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    Beckett
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Beckett

    Netflix führt sein Publikum an der Nase rum – und liefert trotzdem einen sehenswerten Film

    Von Christoph Petersen

    Nach einem von ihm selbst verschuldeten Autounfall in den griechischen Bergen erwacht Tourist Beckett (John David Washington) im Krankenhaus. Seine Ehefrau April (Alicia Vikander) soll bei dem Crash ums Leben gekommen sein - so wird ihm jedenfalls von der Krankenschwester berichtet. Aber weil der Gerichtsmediziner schon nach Hause gegangen ist und den Schlüssel mitgenommen hat, darf Beckett ihre Leiche nicht sehen. Wenig später, als er sich aus Schuld und Verzweiflung am Unfallort selbst das Leben nehmen will, schießt plötzliche eine fremde Frau auf ihn – und auch der herbeieilende Polizist meint es offensichtlich nicht gut mit ihm...

    Mit Ferdinando Cito Filomarinos Paranoia-Thriller „Beckett“ begibt sich Netflix scheinbar auf die Spuren von Roman Polanskis Alfred-Hitchcock-Hommage „Frantic“ aus dem Jahr 1988: Darin spielt Harrison Ford einen US-amerikanischen Arzt, dessen Frau plötzlich in Paris verschwindet, woraufhin er sich mit der Sprachbarriere, korrupten Cops und bürokratischen Botschaftsangehörigen herumschlagen muss. Die Sache ist nur: Das Spurlos-verschwundene-Frau-Mysterium ist in „Beckett“ lediglich eine wenig elegant konstruierte Finte, die mit dem eigentlichen Plot absolut nichts zu tun hat. Das kratzt zumindest an der Publikumsverarsche.

    Beckett (John David Washington) muss auf seiner Flucht quer durch Griechenland ganz schön was einstecken...

    Dabei hat „Beckett“ als gradliniger Paranoia-Thriller, in dem ein Mann sieht, was er nicht hätte sehen dürfen, absolut seine Qualitäten: Wenn sich Beckett, angeschossen und mit gebrochenem Arm, durch ein griechisches Bergdorf schleppt und sich irgendwie zu verständigen versucht, während er keinen blassen Schimmer hat, was überhaupt los ist und wem er noch trauen kann (wenn überhaupt jemandem), dann ist das wirklich wahnsinnig intensiv. John David Washington („Tenet“) spielt Beckett als vollkommen orientierungslosen Jedermann, dessen absolute Hilflosigkeit sich sofort auf das Publikum überträgt. Das ist auf verdammt ungemütliche Weise spannend ...

    ... also genau so, wie es in einem Paranoia-Film, bei dem man ja traditionell nichts und niemandem über den Weg trauen darf, im besten Fall sein sollte. Verstärkt wird dieses Gefühl der totalen Verlorenheit noch durch Ferdinando Cito Filomarinos starke Inszenierung: In seinen Arbeiten als Second-Unit-Director für Luca Guadagnino hat er in „Call Me By Your Name“ und „Suspiria“ bereits ein norditalienisches Dorf und das geteilte Berlin in unvergessliche Bilder gehüllt. In „Beckett“ haben die griechischen Berge, Dörfer und Städte nun zwar stets eine gewisse postkartenhaft-pittoreske Anmutung, unter der sich aber – vor allem durch die naturalistische Farbgebung - immer auch eine raue und unwirtliche Qualität verbirgt. Selten war Schönheit derart trügerisch.

    Der Verschwörungsplot ist die große Schwäche

    Dass man lange Zeit so gar nicht weiß, was seine Verfolger vorhaben und warum sie überhaupt hinter Beckett her sind, lässt sie zwar ein wenig eindimensional erscheinen – aber es zahlt zugleich auch auf den Paranoia-Faktor ein, weil wirklich jeder, selbst ein vermeintlicher Statist im Vorder- oder Hintergrund, ein Teil der Verschwörung sein könnte (sowieso ist das Spiel mit den verschiedenen Bildebenen gerader im letzten Drittel während einer Demonstration in Athen meisterhaft). Aber die Auflösung des Motivs nach etwa einer Stunde gerät dann doch eher enttäuschend ...

    ... und das nicht nur, weil sich Aprils vermeintliches Verschwinden als reine Luftnummer entpuppt. Debüt-Drehbuchautor Kevin Rice ruht sich hier gefühlt einfach zu sehr auf der Gewissheit aus, eine aktuelle und relevante Story zu erzählen, statt die Verschwörung wirklich zu Ende zu denken. So richtig stimmig wirkt das alles jedenfalls nicht – ein Eindruck, der noch dadurch verstärkt wird, dass auch die internationalen Finanzakteure und Geheimdienste schließlich noch einen mit auf den Deckel bekommen sollen. Dass sich der zunehmend geschundene Beckett ganz am Schluss für einen einzigen Moment doch nicht wie ein Jedermann, sondern wie ein Superheld aufführt, mag man da ebenfalls inkonsistent finden – doch das haben sich Beckett und John David Washington nach all den Torturen aber auch einfach mal verdient...

    Fazit: „Beckett“ ist ein meist spannender, stark gespielter und intensiv inszenierter Paranoia-Thriller, der sich an seinem betont zeitgemäßen Plot zumindest ein Stück weit verhebt und mit dem Verschwundene-Frau-Szenario aus reinen Marketinggründen ein unnötiges Mysterium etabliert, bei dem er gar nicht erst vorhatte, tatsächlich etwas daraus zu machen.

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