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    Love the hard Way - Atemlos in New York
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Love the hard Way - Atemlos in New York
    Von Ulrich Behrens

    Die Rekonstruktion der Liebe scheint sich als Thema neuerer Filme zu etablieren. Thomas Vinterberg z.B. versucht sich in seinem neuen Film „It’s All About Love“ (2002) daran – vergeblich, finde ich. Peter Sehr („Kaspar Hauser“, 1993; „Obsession“, 1997) entdeckte vor Jahren auf einem Flohmarkt in Paris einen Roman des chinesischen Autors Wang Shuo, der ihm so gut gefiel, dass er alles daran setzte, die Filmrechte für die ursprünglich in Peking spielende Geschichte über einen Kleinkriminellen zu bekommen. „Love the Hard Way“ – das war für Sehr eigentlich von Anfang an klar – musste in New York spielen. Dem Drehbuch wurde von Barry Gifford, der für David Lynch „Lost Highway“ und „Wild at Heart“ geschrieben hatte, der letzte Schliff verpasst, gedreht wurde vor allem in der South Bronx, einem Viertel, in dem die Crew sich angesichts von erheblicher Kriminalität nur unter Eskortierung von Polizei bewegen konnte. Für Sehr war es eine große Hilfe, dass Adrien Brody („Bread and Roses“, 2001; „Der Pianist", 2002) und Jon Seda („Gladiator“, 2000; „Carlito´s Way", 1993; „12 Monkeys“, 1995) in New York aufgewachsen sind und ihm die Lebensverhältnisse, soweit dies für den Film nötig war, nahebringen konnten.

    Ausnehmen – betrügen – Geld – Kick: So könnte man kurz und bündig die Tätigkeit von Jack (Adrien Brody) beschreiben, eigentlich fast sein ganzes Leben. Zusammen mit seinem Freund Charlie (Jon Seda) und dem an der Rezeption eines Hotels arbeitenden Jeff (August Diehl) nimmt er ausländische Hotelgäste nach Strich und Faden aus. Jeff ermittelt die Opfer und zwei angebliche Prostituierte, Pamela (Liza Jesse Peterson) und Sue (Elizabeth Regen), machen sich an die Ahnungslosen heran. Im entscheidenden Moment erscheinen Jack und Charlie als Polizisten verkleidet, nehmen Pam und Sue scheinbar fest und stellen die Ertappten vor die Wahl: Verhaftung oder Geld und Wertsachen. Die zahlen natürlich, um unerkannt zu entkommen. Alles scheint perfekt zu funktionieren. Allerdings ist die Leiterin der Sittenpolizei Linda Fox (Pam Grier) den Betrügern auf der Spur, und irgendwann wechselt Jeff das Hotel. Da lernt Jack bei einem Kinobesuch die junge Biologiestudentin Claire (Charlotte Ayanna) kennen, die sich an der Kasse Geld für ihr Studium verdient. Ein heftiger Flirt wiederholt sich einige Tage später. Jack verschweigt Claire nicht, womit er sein Geld „verdient“. Claire wiederum ist fasziniert von diesem Typen. Was sie nicht weiß: In einer Lagerhalle hat Jack eine Kabine gemietet, in der er heimlich seinem Hobby nachgeht. Jack schreibt einen Tagebuch-Roman.

    Für Jack und Claire bricht eine kurze Zeit des Glücks an. Doch als die Studentin von einem Fortbildungsseminar nach zwei Wochen zurückkehrt, findet sie Jack mit Pamela im Bett. Entsetzt und verzweifelt fragt sie ihn, ob er sie jemals geliebt habe: „Ich wollte dich nur vögeln. Ich liebe niemanden, Claire. Die Liebesgeschichte hat nur in deinem Kopf existiert.“ Nicht nur das: Auch Jacks auf Tonband aufgezeichnetes Versprechen, mit der kriminellen Karriere Schluss zu machen, war eine Lüge. Claire reagiert wie ein verletztes Tier. Sie greift an, geht mit Freiern für 50 Dollar ins Bett, bietet sich Jack als Prostituierte für sein kriminelles Spiel an, provoziert ihn und zeigt zugleich, wie ihre Traumwelt von einem sie liebenden Mann zusammengebrochen ist. Claire verfällt zusehends. Und Jack? Er, Charlie und Jeff werden von Linda Fox bei einem erneuten Coup gefasst. Zwei Jahre Gefängnis. Und Claire schneidet sich die Pulsadern auf ...

