide Mordwaffen, Unmengen an Blut oder pompöse Schreckmomente; wirklich schockierend ist, dass Sy sich nicht als abstrakter Massenmörder darstellt, er ist ein jedermann. Jemand, dem wir täglich begegnen, mit dem wir vielleicht zusammenarbeiten oder von dem wir uns bedienen lassen. Diese Vorstellung macht den Zuschauer verwundbar und „One Hour Photo“ zu einem Geniestreich. Einem Geniestreich, der lediglich daran krankt, dass Regisseur und Autor Romanek am Ende kläglich versagt, wenn er sich selbst unter Druck setzt, die Motivation Sy’s aufzudecken. In diesen letzten Minuten wirft er die subtile Seite des Films über Bord und will mit dem Zuschauer Tacheles reden ... das hätte er besser gelassen.
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