    Die South Bronx hat Guy Dufaux in exzellent schönen Bildern eingefangen – eine Welt, von der Peter Sehr nur einen Ausschnitt verwendet, um seine Liebesgeschichte zu erzählen. Während im Roman von Wang Shuo Jack völlig im Zentrum der Handlung steht und Claire mehr eine Art Phantasiegebilde darstellt, lässt Sehr im Film beide (fast) gleichwertig nebeneinander agieren. Er zeigt Jack als einen Menschen ohne Nähe, selbst seinem Freund Charlie gegenüber, den er gegenüber Claire einmal als „beste Mutter“, die man sich wünschen kann, bezeichnet. Jack ist Egozentriker, Loner, überheblich, maßlos von sich überzeugt – ein Mann eben. Für ihn ist sein kriminelles Tun vor allem ein Kick, ein Nervenkitzel, fast eine Art sadomasochistisches Verhalten, sein Lebensinhalt. Charlie ist sich dessen bewusst. Charlie ist Realist, Korrektiv für Jack, wenn der über die Stränge schlägt, „Mutter“ eben für einen Mann, der in vielem Kind geblieben ist. Sein „Job“ ist für ihn mehr Spiel als Beruf, mehr naive Berufung als Identifizierung mit seinem Innersten. Das nämlich hat Jack ausgelagert: er schreibt einen Roman, aber heimlich, verborgen in einer Lagerhalle in einer etwas zu groß geratenen Holzkiste. Verborgen liegt auch seine Fähigkeit zu lieben. Er bekämpft sie in sich selbst. Jack liebt Claire, aber er kämpft gegen diese Liebe. Er lässt sie nicht zu, weil sie seine egozentrische Art zu leben zerstören würde. Claire ist naiv. Sie glaubt an die Liebe zu einem Kleinkriminellen und hört nicht auf die Warnungen ihrer Freundin. „Er ist auf dem Weg in die Hölle“, sagt die und Claire antwortet: „Vielleicht will ich, dass er mich mitnimmt.“ Claire ist unrealistisch. Er nimmt sie mit, betrügt sie, verletzt sie, erniedrigt sie. Aber Claires Naivität ist schon keine kindliche mehr und noch keine erwachsene. Sie hat ein tiefes Gefühl für Jack, weil sie unbewusst spürt, dass in Jack mehr ist, als seine Schlangenlederjacke zu offenbaren scheint. Dann kehren sich die Verhältnisse um. Jack will keine Nähe, niemand darf an ihn heran. Und Claire rächt sich mit den gleichen Mitteln, schläft tatsächlich mit den Männern, im Unterschied zu Pamela, die nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten will. Andererseits merkt nun Jack, dass er für Claire mehr empfindet, als er sich eingestehen wollte. Er verprügelt einen ihrer Kunden, versucht Claire, die immer labiler wird, zu schützen. Zu spät?

    Peter Sehr schuf kein neues Thema. Man könnte fast sagen: im Gegenteil, schon anderswo und vielleicht sogar besser gesehen. Trotzdem, mich hat diese Geschichte fasziniert, in eine Art wunderbaren und schrecklichen Bann zugleich gezogen. Peter Sehr arbeitet die Geschichte der beiden sentimental-realistisch, nicht rührselig-kitschig ab, fast nüchtern beobachtend, entsprechend den ernüchternden Bildern aus der Bronx. „Love the Hard Way“ ist kein Lehrstück und lehrt doch. „Jeder Augenblick bietet 10.000 Chancen uns zu verändern, aber wir denken nur daran, wie wir unser Leben am besten versauen können“, sagt Jack schon ganz zu Anfang des Films. Jack will Erfolg, den Kick, und versteht nicht, dass er auf dem falschen Weg ist. Es ist dieser Kampf zwischen Trostlosigkeit und Hoffnung, der den Film durchzieht, dessen Konsequenzen in jedem Moment wechseln können. Die einzigen Korrektive bleiben Charlie und die Polizistin Linda, die anfangs scheinbar nur an der Aufklärung eines Falls interessiert ist, deren kriminalistische Erfahrung jedoch über die Aufdeckung des Betrugs hinausgeht. Am Schluss will sie mehr wissen, die ganze Geschichte.

    Nach seiner grandiosen Rolle als Wladyslaw Szpilman in „Der Pianist" darf man hier einen Adrien Brody bewundern, der vom egozentrischen Kleinkriminellen zu sich zurückfindet, eine Charlotte Ayanna, die eine Spur zu sehr im Hintergrund gehalten wird, aber dennoch eine überzeugende Leistung zeigt, und man kann Jon Seda und August Diehl ("23", „Anatomie 2")genießen. Endlich auch ein Wiedersehen mit Pam Grier, die leider nur wenige Auftritte hat, aber dann mehr als präsent ist. „Love the Hard Way“ ist eine Überraschung aus deutschen Landen, ja eigentlich auch ein amerikanischer Film, eine alltägliche Liebesgeschichte, die aber nicht banal wirkt und viel zum Nachdenken anregt (oder zumindest anregen kann). Gegenüber Vinterbergs „It’s All About Love“ wäre noch anzumerken, dass Peter Sehr auf überschwängliche Symbolik verzichtet.

    (Zuerst erschienen bei CIAO)

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